V-Mann – über Nürnberger Punk
Als Steve Braun von seinem Projekt erzählte, dachte ich mir: „Fick dich! Du bist sicherlich ein verdeckter Ermittler. Wäre ja nicht das erste Mal.“ Ich habe ihn an einem sturzbetrunkenen Abend deshalb sogar bedroht. Aber tolle Bilder macht der V-Mann schon. Also einfach mal machen lassen und abwarten, was dabei herauskommt. (Nille Hangoverson, der Asoziale Landesvater Bayerns)
Oh Junge, wieder so eine Nacht. Der Schädel fühlt sich scheiße an, die Erinnerung bröckelt und man fragt sich, was da gestern wohl schon wieder lief. Diese Fragen wurden mir glücklicherweise, auch recht schonungslos, immer wieder beantwortet, wenn ich die Filme aus der Entwicklung vor der Nase hatte.
Während meines Fotografiestudiums in Nürnberg bin ich durch Zufall mal im Autonomen Zentrum gelandet. Eigentlich wollte ich zu ’ner anderen Show, aber entweder war meine Orientierung scheiße oder ich hatte mich im Tag geirrt, auf jeden Fall spielte dort unten so ’ne rotzige Punkband, die mit ihren drei Akkorden die Gitarrensaiten misshandelten. Die Atmosphäre war der Hammer, die Luft schweißdurchtränkt und die Kakophonie animierte zum Mitmachen.
Ein oder zwei Promille später, setzte man die Party in ’ner lokalen Punker-WG fort. Die Nacht zog sich hin, die Augen fielen zu und man wachte irgendwann in einem Rudel von Punx auf. Kuschelig. Solche Abende gehören mittlerweile zum Standard.
Da jeder Abend ein Event war und die Leute mir unzählige ikonische Szenen präsentierten, fing ich an, das Ganze zu dokumentieren. Solche Szenarien durften doch nicht einfach verhallen, sondern mussten den Stoff für neue Legenden bilden. Meine ersten Versuche waren nicht gerade von Erfolg gekrönt, da Komasaufen und analoge Technik sich nicht so gut miteinander vertrugen.
Beim ersten Blitzlichtgewitter kam dann langsam der Verdacht auf, ich wäre ein V-Mann. Ich nahm das erst als Witz auf, aber später wurde mir dann zugetragen, dass der Zweifel zum Teil schon im Raum stand. Der Zweifel verschwand, der Name blieb.
Meine Fotografie musste sich bei diesen chaotischen Zuständen zwangsläufig verändern. Ständig wechselnde Situationen forderten mich dazu heraus, mich anzupassen und schnell zu reagieren. Heißt: Adé Mittelformat-, hallo Point-And-Shoot-Kamera. Ich konnte jetzt nicht nur unmittelbar auf jedes noch so aberwitzige Szenario reagieren, auch war es nicht so tragisch, wenn meine Kamera bei einem bierseligen Zwischenfall in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Jetzt bin ich schon viereinhalb Jahre dabei und so zu einem festen Teil der Nürnberger Szene geworden. Ich bin ein Teil des Lebens der Leute und fotografiere sie in allen erdenklichen Situationen. Dabei lebt das Projekt ganz elementar von der Beziehung zu mir, aber auch der zur Kamera.
Diese Fotoserie hat mittlerweile ein Ausmaß angenommen, das den Rahmen einer einfachen Dokumentation übersteigt. Die Grenzen zwischen Realität, Selbstinszenierung und Kontrolle über das eigene Bild mischen sich mit der Fiktion einer expressionistischen Punkerkultur. Dabei handelt es sich weniger um eine Dokumentation, als vielmehr um ein Zeitzeugnis.
Diese Zeit in Nürnberg hat mich geprägt und meine Perspektive geöffnet. Ich verdanke diesen Menschen, die ich glücklicherweise zu meinen Freund*innen zählen kann, viele tolle Erfahrungen und Geschichten. Ich wünschte ich könnte das alles noch einmal durchleben. Als Abschluss möchte ich meinen Freund*innen, den Punx und der Szene im Allgemeinen ein Denkmal setzen, daher habe ich mich dazu entschlossen, ein Buch zu publizieren, das in Zusammenarbeit mit den Nürnberger Punx entstanden ist.
Darin sieht man den fränkischen, zeitgenössischen Punk von seiner besonders lebendigen Seite. Man springt in den Pogo, hängt in Szenekneipen ab, pöbelt auf Demos, ärgert die Bullen, schnorrt am BK, gibt sich dem Alkohol hin, wälzt sich im Rudel in abgerockten WGs aufeinander und feiert den Rausch, die Selbstzerstörung, das Leben.
Mir war es wichtig, dass dieses Buch nicht eine schnöde, dokumentarische Fotoreihe von außen zeigt, sondern eine authentische Szene, die von innen betrachtet wird. Was ich mit den Bildern nicht zeigen kann, drücken zwei Punkveteranen, Nille Hangoverson und Lutz, mit ihren Texten aus und bereichern die Bilder um einige legendäre Geschichten.
Insgesamt werden für die Realisierung des Projektes als Fotobuch 6.500 € benötigt. Der Betrag fließt komplett in die Produktion. Unterstützer*innen können das Fotobuch vorbestellen oder sich über andere „Dankeschöns“ wie zum Beispiel selbstgestaltete Patches, Sticker oder Flaschenöffner freuen.