Sonnenaufgang über einer Stadt
13. Oktober 2020 Lesezeit: ~36 Minuten

Im Gespräch mit Johannes Mairhofer

Durch die Suche nach Gesprächspartner*innen für meine Interviewserie, die ich im letzten Monat begonnen habe, bin ich auf Johannes Mairhofer aufmerksam geworden. Streng betrachtet passt er nicht ins Raster der Serie, nichtsdestotrotz haben wir uns ausführlich und spannend unterhalten.

Im Gespräch haben wir schnell festgestellt, dass wir ganz ähnlich ticken und teilweise vergleichbare Erfahrungen gemacht haben. Unter anderem rund um die Themen Scheitern, Grundeinkommen, berufliche Fotografie zwischen Anstellung und Selbstständigkeit sowie Behinderung hat sich eine für uns beide bereichernde Unterhaltung entwickelt.

Männerportrait

Mein Cousin Clemens brauchte mehrere Bilder für verschiedene Bedarfe – fündig wurden wir im Gängeviertel meines primären Wohnorts Hamburg, das uns Kunst, Graffiti sowie neutrale, aber auch bunte Hintergründe in unmittelbarer Nähe bot.

Hallo Johannes, fangen wir mal ganz vorn an: Wie bist Du zur Fotografie gekommen?

Fotografie hat mir tatsächlich schon immer viel Spaß gemacht und ich habe nach der Schule überlegt, eine Ausbildung zu machen. Die finanziellen Aussichten und Einsichten in eine Festanstellung waren damals aber nicht so toll und Selbstständigkeit keine Option, an die ich gedacht habe. So habe mich dann für eine andere Ausbildung zum Fachinformatiker entschieden, während der Ausbildung aber schon gemerkt, dass das nicht so ganz das Wahre ist.

Die Ausbildung habe ich dennoch beendet und die Fotografie als Ausgleich im Hobby betrieben. Ich habe dann einen Workshop besucht, bei dem ich fotografisch zwar nicht viel gelernt hatte, der mir aber Klarheit gebracht hat, dass ich unbedingt beruflich fotografieren möchte. Es kamen erste Anfragen von Freund*innen, dann von Freundesfreunden und so hat es sich rumgesprochen.

Durch Teilzeit und flexible Gleitzeit konnte ich mein Geschäft ab 2008 gut nebenbei aufbauen und habe einerseits eigene Aufträge fotografiert, aber auch ein Praktikum gemacht und viel assistiert. Bei der Assistenz habe ich am meisten gelernt und mit einem der Fotografen bin ich heute noch gut befreundet. Irgendwann dachte ich dann, dass ich mich später ärgere, wenn ich das jetzt nicht probiere – also habe ich gekündigt, um mich zum Jahresbeginn 2010 mit einem Gründerzuschuss selbstständig zu machen.

Angefangen hat es dann mit Portraits und Eventfotografie. Ich habe viel bei den Kund*innen vor Ort fotografiert, hatte aber auch ein Studio mit anderen zusammen, in dem ich viel machen konnte. Für Messefotos war ich in ganz Deutschland unterwegs, vor allem zwei Stammkunden haben mich in dem Bereich mit vielen Aufträgen versorgt.

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Wie ging es weiter, nachdem Du gegründet hattest?

Das erste Jahr lief gut, durch den Gründerzuschuss war ich beruhigt und konnte gut leben. Das zweite war das beste Jahr, in diesem hatte mit einem Kollegen ein großes Jahresprojekt für eine Gewerkschaft, das war klasse. Danach war es ehrlicherweise recht wechselhaft. Nach etwa fünf Jahren bekam ich eine Krise:

Es hat damit angefangen, dass bei den beiden Stammkunden, mit denen ich am meisten zu tun hatte, meine Ansprechpartner*innen die Firmen verlassen haben. Die jeweiligen Nachfolgekontakte hatten dann eigene Lieblingsfotograf*innen und so war ich da raus.

Es ging gar nichts mehr: Keine Fotos, keine Vorträge, keines meiner Standbeine hat funktioniert. Damals war ich auch als freier Mitarbeiter ab und an beim Bayerischen Rundfunk tätig, doch der BR hat gespart, sodass auch von dort weniger Jobs kamen und ich finanziell ziemlich am Limit war.

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Ich hatte keine Aufträge und keine Motivation – ich denke, das ist dann auch der Teufelskreis: Keine Motivation überträgt sich ja auch auf die Bilder und die Kundschaft. Heißt: Wenn ich nicht an mich glaube, warum sollte das ein potentieller Kunde dann tun? Es wurde immer schlimmer und irgendwann ging es nicht mehr, obwohl ich mir schon Geld von Familie und Freunden geliehen hatte.

Also habe ich den „Notausstieg“ genommen und mir einen Job gesucht. Ich hatte wirklich gar keine Lust mehr auf Freiberuflichkeit, daher kam auch die Entscheidung zur Vollzeitanstellung. Dort ist mir dann aber zum Glück recht schnell wieder klar geworden, warum ich fünf Jahre vorher gekündigt hatte und ich habe noch in der Probezeit wieder gekündigt.

Mit der Fotografie war ich aber eine Weile auf Kriegsfuß. Hatte alles verkauft, im Jahr 2017 kein einziges Foto gemacht und mit dem Thema eigentlich abgeschlossen.

Kurze Zeit später kam ich durch die Kollegschaft meines Ausbildungsbetriebes in einem Job in Teilzeit unter. Das ist eine Kombination, die für mich sehr gut funktioniert hat und daraus habe ich auch eine wichtige Erfahrung für mich mitgenommen: Wenn Du gehst, geht nicht im Streit und bleib mit den Menschen in Kontakt.

Portrait Menschen auf einer Feier

Die BayernSPD fragte mich auf Empfehlung einer Kollegin, die selbst keine Zeit hatte, an, ob ich am selben Abend „ein paar Fotos vom Geburtstag von Christian Ude“ (damals Münchens Oberbürgermeister) machen könnte. Alles im kleinen Rahmen, ein paar Freunde, vier oder fünf Bilder, fertig – wie klein die Feier war, lässt sich erahnen.

Wie sahen die Reaktionen Deines Umfelds aus, als es mit Deiner Selbstständigkeit bergab ging?

In meinem direkten Umfeld sind nur sehr wenige Freiberufler, Unternehmer oder Selbstständige, sodass es erst einmal wenig Verständnis für die Herausforderungen gibt, die so eine Entscheidung mit sich bringt.

Meine Familie hat mich aber trotzdem stark unterstützt, das muss ich schon sagen. Vor allem finanziell wurde ich in den schwierigen Zeiten aufgefangen. Meinen Eltern ist es lange schwer gefallen, meine Existenzgründung nachzuvollziehen. Ich denke, sie waren entsprechend am Ende sehr froh, als ich wieder ein „Grundeinkommen“ und damit verbunden Sicherheit hatte.

Im Freundeskreis habe ich nur mit denen so richtig intensiv darüber gesprochen, die selbst Freiberufler oder Unternehmer sind. Von ihnen kam viel Verständnis und Respekt für die Entscheidung.

Portrait Menschen auf einer Feier

Ich war seit Beginn meines Studiums nebenher selbstständig, irgendwann auch hauptberuflich. Unter anderem mit Design, Programmierung und auch Fotografie – thematisch ähnlich bunt wie bei Dir. Ich hatte auch mal die Idee, mir parallel eine Teilzeitstelle zu suchen, die ein regelmäßiges Einkommen bietet.

Den einzigen praktischen Versuch in der Richtung habe ich dann aber nur vor zwei Jahren mal im Einzelhandel gestartet, nach mehreren Monaten hatte sich aber keine Regelmäßigkeit im Dienstplan eingestellt. Also habe ich wieder gekündigt, denn genauso viel Stress, aber für bessere Bezahlung konnte ich auch in Selbstständigkeit haben.

Es ist schon wichtig, dass der Job auch Spaß macht, selbst wenn es ein Grundeinkommen ist und der Sicherheit dient. Einen Teilzeitjob zu finden, der zu mir und meinen Ansprüchen passt, ist auch echt schwer. Regelmäßige Arbeitszeiten, Schichtdienst und nine-to-five-Tätigkeiten bringen mich eher dazu, wegzulaufen.

Mein jetziger Teilzeitjob verschafft mir sehr viel Freiheiten und ich sehe das wie gesagt als eine Art „Grundeinkommen“, denn so kann ich einerseits ehrenamtliche Projekte wie zum Beispiel #keinwiderspruch oder ganz aktuell speakabled.com umsetzen und – das ist ein sehr angenehmer Nebeneffekt – ich kann beruhigt auch mal Jobanfragen ablehnen, die mir nicht wirklich gefallen.

Zu Beginn meiner Selbstständigkeit habe ich doch mehr Aufträge angenommen, als ich zugeben möchte, weil ich sie brauchte, um die wichtigsten Ausgaben zu decken – obwohl ich sie nicht machen wollte. Durch das Grundeinkommen ist die Miete gezahlt, der Kühlschrank nicht randvoll, aber gefüllt und vor allem die Krankenkasse ist sicher. Ein Coworking-Büro hatte ich auch mal, denn das Gefühl, „zur Arbeit zu fahren“, hilft mir schon ganz gut bei der Trennung von Beruf und Privatleben.

Portrait Menschen auf einer Feier

Ich kann mir zum Beispiel gar nicht mehr vorstellen, täglich das Haus zu verlassen, um zu einer Tätigkeitsstätte zu fahren, für mich habe ich festgestellt, dass es ohne feste Zeitpläne oder Fahrerei zu einem anderen Ort am besten funktioniert.

Mein Eindruck ist ja, dass in Deutschland kaum eine positive Facette im Scheitern gesehen wird. Wie siehst Du das?

Ich sehe das zwiegespalten: Es gab mal eine Weile den Hype der Failnights und Fuckupnights, auf denen das Scheitern direkt gefeiert wurde. Ich war auch mal als Referent eingeladen, über mein Scheitern zu sprechen. In der Vorbereitung meines Vortrags ist mir dann aber bewusst geworden, dass ich es gar nicht als Scheitern empfunden habe, es war einfach Zeit für etwas anderes.

In der fotografielosen Zeit habe ich zum Beispiel fachliche Texte geschrieben und WordPress-Kurse gegeben. Bei den anderen Vorträgen, die ich mir angesehen habe, kam es mir oft wie ein Marketing-Gag vor. Da haben die Referent*innen zwar übers Scheitern gesprochen, aber fast alle hatten zur Zeit des Vortrags etwas tolles Neues entwickelt und das Davor war gar nicht so sehr gescheitert, sondern eher ein Zwischenschritt, wie bei mir.

Vielleicht hast Du Recht, der öffentliche Umgang mit echtem Scheitern ist in Deutschland wohl gesellschaftlich nicht so gern gesehen. Du hast ja das Ende Deines kurzen Teilzeitjobs im Einzelhandel auch nicht als Scheitern gesehen, oder?

Portrait Menschen auf einer Feier

Genau, sondern eher als etwas, was ich ausprobiert und durch das ich einiges über mich gelernt habe. Erst, wenn man etwas tatsächlich macht, kann man feststellen, wie viel davon dann wirklich so wie in der Vorstellung ist, was vielleicht auch eine komplett an der Realität vorbeigehende Wunschvorstellung war und was für negative Aspekte es noch gibt, auf die man nie gekommen wäre.

Ich denke, ich wünsche mir, dass in unserer Kultur viel öfter Menschen sagen: Probier es doch einfach mal aus, wenn es Dich interessiert. Wenn Du merkst, dass es Dir nicht gefällt, dann machst Du eben etwas anderes oder Du entdeckst beim Ausprobieren etwas anderes, von dessen Existenz Du gar nichts wusstest und verfolgst dann das weiter.

Ja, da sprichst Du mir sowas von aus der Seele! Viel zu wenige Menschen probieren einfach aus und sperren „das innere neugierige Kind“ ein. Viele, die ich kenne, schimpfen zwar über ihre Umstände, aber ändern auch nichts oder sind geradezu gefangen im Trott. Das kann ich absolut nicht nachvollziehen.

mehrere gedeckte lange Tafeln in einem Saal

Ich bin vielleicht auch etwas extrem, habe auch schon wirklich viele Dinge ausprobiert und da hat natürlich einiges nicht geklappt. Die Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, möchte ich aber auf keinen Fall missen und so gesehen finde ich das Wort „scheitern“ auch nicht so gut, es ist mir zu negativ behaftet.

„Etwas Ordentliches“ lernen und dann trotzdem das zu tun, wozu das Herz mich zieht, ist für mich kein Widerspruch. Einerseits kann das ja durchaus dasselbe sein, andererseits war es bei mir persönlich auch so, dass ich nach der Schule „etwas Ordentliches“ gelernt habe, anstatt es gleich in der Fotografie zu versuchen. Die Ausbildung zum Fachinformatiker hilft mir aber auch heute immer wieder und war zum Beispiel auch sehr hilfreich für die Bewerbung zu meinem jetzigen Grundeinkommen.

Auch, wenn die Entscheidung zu dieser Ausbildung damals eher durch den Wunsch meiner Eltern bedingt – oder sagen wir lieber: beeinflusst – war. Rückblickend merke ich, dass sie mir immer wieder hilft und außerdem Veränderung ein großer Teil meines Lebens ist, beruflich und privat.

Portrait zwei Männer vor grüner Wand

Aus meinem ersten echten und bezahlten Auftrag, damals noch in Teilzeit-Freiberuflichkeit, vor Ort beim Kunden. Die beiden hatten eine Firma für Online-Spiele gegründet; Boris, rechts im Bild, kannte ich noch aus der Schule.

Vielleicht ist kwerfeldein eigentlich mein Grundeinkommen: Durch die wechselnden Inhalte immer spannend, aber von der Tätigkeit des Schreibens her auch irgendwie gleich und vertraut, da habe ich eine Sicherheit.

Ich bin bei neuen Ideen und Projekten immer sehr euphorisch und wenn ich etwas schon sehr lange immer gleich mache, langweilt es mich dann sehr. Daher kann ich gar nicht nachvollziehen, wie Angestellte nicht irgendwann durchdrehen.

Ich kann mir das gar nicht vorstellen, zehn Jahre bei derselben Firma mit denselben Tätigkeiten ist für mich eine ziemlich grausame Vorstellung. Bei meinem Ausbildungsbetrieb blieb ich rund 5 Jahre, war dann 5 Jahre lang selbstständig (aber in vielen verschiedenen Bereichen), dann der sehr kurz in Vollzeitanstellung, dann drei Jahre Teilzeit in einer Behörde und jetzt seit etwas über einem Jahr neue Teilzeit mit neuen Erfahrungen im bayerischen Landtag bei einer Fraktion.

Ich mag Bereiche, in die nicht jeder Einsicht hat. Der Landtag ist definitiv ein solcher Bereich. Dort zu arbeiten, empfinde ich als spannend und auch die Arbeiten sind sehr abwechslungsreich. Als Fotograf komme ich auch immer wieder in solche Bereiche. Darf kurz in andere Leben eintauchen, Menschen kennenlernen und begleiten, in Firmen einblicken und Projekte initiieren. Diese Neugierde ist schon fast eine Art Sucht.

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Meine Mitbewohnerin Katja Diehl lernte ich durch ein WordPress-Training kennen. Aus der Kunden-Beziehung wurde eine Freundschaft und aus dem Gästezimmer, das sie für kurze Besucher in Hamburg zur Verfügung gestellt hatte, entwickelte sich eine WG.

Wie kam es dazu, dass Du Dich doch wieder mit der Fotografie selbstständig gemacht hast?

2018 habe ich eine kleine, freie Reportage gemacht und dann meinen Stil und meine Schwerpunkte geändert. Der Spaß kam zurück und damit auch die Motivation und neue Kund*innen, die zu den Schwerpunkten passen: Ich hatte viel weniger Technik und mich mehr auf Menschen und Geschichten konzentriert, statt auf Studio und Messestände.

Eins meiner größten freien Projekte war #keinwiderspruch. Der Aufhänger: „Trotz der Behinderung meistert er sein Leben“, „sie ist an den Rollstuhl gefesselt“ oder „kleiner Mann ganz groß“ – Diese und ähnliche grausame Umschreibungen liest man leider nach wie vor sehr häufig in den Medien, aber das sind falsche und sehr klischeebehaftete Darstellungen von Menschen mit Behinderung.

Ich selbst habe eine sichtbare Behinderung und war damals ab und zu in den Medien, wo es dann hieß: „Trotz der Behinderung ist er Fotograf geworden.“ Das klingt wie ein Widerspruch, in meiner Wahrnehmung war das aber gar keiner. Meine Behinderung hat mich in meiner Entscheidung, selbstständig zu werden, nie beeinflusst.

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Wenn überhaupt, dann im Positiven: Ich sehe nur auf einem Auge und wurde dann immer wieder mit der Frage kontaktiert, wie das denn geht, Fotograf zu sein, der nur mit einem Auge sieht. Dann habe ich immer gesagt: „Sieh Dir doch mal andere Fotograf*innen an, die schauen auch nur mit einem Auge durch den Sucher.“ Das hat dann bei vielen Klick gemacht.

So ist der Name entstanden: #keinwiderspruch. Ich bin zwei Jahre lang durch ganz Deutschland gefahren und habe Menschen mit Behinderung getroffen und fotografiert, die ebenfalls tolle Projekte machen – wie ich nicht trotz, sondern wegen der Behinderung. Alle haben einen Text zu ihrem Projekt oder über sich geschrieben und alle Texte und Bilder wurden auf einer Webseite gesammelt.

Das passt sogar wieder zum Thema Scheitern: Eigentlich sollten eine Wanderausstellung und ein Buch aus dem Projekt werden, das ich via Crowdfunding finanzieren wollte, was am Ende nicht geklappt hat. Die Bilder und Texte waren aber schon online zu sehen und zu lesen und immer wieder bekomme ich noch heute Feedback dazu.

Alle Texte und Bilder sind mittlerweile in ein Archiv gewandert und was da alles an Arbeit an so einem großen Projekt hängt, habe ich einmal ausführlich notiert: Konzept, Planung und Bildsprache eines Projektes.

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Ich finde es super, wie ausführlich Du das Konzept und die Planung des Projekts da einmal aufgeschrieben hast. Wenn man es einmal wirklich so klein herunterbricht, kann das helfen, den Zeitaufwand für all die Details besser einzuschätzen und auch im Eifer nichts zu vergessen, etwa ein Model Release aufzusetzen.

Ja, das Model Release finde ich sehr wichtig, denn das sichert ja sowohl die Protagonist*innen als auch mich ab, damit die Bilder seriös behandelt werden und auch in Zukunft behandelt werden dürfen. Vieles kam aber erst im Lauf der Zeit, als ich das Projekt konkreter geplant habe. Das im Nachhinein aufzuschreiben, hilft einerseits mir beim nächsten Projekt, aber vielleicht auch anderen (angehenden) Fotograf*innen, die gern eigene Projekte starten möchten.

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David Lebuser war einer der Protagonisten im Projekt #keinwiderspruch, er ist Rollstuhl-Skate-Weltmeister, Aktivist und war bei Millionärswahl mit dabei. Im Projekt sit ’n’ skate gibt er mit seiner Freundin Lisa Workshops, berät und ist dauernd unterwegs – ein Wunder, dass wir uns in Hamburg getroffen haben.

Beim Lesen der Texte zu #keinwiderspruch fand ich es einerseits erschreckend, mit was für Begegnungen die meisten Portraitierten sich tagtäglich herumschlagen müssen, andererseits ertappe ich mich beim Lesen auch dabei, mich in einigem wiederzuerkennen, etwa Menschen im Rollstuhl auf den ersten Blick auf ihre Behinderung zu reduzieren. Da müssen wir alle einzeln sowie die Gesellschaft als Ganzes noch einiges tun.

Ein Problem auf dem Weg dorthin dürfte sein, dass man als Mensch, der sich als nicht-behindert identifiziert, so selten Berührung mit Menschen mit (sichtbarer) Behinderung hat. Das erstickt dann Ideen wie „Hey, vielleicht sollte ich/jeder einfach mal ein Basisvokabular Gebärdensprache lernen“ im Keim, weil als zweiter Gedanke dann leider kommt: „Ach, lohnt sich ja nicht, wann kann ich das im Alltag denn schon mal anwenden?“

Dazu eine kleine Geschichte: In meiner Klasse haben zwei Klassenkameradinnen die Gebärdensprache gelernt (zumindest das Finger-Alphabet), damit sie sich in Tests gegenseitig helfen können. Sie haben sich dann gegenüber anstatt nebeneinander gesetzt und konnten sich so ganz normal unterhalten.

Das mal so als Beispiel, wie Anwendungsmöglichkeiten von inklusiven Hilfsmitteln viel öfter weiter gedacht werden sollten. Ganz banal, aber ähnlich: Die digitale Barrierefreiheit. Bildbeschreibungen helfen auch Menschen, die gerade ein schlechtes Internet haben, wenn sie angezeigt bekommen, was auf einem Bild zu sehen ist, wenn das Bild selbst nicht geladen wird.

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Was musst Du Dir als Mensch mit sichtbarer Behinderung immer wieder für (doofe) Fragen oder Sprüche anhören? Wo bzw. wie wirst Du behindert? Was für Fortschritte wünschst Du Dir in diesem Bereich?

Ein Freund hatte mich drauf gebracht und eine Slideshow über mich produziert, dass ich Fotograf mit Glasauge bin, meine Umgebung also zweidimensional sehe. Ich habe also einen „Marketinggag“ daraus gemacht, das hat für mich gut funktioniert, weil ja klar ist, dass alle Fotograf*innen mit nur einem Auge durch die Kamera schauen.

Es hat über den Gag hinaus aber auch Anspannung genommen, denn ich habe schon gemerkt, dass manche Menschen Schwierigkeiten damit hatten und haben, bei Menschen mit Behinderung nicht „ins Fettnäpfchen“ zu treten. Das ist sicher auch eine Angst, die entsteht, weil sie sonst keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderungen haben.

Aber durch so einen, meinem Empfinden nach, lockeren und humorvollen Umgang kann ich oft Wind aus den Segeln nehmen und vermute schon, dass sich das auf andere spiegelt, die dann auch lockerer werden.

Früher konnte ich auch dreidimensional sehen, aber mittlerweile wurde mir das linke Auge entfernt. Dadurch, dass das räumliche Sehen zwar vom Gehirn ziemlich gut simuliert wird, aber eben nicht ganz echt ist, habe ich tatsächlich etwa beim Einparken Schwierigkeiten und LKW dürfte ich gar nicht fahren. Da ich aber nicht gern Auto fahre und lieber das Fahrrad oder den Zug nutze, ist das für mich keine schlimme Einschränkung.

Für mich ganz persönlich und egoistisch gesehen, geht es mir damit also gut. Aber durch Freund*innen und Projekte wie #keinwiderspruch oder speakabled.com merke ich schon, dass Deutschland noch deutliche Defizite hat. Ganz einfach in der mangelnden Barrierefreiheit digital und natürlich am Bau: Fehlende Rampen, unnötige Stufen, kaputte Rolltreppen und Lifte, falsche oder unklare Blindenleitspuren.

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Die klischeebeladene Darstellung von Menschen mit Behinderung findet ja sicher nicht nur in den Texten, sondern auch in Bildern statt. Wie fotografierst Du selbst, um ein besseres Beispiel zu bieten?

Bei #keinwiderspruch etwa wurde ich immer wieder gefragt, warum ich nicht den Rollstuhl oder die Behinderung zeige – aber genau das war ja das Thema: Die Protagonist*innen sollten nicht auf die Behinderung reduziert werden. Es sollte – deutlich formuliert – kein „Behinderten-Zoo“ sein, sondern um die Menschen und ihre Projekte gehen. Manche haben die Behinderung im Text angesprochen, viele aber auch nicht.

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Auch Lisa war Protagonistin bei #keinwiderspruch – mit ihr und David verbindet mich mittlerweile eine gute Freundschaft. Die beiden wohnen auch in Hamburg und haben mir den Start in dieser Stadt noch leichter gemacht. Ehrensache, dass wir uns gegenseitig unterstützen.

Wie sieht „Dein Coronajahr“ bisher so aus?

In diesem Jahr wollte ich eigentlich wieder so richtig starten und viel fotografieren, aber wieder kam es anders, Corona hat noch einmal einiges geändert. Ein großes Projekt für den bayerischen Blindenverband stand an, bei dem geplant war, in ganz Bayern zehn Protagonist*innen zu treffen und zu fotografieren.

Da dieser mit den Referenzen zufrieden war, habe ich die erste Protagonistin auch genauso fotografiert. Schön, draußen, und wie bei #keinwiderspruch ohne Klischees wie Blindenstock, Hunde oder Blindenzeichen. Tatsächlich war ich gespannt, ob die Bilder so gut ankommen würden, wie ich es hoffte, denn man muss ja auch sagen, dass Verbände von Spenden leben und Spender*innen gern Klischees sehen möchten.

Nach der ersten Protagonistin habe ich die Bilder meiner Kontaktperson geschickt, die wiederum als eine Art Agentur zwischen mir und dem Verband stand. Sie fand die Bilder auch gut, war sich aber ebenfalls nicht sicher, ob mehr Klischees besser gewesen wären.

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Kurze Zeit später kam dann das offizielle Feedback: Der Verband war sehr zufrieden und fand gerade die Befreiung von den gängigen Klischees auch so toll wie wir. Dafür bin ich doppelt dankbar, denn so etwas erfordert ja auch ein Umdenken aus alten Strukturen und Mut, eben auch ohne Klischees zu arbeiten.

Projekt dieser Art und in der Größe liebe ich: Bildsprache überlegen, Konzept erstellen, die Fahrten organisieren, alles absprechen und dann ist alles im Fluss ist und alle Termine sind so koordiniert, dass man an wenigen Tagen viele Leute besuchen kann und alle haben auch Lust, fotografiert zu werden.

Nun ist meine Fotografie an sich immer sehr nah, ich sitze meinen Kund*innen fast auf dem Schoß. Das Projekt sollte gerade losgehen, ich hatte schon die erste Runde organisiert und dann kamen die Kontaktsperren.

Zum Glück wollte der Verband das Projekt weiterhin umsetzen und auch meine Bilder haben. So habe ich mir eine neue Bildsprache überlegt, die an die alte erinnert, aber kontaktlos und mit einem Abstand von 2 m umgesetzt werden kann. Dazu musste ich natürlich auch neue Technik kaufen.

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Ich habe gesehen, dass Du Dir von der Pandemie die Fotografie ja nicht hast verbieten lassen, sondern wie andere Fotograf*innen auch sozusagen ein spezielles Angebot daraus machst.

Bei dem großen Auftrag ist etwas Tolles passiert: Eine der Protagonist*innen war so begeistert von den Fotos, dass sie mich direkt noch einmal privat gebucht hat, um sie und ihre Familie zu fotografieren.

Da ich eh einen Artikel in meinem kleinen Magazin schreiben wollte, wie ich in Zeiten von Corona fotografieren kann und warum ein Fotoshooting eben nicht für 25 € angeboten werden kann, habe ich diese Zusammenfassung dann einfach mal als Paket auch für andere private Kund*innen angeboten. Das ist praktisch, denn so kann ich darauf verweisen, wenn jemand fragt und es kamen auch schon einige Anfragen dazu.

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Das Jugendmagazin Spiesser beauftragte mich kurzfristig, für ein Interview Fotos von „einem Amazon-Mitarbeiter“ zu machen. Erst 20 Minuten vor den Aufnahmen erfuhr ich den Namen des Mitarbeiters: Ralf Kleber. Also nicht irgendeiner, sondern der Chef von Amazon Deutschland. So entstanden ein paar Fotos in seinem Büro und ich dokumentierte das Interview, das in einer Pizzeria um die Ecke stattfand.

Läuft es mit der neuen Bildsprache und 2 m Abstand in der Pandemie für Dich jetzt wieder mit neuen Aufträgen von Privat- und Geschäftskund*innen?

Leider kann ich auch noch nicht behaupten, dass es wieder so richtig gut läuft, da bin ich ganz froh über die mehreren Standbeine und auch den Teilzeitjob. Aus dem Projekt für den Blindenverband wurde aber direkt noch ein Folgeauftrag für eine Pressekonferenz und der Verband hat mir ein besonders tolles Referenzschreiben geschrieben, auf das ich sehr stolz bin.

Es kamen dann noch ein paar Portraits für Freiberufler*innen und wenige, aber immerhin auch einige Privatkund*innen. Dazu muss ich aber auch sagen, dass ich meine Preise nicht an die jeweiligen Kund*innen anpasse, sondern alle erhalten das gleiche Angebot. Ich verstehe gut, dass gerade in diesen unsicheren Zeiten nicht jeder Geld für Fotos ausgeben möchte und kann.

Außerdem gefallen meine Bilder sicher auch nicht jedem gleich. Aber auch das sehe ich mittlerweile etwas anders als früher: Ich möchte für meinen Stil gebucht werden. Entweder der gefällt oder er gefällt nicht. Mit beidem kann ich gut leben. Aber ich verändere meinen Stil nicht, nur um einen Auftrag zu bekommen.

Männerportrait

Es scheint heute wichtiger denn je zu sein, sich ganz bewusst mit dem eigenen Stil aufzustellen, statt beliebige Kundenwünsche zu bedienen. Man könnte ja meinen, dass bei einem Überangebot von Fotograf*innen die Kund*innen diktieren können, was sie zu welchem Preis bekommen.

Allerdings gibt es natürlich noch andere Marktmechanismen und weitere Einflüsse wie visuelle Trends oder psychologische Effekte wie der Wunsch der Menschen, etwas Besonderes haben zu wollen, weshalb sich mit Exklusivität arbeiten lässt.

In vielen Bereichen können sie das ja auch oder sie meinen es zumindest. Was aber dann am Ende herauskommt, ist „Einheitsbrei“. Wenn alle alles anbieten, ist es nicht mehr besonders. Wenn der Preis das einzige Entscheidungskriterium ist, dann leidet die Qualität. Es gibt Plattformen im Internet, wo man ausschreibt, was man braucht und Anbieter*innen unterbieten sich gegenseitig – ganze Logos für 5 €, dementsprechend sieht es auch aus.

Männerportrait

Wie empfindest Du die immer größer werdende Konkurrenz von Fotograf*innen untereinander?

Mir hat es immer geholfen, andere nicht als Konkurrent*innen, sondern als Kolleg*innen zu sehen. Schon als ich noch Praktika und Assistenz gemacht habe, habe ich auf Team und kollegiale Unterstützung gesetzt. Große Fotoshootings in der Werbung etwa funktionieren nie ohne ein Team, da sind immer viel mehr Leute am Set als man denkt: Digital Operator, Fotoassistent*innen, Make-Up-Artists, Stylisten und Art-Direktoren.

Außerdem biete ich selbst ja eben nicht alles an und empfehle auch gern Kolleg*innen etwa wenn ich Anfragen zu Architekturfotos bekomme, die ich nicht mache. Anders herum bekomme ich ebenfalls ab und an Empfehlungen von anderen.

Vor allem als Fotoassistent habe ich spannende und große Produktionen begleitet. Das ist aber nichts für mich als Fotograf, ich arbeite mittlerweile lieber frei in der Gestaltung und ohne viel Technikeinsatz. Gegenseitigen Respekt, fachlichen Austausch und Unterstützung bei Anfragen kann man trotzdem leben, dabei hilft auch die Mitgliedschaft in Vereinen wie dem Freelens e. V., die ich absolut empfehlen kann.

Vor der Pandemie war ich in München viel auf den Regionalgruppentreffen und habe dort den echten Austausch mit Kolleg*innen sehr zu schätzen gelernt. Außerdem sind da auch ein paar tiefe Freundschaften entstanden. Es gibt auch eine E-Mail-Liste, in der man sich gut austauschen kann und Freelens als Verband organisiert immer wieder gemeinsame Aktionen wie etwa Ausstellungen und Bildbände. Momentan gibt’s auf dem Instagramkanal des Verbands viele Inhalte der Mitglieder, das finde ich toll.

Mann im Dunkeln beleuchtet von einem Display

Beim PR-Event von Amazon zum Kindle Paperwhite gab es ein „Dinner in the Dark“ mit anschließender Lesung. Während der Veranstaltung war die einzige Lichtquelle die Beleuchtung der Kindles, daher war es eine große Herausforderung für die Kameratechnik und mich, spannende Fotos zu produzieren. Trotz des Bildrauschens fand auch die vermittelnde Agentur diese Bilder besser und authentischer als im Nachhinein mit ein paar Kerzen noch nachgestellte Bilder mit den Autoren. Dies zeigt mir: Es kommt auf die Wirkung des Bildes an, unabhängig von technischer Perfektion.

Ich habe auch den Eindruck, dass es heute viel mehr mögliche Formen der Selbstverwirklichung gibt. Früher war es doch die absolute Ausnahme, wenn jemand nicht ins Raster von Anstellung als Hausfotograf*in oder Selbstständigkeit mit Fotostudio passte. Da gab’s noch ein paar Fotojournalist*innen und dann kam lange nichts.

Heute ist es viel verbreiteter und damit akzeptierter, etwa mehrere Standbeine zu haben, in festen oder flexiblen Teams mit anderen Fotograf*innen oder Medienschaffenden zu arbeiten oder sogar ganz neue Formen zu bedienen.

Was sind Deine Erfahrungen und welche Empfehlungen würdest Du anderen mitgeben? Was hast Du aus der ersten gescheiterten Selbstständigkeit gelernt, sodass die zweite nun besser funktioniert?

Bei mir ist das schon kurz nach der Selbstständigkeit losgegangen mit den mehreren Standbeinen. WordPress-Beratung kam durch Anfragen von Kolleg*innen ziemlich schnell dazu, meine Fotografie ist jetzt konkret auf Portrait im Reportagestil stark fokussiert, digitale Beratung mit Schwerpunkt WordPress ist weiterhin mit dabei und fachliche Artikel und Vorträge zu diesen beiden Themenkomplexen sind noch dazugekommen.

Menschen im Dunkeln, beleuchtet von Displays

So sind die Standbeine zwar gut und breit verteilt, die Schwerpunkte jeweils aber ziemlich spitz. So konnte ich mich in mehreren Bereichen selbst verwirklichen und bin einigermaßen gut aufgestellt. Das muss ich schon zugeben: Von der Fotografie allein könnte ich momentan nicht leben.

Meine Mitbewohnerin hat mich auch darauf gebracht, für mein Ehrenamt-Projekt speakabled.com ein PayPal-Konto zu eröffnen. So biete ich die Möglichkeit, das Projekt finanziell und ohne große Hürden zu unterstützen. Das hat sich mittlerweile wirklich gelohnt, so kann ich mir dank der Unterstützer*innen zum Beispiel eine Pizza leisten, während ich am Projekt arbeite oder kleine Ausgaben abfedern.

Das entlohnt bei Weitem noch nicht die Arbeitszeit, ist aber eine kleine Geste, die mich sehr freut. So etwas funktioniert meiner Erfahrung nach bei konkreten Projekten ganz gut unterstützend, aber als alleinige Einkommensquelle eher nicht.

Die Entwicklung, die Du ansprichst, nehme ich aber wahr und finde sie auch toll. Ich sehe es auch, dass es noch nie so einfach wie heute war, etwas ganz Eigenes zu starten – sogar der eigene Blog kann dank Steady unkompliziert monetarisiert werden.

geisterhafte Mehrfachbelichtung Mann in einem Raum

Ich hatte mich beim Foto-Medienforum Kiel unter anderem mit dieser Reihe, die sich mit dem Thema Licht auseinandersetzt, für ein Stipendium beworben. Mein „fotografischer Ziehvater“, bei dem ich als Praktikant und später Fotoassistent gearbeitet habe, hat mich dabei beraten. Die Serie kam gut an, aber leider nicht gut genug – im Jahrgang bekam niemand das Stipendium.

Das klingt alles so positiv, gibt es auch Wermutstropfen?

Ja, eine kleine Einschränkung sehe ich schon: Freiberufler*in zu werden ist einfach, es zu bleiben, ist die Herausforderung. Auch, wenn die Möglichkeiten der Monetarisierung vielfältig und technisch einfach zu bedienen sind, muss man trotzdem noch interessierte Käufer*innen finden, die regelmäßige Unterstützung anbieten. Das wird von vielen, die gründen, oft vergessen.

Nicht zu vergessen der Papierkram, am Ende ist eine Selbstständigkeit doch recht viel Bürokratie unter anderem durch Steuern, rechtliche Beratung und Versicherungen. In etwa zehn Jahren habe ich allerdings wahnsinnig viel gelernt und „die Denke“ des Selbstständigen kann ich auch gut in meine Teilzeitstelle einbringen.

Auch, wenn es immer wieder schlechte Zeiten gab, war die Existenzgründung meine bisher beste Lebensentscheidung. Da ich einen Gründerzuschuss beantragt habe, musste ich dafür einen Businessplan erstellen, der mir selbst auch geholfen hat, mir genau zu überlegen, ob und wie meine Selbstständigkeit funktionieren kann. So etwas würde ich allen empfehlen, das hilft bei der Planung der ersten Monate.

Gerade als Fotograf*in sind auch freie Projekte meiner Meinung nach essentiell und wichtig. Für die eigene Entwicklung, zum Testen neuer Technik, als Herausforderung oder auch als Ausgleich, wenn sonst zum Beispiel nur kommerzielle Projekte von Kund*innen auf der Tagesordnung stehen.

bunte Lichter im Dunkeln

Apropos Projekt, ich habe gesehen, dass Du jetzt ein neues Projekt hast: kultivers. Um was geht’s bei diesem Projekt, was ist für die Zukunft geplant?

Lustige Geschichte: bei #keinwidersuch war einer der Protagonisten Raul Krauthausen, mit dem ich immer wieder in Kontakt stehe. Er hat in seinem Newsletter etwas von mir vorgestellt, worauf ein Mitarbeiter der Stadt München, der für Kulturförderung zuständig ist, auf mich aufmerksam wurde. Er hat mich motiviert, doch mal wieder ein neues Projekt zu denken und hatte Förderungsbereitschaft signalisiert. Nach den Gesprächen ist mir ist eine vage Idee gekommen, die ich dann gemeinsam mit Caroline von Eichhorn besprochen und erweitert habe.

Wir wollten gern die Kulturlandschaft in München unterstützen, dazu waren Portraits von kulturschaffenden Münchner*innen, die sich mit Vielfalt auseinandersetzen, geplant. Sei es durch eigene Erfahrungen oder durch Verarbeitung in Kunst, zum Beispiel Theaterstücken. Dabei war uns aber wichtig, dass Vielseitigkeit weiter gedacht wird, also neben Menschen mit Behinderung auch Frauen und People of Colour repräsentiert werden. Caroline hätte die Kulturschaffenden in einem Text und ich fotografisch portraitiert.

Wir waren uns darin einig, dies nicht als Ehrenamt zu planen, sondern wir wollten uns selbst fair entlohnen und auch unsere Protagonist*innen beteiligen. Außerdem waren auch Materialkosten für hochwertige Drucke und ähnliches einzuplanen. Das Konzept stand, wir wollten erst Geld sammeln und starten, wenn wir die Arbeit für die ersten zehn Kulturschaffenden finanziert hätten.

bunte Lichter

Dann kam es leider anders und durch eine Schwangerschaft, die Corona-Pandemie und meinen Umzug nach Hamburg haben wir uns entschieden, dass wir beide gerade jeweils eigene Prioritäten haben, die einem erfolgreichen Projekt, wie es geplant war, eher im Wege stehen würden.

Mir gefällt die Idee aber nach wie vor und so habe ich die Domain behalten und das Projekt ein wenig umgedacht: Auf www.kultivers.art können sich nun Kulturschaffende selbst melden, sie werden dann (zum Pauschalpreis und im neuen Bildstil mit 2 m Abstand) von mir fotografiert und können einen eigenen Text liefern, der dann gemeinsam mit den Fotos online zu sehen ist. Außerdem bekommen sie natürlich die Bilder.

So soll eine Plattform entstehen, die im Lauf der Zeit ein Abbild der deutschen Kulturlandschaft zeigt. Momentan komme ich nur wenig dazu, diese Idee zu bewerben, daher ist bis heute nur mein eigenes Beispiel zu sehen. Das ganze Projekt ist aber noch ein weiteres Beispiel dafür, wie man mit Scheitern umgehen kann: Einfach weiterdenken, etwas anderes daraus machen.

Warst Du selbst einmal als Fotograf*in selbstständig und hast diese Selbstständigkeit wieder aufgegeben? Melde Dich gern per E-Mail bei mir, wenn Du Lust und Zeit hast, darüber in einem Interview zu sprechen und Deine Erfahrungen zu teilen.

Das Portrait von Johannes Mairhofer wurde von Daniel Weissmantel aufgenommen.

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