Kreative Selbstzerstörung
Yukimi Akiba arbeitet kreativ mit Polaroids und nutzt dabei Stickerei, Farbe und Lifts, um die Bilder zu verändern oder – wie sie selbst sagt – zu zerstören. Im Interview berichtet sie über die Technik und ihre Gefühlswelt, denn die Arbeit mit den Sofortbildern ist für sie auch eine Heilung und ein Weg, zu sich selbst zu finden.
Wie und wann bist Du auf die Sofortbildfotografie gestoßen?
Zu Weihnachten 2018 bekam ich von meiner Freundin Santa eine Instax-Kamera geschenkt. Sie meinte, sie hat sie mir geschenkt, damit ich damit die Zeit totschlagen könnte, also habe ich sie zuerst auch einfach nur benutzt, um mich nicht zu langweilen und habe die Bilder dann auf Instagram gezeigt.
Bald entdeckte ich dort auch eine Foto-Community für Sofortbildfotografie und sah neben all den Instaxbildern auch ein Polaroidfoto. Ich dachte, meine Bilder könnten besser werden, wenn ich auch die Polaroidtechnik nutzen würde und wechselte bald die Kamera.
Mit welcher Kamera arbeitest Du jetzt?
Ich nutze die OneStep+ i-Type Kamera.
Was ist für Dich der Vorteil von Polaroids im Vergleich zu Instax?
Es klingt vielleicht nach einem Klischee, aber ich mag bei den Polaroids die Gradation der Farben und die Größe mehr, zudem kann ich mit ihnen Emulsionslifts herstellen. Für mich ähnelt Polaroid den Blumen, Obst oder anderen Lebewesen. Der Film erinnert mich an Haut, Saft, Körperflüssigkeiten oder Blütenblätter. Ich mag es, dass Polaroid niemals so funktioniert, wie ich es erwartet habe und auch, dass sich die Farbe der Polaroids im Laufe der Zeit ändert und zersetzt.
Gibt es auch Nachteile?
Absolut! Polaroid lässt sich viel schwerer nähen. Meine Hände fühlen sich nach dem Arbeiten mit Polaroids immer sehr taub an. Und im Allgemeinen stört mich an der Sofortbildfotografie, dass sie so viel Müll produziert.
Du transformierst jedes einzelne Bild mit Hilfe von Fäden und Farben. Wie bist Du auf die Idee gekommen und was steckt hinter dem Konzept?
Das erste Foto, das ich mit Faden bearbeitete, war meiner Langweile geschuldet. Ich wollte es schlicht zerstören, hatte in meinem Zimmer noch diesen Faden und benutzte ihn, ohne groß darüber nachzudenken. Während ich das tat, fühlte ich mich sowohl schuldig, ein Foto zerstört zu haben, aber da war auch ein Gefühl von Befreiung. Es war alles sehr zufällig.
Ich fand auch andere Leute, die wie ich Zerstörung oder Stickerei mit Fotos verbanden. Der Akt löste in mir das Gefühl aus: „Du kannst alles erschaffen, was Du willst!“ und ermutigte mich sehr, weiter zu machen.
Steht für Dich die Fotografie oder die kreative Auseinandersetzung im Vordergrund Deiner Arbeiten?
Für mich sind das Aufnehmen, das Erstellen und das Benennen eines Fotos unterschiedliche Vorgänge. Ich genieße jeden einzelnen Prozess und das Wunder, dass meine Gedanken auf dem Bild erscheinen und sich alles unerwartet miteinander verbindet. Ich denke, es ist eher, als würden Kinder spielen – keine Kunst.
Tatsächlich bin ich nicht wirklich an „der Fotografie an sich“ interessiert. Zuallererst, weil ich mein Studium an einer Fotografieschule abgebrochen habe, als ich ein Teenager war. Da habe ich das Interesse an der Fotografie selbst verloren. Ein weiterer Grund ist, dass mein Leben lange von oberflächlichen Wahrheiten und Regeln unterdrückt wurde. Ich arbeite mit meinen Bildern gegen diese Konzepte an.
Ich kenne die japanische Kultur nicht, vielleicht ist es deshalb schwieriger für mich, genau zu verstehen, was Du mit oberflächlichen Wahrheiten und Regeln genau meinst. Ich vergleiche es mit meinen eigenen Erfahrungen mit Unterdrückung und sehe in Deinen Bildern Themen wie weibliche Identität und Sexualität.
Ja, da liegst Du richtig. Es ist etwas kompliziert. Ich empfinde mein Land als sehr krank, es gibt hier sehr große Schwierigkeiten unter anderem in Bezug auf Frauenrechte, Sexualität und Identität. Menschenrechte im Allgemeinen werden nicht genug geachtet.
Ehrlich gesagt mache ich diese Fotos, um die Zeit totzuschlagen und mich selbst zu heilen, zu überleben. Schöpfung bzw. Zerstörung spielt da eine große Rolle. Ich leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und wenn ich das Arbeiten mit den Polaroids nicht mehr brauche, höre ich vielleicht damit auf. Ich bin an nichts gebunden, zumindest hoffe ich das.
Ist es in Japan akzeptiert, über Depressionen oder psychische Krankheiten zu sprechen und Hilfe zu suchen?
Meiner Meinung nach gibt die Gesellschaft hier vor, psychische Erkrankungen zu akzeptieren, aber es ist nicht „beliebt“, sich eine Therapie zu suchen, zumindest weniger als in Europa oder Amerika. Ich habe meine posttraumatische Belastungsstörung behandeln lassen.
Aber um ehrlich zu sein, habe ich sie auch immer geheim gehalten, wenn ich zurück in die Welt ging. Die Gesellschaft verlangt das von mir. Es ist nicht leicht, in die reale Welt zurückzukehren und wieder ein gutes Verhältnis zu den Menschen zu finden.
Ich denke, das liegt an einem stillschweigenden Verständnis in Japan – Geduld ist eine Tugend. In Japan besteht ein großer Anpassungsdruck, daher sagen die Menschen selten, wie sie sich wirklich fühlen. Sie neigen dazu, sich nicht auszudrücken, um anderen zu gefallen.
Aufgrund der sozialen Medien ist dies nicht nur für Erwachsene, sondern auch schon für Kinder von Bedeutung. Ich bin so traurig, dass junge Menschen nicht versuchen, ihre Identität zu finden, sondern sich nach Anerkennung und Überanpassung sehnen. Die Selbstmordrate ist in Japan sehr hoch.
Ich denke, die Fotografie hat mich kreativ gemacht und die Kreation hilft mir, wieder aufzubauen, wer ich bin. Ich fühle mich sogar besser und stabiler als bevor ich begann, kreativ zu arbeiten.
Hattest Du neben der Arbeit an Sofortbildern auch andere kreative Techniken ausprobiert?
Ich habe auf jeden Fall nach etwas gesucht, mit dem ich mich auch ohne Worte ausdrücken kann, weil mir Worte nicht geholfen haben. Aber ich habe kein Talent zum Zeichnen, Musizieren, Tanzen oder Fotografieren. Die Instax kam genau zur richtigen Zeit in mein Leben.
Ich denke, die Sofortbildfotografie passt zu mir, weil ich alles während des gesamten Prozesses selbst handhaben kann – vom Anfang bis zum Ende. Niemand kann etwas sehen, bevor ich fertig bin. Es bedeutet für mich so etwas wie „Mein Körper gehört mir und mein Leben gehört mir“ oder „Mein Körper. Meine Wahl“. Alles hängt nur von mir ab. Ich kann mich so vor der grausamen Welt schützen, die ich kenne.
Deshalb nimmst Du auch ausschließlich Selbstportraits auf?
Ja genau. Mich auf mich selbst zu konzentrieren hilft mir, wieder aufzubauen, wer ich bin. Ich hatte durch die Krankheit jegliches Interesse an der Welt, anderen Menschen, dem Leben und dem, was ich einmal liebte, verloren. Außerdem konnte ich an nichts mehr glauben – auch nicht an Liebe, Freundlichkeit, Vertrauen oder Hoffnung, also alles, was für unser Leben wesentlich ist.
Ich musste zurückbekommen, was ich in meinem Leben verloren hatte oder wieder etwas Neues aufbauen. Ich musste erst richtig wütend werden, um mein Selbstwertgefühl aufzubauen, all meine Hässlichkeit, die Traurigkeit und den Schmerz in mir sehen. Indem ich mich nur auf mich selbst konzentrierte, konnte ich fühlen, was tief in mir ist.
Und die Arbeit mit Fäden hilft Dir dabei?
Ich nenne meine Arbeit „kreative Selbstzerstörung“. Für mich bedeutet Schöpfung nicht, meine Gedanken auszudrücken, sondern etwas Neues zu schaffen, das ich vielleicht so noch nicht gesehen habe. Zerstörung kann ein Teil des Schöpfungsprozesses sein.
Ich war angewidert von den Regeln, dem „gesunden Menschenverstand“ und allem, was die Leute sagten, weil sie mir nicht geholfen haben, weil ich es viele Male nicht geschafft habe, in die reale Welt zurückzukehren, wie es mir geraten wurde. Ich dachte, es sei nicht möglich, in die Welt zurückzukehren, wie ich es vorher getan habe und wie viele Menschen es tun. Ja, ich hatte aufgegeben.
Dann dachte ich, ich müsste wieder ganz allein sein, um aufzubauen, wer ich bin und meinen Weg zu finden. Ich kündigte meinen Job und fing an, den ganzen Tag zu kreieren. Wann immer ich etwas geschaffen hatte, habe ich gleichzeitig versucht, die Regeln zu brechen.
Ich versuchte, Dinge zu tun, für die ich mich dann schuldig fühlte. Ich habe versucht, Sachen zu machen, vor denen ich Angst hatte. Es scheint, als hätte ich Mühe, mich vom Trauma zu befreien. Aber indem ich mich jedem Wunsch nach Anerkennung und Anpassungsdruck widersetzte, fühlte ich, dass diese mir die Energie gaben, zu überleben. Es klingt eigensinnig, aber ich musste so sein. Die „kreative Selbstzerstörung“ drückt den rebellischen Geist oder die innere Kraft tief in mir aus.
Vielen Dank, dass Du so offen bist und Deine Erfahrungen mit uns teilst.
Ich hoffe, ich kann die Fantasie der Menschen anregen. Es ist nichts Richtiges oder Falsches an dem, was Du und ich fühlen. Ich denke, die Welt braucht Vorstellungskraft, um sich zum Besseren zu verändern.
Das Interview wurde von Katja Kemnitz auf Englisch geführt und für Euch ins Deutsche übersetzt.