26. Februar 2020 Lesezeit: ~5 Minuten

Rezension: Steve McCurry – A life in pictures

392 großformatige Seiten mit 350 zumeist farbigen Fotos – mehr als 100 davon sind bislang unveröffentlicht. Dazu viele Abbildungen persönlicher Gegenstände, handschriftliche Notizen und private Erinnerungsfotos. Geschrieben von seiner Schwester, Bonnie McCurry, ist das Buch ein einzigartiger Einblick in das Werk und das bewegte Leben eines der bedeutendsten Fotografen der letzten Jahrzehnte oder wie die Buchrückseite es nennt: „Das ultimative Werk zu Steve McCurry“.

Anfangs hatte ich ein wenig Probleme dabei, einen flüssigen Einstieg in das Buch zu finden. Steve McCurrys Leben wird tatsächlich von der Wiege bis zu seinem Einstieg in die professionelle Fotografie ausführlich aus der Sicht seiner älteren Schwester, deren starke Bindung zu ihrem berühmten Bruder man deutlich herauslesen kann, beschrieben.

Vom frühen, tragischen Verlust der Mutter, über den Unfall, der seinen rechten Arm dauerhaft lädierte bis zum schulischen Werdegang mit Eskapaden und Abenteuern im Jugendalter wird das Leben von Steve McCurry sehr ausführlich beschrieben – irgendwann geht die Erzählung dann über zur Fotografie und damit zur Geschichte Steve McCurrys, die wir teilweise aus seinen Bildern kennen.

Zwei Mädchen an einem Autofenster

© Steve McCurry

Im späteren Verlauf des Buches sind in dieser ausführlichen Einleitung jedoch manchmal wertvolle Hinweise und Informationen zu finden, die es einem erleichtern, manche Entscheidung oder Wendung im Leben von Steve McCurry und damit auch seine Bilder besser zu verstehen. Irgendwann fesselte mich die Geschichte, oder besser gesagt die vielen einzelnen Geschichten, die sich abgespielt haben und in den Fotos von Steve McCurry zum Ausdruck kommen.

Meine Leseabschnitte wurden immer länger und zuletzt habe ich das Buch kaum noch aus der Hand gelegt. Das Ende, mit einer großartigen Bildersammlung zu den Themen Mut, Ort der Zuflucht, Bäume und Heiligtümer, Schlaf, Unveröffentlichte Bilder und Neueste Arbeiten, entschädigte mich dann für das Ende des Lesevergnügens. In vielen Büchern bekannter Fotograf*innen habe ich für mich ein Mangel an Informationen festgestellt, denn ich wollte mehr über die Bilder und ihre Entstehung erfahren. Das ist in diesem Buch absolut nicht der Fall.

Im Buch findet sich die Geschichte von Sharbat Gula, dem afghanischen Mädchen mit den strahlend grünen Augen, das 1985 auf der Titelseite des National Geographic zu sehen war. Ebenso die Geschichte eines indischen Schneiders, der, bis zum Hals im Wasser stehend, seine alte Nähmaschine durch die Fluten des Monsuns rettet. Ground Zero, der Anschlag auf das World Trade Center, mit den einstürzenden Twin Towers.

Mädchenportrait

© Steve McCurry

Steve McCurry war gerade in New York und hat tiefgreifende Bilder gemacht – am Puls der Zeit, immer zur richtigen Zeit vor Ort, um eine Geschichte in Bildern zu erzählen. Der Fall der Berliner Mauer, die Terroranschläge während des Fußballländerspiels Frankreich gegen Deutschland im November 2015 in Paris, die Verwüstungen von Hurrikan Katrina in New Orleans – Steve McCurry und seine Nikon (bzw. sein iPhone) waren da. Und immer wieder einzigartige Bilder aus der Region Afghanistan, Pakistan und Indien, etwa der Taj Mahal und davor eine Dampflokomotive.

Portraits einfacher Menschen in ihrer Umgebung, in ihrer alltäglichen Kleidung; ausdrucksstarke Gesichter und berührende Blicke. Manche Bilder im Buch sind verstörend und trotz ihrer formell-visuellen Schönheit zeigen sie die Schrecken, die Teile der Menschheit ertragen müssen: Ein hellroter Flammenschein in der Wüste, im Mittelgrund ein defekter Panzer und im Vordergrund der aufgedunsene, schwarz verfärbte Leichnam eines Menschen.

Kinder mit schweren Waffen in einer Frontstellung, afghanische Mujaheddin auf Patrouille, zerbombte Häuser, in deren Trümmern Menschen ihr weiteres Leben organisieren. Durchhaltevermögen, Humor, ein echtes Interesse an den Menschen und eine gehörige Portion Mut, das sind Tugenden, die Steve McCurry halfen, die Fotos zu machen, die er gemacht hat und die Geschichten zu erzählen, die erzählt werden müssen.

Kran durch ein kaputtes Fenster

© Steve McCurry

Steve McCurry hat in seinem Leben viele Auszeichnungen erhalten, aber ich persönlich finde „die letzte Rolle Kodachrome“, die er nach eigenem Gusto belichten konnte und den ersten Pirelli-Kalender mit angezogenen Frauen, den er gestalten durfte, zeigen eine besondere Hochachtung, die seinem Werk und seiner Art zu fotografieren entgegengebracht wird.

Das knapp über dem DIN-A4-Format liegende Buch aus dem Verlag Knesebeck hat einen hochwertigen Einband mit Prägeschrift. Es ist in Fadenbindung gefertigt und hinterlässt einen wertigen Eindruck. Die abgedruckten Fotos haben eine originale Anmutung, sowohl die älteren analogen, als auch die neuen digitalen Bilder geben die von Steve McCurry bevorzugte Kodak-Farbigkeit gut wieder.

Wenn ich mich nun frage, ob ich aus dem Buch etwas für meine persönliche Fotografie lernen kann, muss ich ganz klar sagen: Ja! Die ausgezeichneten und thematisch weit gefächerten Fotos dieses Buches laden dazu ein, sie länger in Ruhe zu betrachten und sich dabei Gedanken und Notizen zu machen.

Ich versuche, die wichtigen und zunächst nebensächlichen Details in den unterschiedlichen Ebenen der Bilder zu entdecken, zu analysieren und vielleicht darüber auch die Gestaltung des Bildes und seine beabsichtigte Aussage zu verstehen. Das alles bringt mich persönlich, neben der reinen Freude am Lesen, in meiner persönlichen Fotografie ein Stückchen vorwärts.

Mann mit Kamera zeigt einer Gruppe Menschen die Fotos

Autorenfoto

Informationen zum Buch

„Steve McCurry A Life in Pictures – Ein Leben für die Fotografie“ von Bonnie McCurry und Steve McCurry
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Seiten: 392
Verlag: Knesebeck
Preis: 75 €

7 Kommentare

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  1. Jeder Mensch hat seine Schattenseiten. Die Geschichte von Sharbat Gula wird auch etwas anders erzählt:
    https://www.youtube.com/watch?v=RuFKpaV_jjo
    Falls der Link nicht funktioniert, bei youtube Tony Northrup und Steve McCurry eingeben.

    Möchte das kommentarlos hinstellen, da ich die Fotos von Steve McCurry auch immer spannend fand. Jedoch ist es nicht von der Hand zu weisen , das der entsetzte und verängstige Blick von Sharbat Gula von der Entschleierung herrühren könnte.

    Ansonsten vielen Dank für den ausführlichen Kommentar

    • Steve Curry hat offenbar wirklich Schattenseiten. Ihm wurden ja auch nicht unerhebliche Photoshop-Manipulationen nachgewiesen. Und es gibt auffallend viele Bildermit dekorativen Abdrücken von Händen an der Wand zu sehen, das wird auch nicht so dagewesen sein, sondern entweder hat er es so malen lassen oder gar komplett mit Photoshop gemacht.

      Fraglich also, inwiefern seine Reportagen „die Wirklichkeit“ zegen, und inwiefern „McCurrys Wirklichkeit“.

      Googelt man „steve mccurry handprints on walls“ kann man einige davon sehen.

      Andererseits gibt es auch eine Menge an ihm zu bewundern. Sein Buch „Monsoon“ fand ich eindrucksvoll. Es gibt Bilder, auf denen er brusttief im Wasser steht. Solcher Einsatz imponiert mir.

  2. Eine differenzierte und sachliche Rezension. Gut gemacht und Danke! Auch für mich war der Einstieg in das Buch eher zähflüssig. Die Beschreibung hat mich aber veranlasst, das Buch bis zur letzten Seite zu studieren: Fazit siehe oben!.

    Beste Grüsse

    Wolfgang BERNAUER

  3. Ich kann nicht verstehen, wie man aktuell noch eine Rezension über Steve McCurry schreiben kann, ohne auf die zahlreichen Bildmanipulationen hinzuweisen, die mittlerweile aufgeflogen sind und auf das häufige Stellen von Bildern. Gerade das erwähnte Bild von der Lokomotive vor dem Taj Mahal ist das Ergebnis einer Inszenierung, die immer wieder neu inszeniert worden ist, weil sie in den Augen des Fotografen nicht perfekt war. Und die Szene davor am Bahnsteig ist ein einziger Fake. In den Koffern auf dem Kopf des Träger befindet sich nichts, die angeblichen Reisenden stammen aus dem Umfeld des Assistenten.
    Indem man das in seiner Rezension unter den Tisch fallen lässt, ist man eigentlich nicht seriöser als der manipulierende Fotograf, der in seinen Bildern Menschen, Verkehrsschilder, Transportkisten usw. entfernen ließ, weil das Bild in seiner Komposition ohne diese Eingriffe weit entfernt war von der perfekten Bildgestaltung, die McCurry so bekannt gemacht hat.
    Im Ergebnis bleibt Misstrauen. Man kann seinen Bildern heute nicht mehr glauben, weil man nicht sicher sein kann, dass er die Motive tatsächlich so vorgefunden hat, wie sie im Foto erscheinen.
    In der Kunst mag man seiner eigenen Vorstellung von Wirklichkeit folgen können, nicht aber im Journalismus. Selbst wenn der Glaube an das Wahrheitsversprechen der Fotografie schon lange überholt ist, so möchte ich doch zumindest sicher gehen können, dass im Bildfeld abgebildet ist, was der Fotograf so vorgefunden hat. Dass damit noch lange keine Wahrheit abgebildet sein muss, sondern die vielleicht viel eher in einem Ausschnitt steckt, der nur wenige Meter abseits liegt, ist ein ganz anderes Paar Schuh.
    Und das Steve McCurry die Kritik an seinen zahreichen Manipulationen damit begründet, dass er ja eigentlich eher Künstler sei, als Journalist, darf man getrost als faule Ausrede werten. Unter seinen zahlreichen Auszeichnungen gehören die meisten Awards in die Kategorie Journalismus, ebenso seine lange Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Magazin National Geographic.
    Ich schreibe diese Zeilen als ein Enttäuschter. Die Perfektion seiner Bilder, der Umgang mit dem Licht, ihre Gestaltung und die Farbigkeit haben mich früher genauso berauscht, wie viele tausend andere Menschen. Aus diesem Grund hatte ich Ihn auch 2008 zum Lumix-Festival nach Hannover eingeladen. Jetzt fühle ich mich betrogen.