Die Schönheit des Vergänglichen
Lost Places üben eine starke Anziehungskraft aus. Vielleicht sind es der Reiz des Verbotenen oder ganz einfach Neugier, die viele Menschen in die verlassenen Gebäude ziehen. Aber die Urbex-Szene ist so groß wie nie. Jemand, der diese Erkundungen professionell betreibt, ist Markus Gebauer. Er reist auf der Suche nach alten Industrieruinen, verlassenen Villen und Katakomben um die ganze Welt.
Seine Aufnahmen verkauft er als hochwertige Wandbilder, Kalender und arbeitet gerade an seinem zweiten Bildband. Für das Interview habe ich mir ihm telefoniert.
Du kommst gerade von einer Reise, hattest Du mir geschrieben. Urlaub oder Fotoreise?
Das war eine Fotoreise. Ich bin zwei Wochen für meine Fotos in Asien unterwegs gewesen.
Asien ist ein riesiger Kontinent. Genauer verrätst Du nicht, wo Du warst?
Nein, ich halte mich da immer bedeckt. Ich hole mal ein wenig aus, um das näher zu erklären. Die Szene wächst sehr schnell und es gibt Orte, zu denen man heute nicht mehr hinfahren kann, weil sie zu einem regelrechten Tourismusziel geworden sind. In Belgien zum Beispiel sind die Nachbarn schon absolut genervt von all den Menschen. Und leider gehen auch nicht alle Menschen achtsam mit den Orten um.
Im letzten Jahr war ich in Georgien unterwegs. Da war das Land in der Szene noch relativ unentdeckt und neu. Im Moment sehe ich aber jeden Tag neue Bilder von dort, weil alle hinreisen. Deshalb möchte ich lieber die genauen Orte, an denen ich war, geheim halten. Gerade einige asiatische Länder sind nicht so unglaublich groß und man würde die Orte wohl recht leicht herausfinden, sogar wenn ich nur das Land nenne.
Verstehe, dann bleiben wir bei Asien. Ich habe Dein erstes Buch hier liegen und zu den einzelnen Bildern gibt es ebenfalls keine Ortsangaben. Aber sie wirken auf mich alle recht europäisch. Täuscht der Eindruck?
Du hast Recht, das erste Buch ist schon über zwei Jahre alt und für diese Bilder war ich nur in Europa unterwegs. Aber dabei sind durchaus auch einige Kilometer zusammengekommen.
Inwieweit unterscheiden sich die Lost Places in Europa von denen in Asien?
Zum einen waren die Orte in Asien völlig neu für mich. Von den meisten Orten hatte ich bisher noch keine oder zumindest keine guten Aufnahmen gesehen. Es gab nur ein paar Touribilder, die mit Handy und Blitzlicht aufgenommen wurden. Ich hatte im Vorfeld daher auch Angst, dass die Reise nicht so ergiebig werden könnte.
Die meisten Orte waren für mich also auch sogenannte Check-ups. Also Orte, zu denen man fährt, um erst einmal zu schauen, was sich dort verbirgt und um herauszufinden, ob es sich überhaupt lohnt, für Fotos noch einmal wiederzukommen.
Ich bin ja auch schon etwas verwöhnt und habe schon viel gesehen. Es gibt Orte, an denen einige sicher ihre ganze Speicherkarte vollmachen, während ich nicht einmal das Stativ auspacke, weil ich genug von diesen Ansichten auf der Festplatte habe.
Wenn ich extra nach Asien fahre, möchte ich auch Erkennungsmerkmale haben. Zum Beispiel asiatische Zeichen, die an die Fenster gekritzelt sind oder irgendwelche asiatischen Schilder. Solche Dinge haben dann einen Mehrwert, weil die Menschen sehen, dass das nicht direkt um die Ecke aufgenommen wurde. Ein paar tolle Orte haben wir gefunden. Zum Teil Zufallsfunde am Straßenrand.
In Deutschland oder auch in den meisten europäischen Ländern kann man ja abschätzen, was passiert, wenn man unerlaubt ein altes Gebäude betritt. Wie sind Deine Erfahrungen damit?
Ja, damit habe ich in Italien auch ein paar witzige Erfahrungen gemacht. Gerade als wir über eine Mauer stiegen, fuhr ein Radfahrer vorbei und ich scherzte noch mit meinem Kollegen, dass der sicher direkt zur Polizei fährt. Als wir dann wieder aus dem Gebäude kamen, fuhren zwei Carabinieri auf uns zu und schrien laut auf Italienisch herum.
Wir antworten auf Englisch und in kürzester Zeit standen gefühlt alle Carabinieri der umliegenden Ortschaften um uns herum und wir wussten wirklich nicht, was gerade los ist. Wie sich herausstellte, versuchten sie jedoch schon seit Jahren händeringend den Besitzer des Gebäudes zu finden. Wir mussten am Ende nur die Bilder löschen und konnten weiterziehen.
Meist ist es kein Problem, selbst wenn man erwischt wird. Wenn die Beamten die Kameratasche aufmachen und sehen, dass da wirklich nur Objektive und Kameras sind und man nichts gestohlen hat, dann ist alles direkt entspannter. Und wenn man ihnen die Aufnahmen auch zeigt, stößt man öfter auf Verständnis und Interesse.
Es ist nicht so, dass ich jedes Mal mit der Polizei Kontakt habe, aber wenn es doch mal passiert, dann schauen viele erst einmal ungläubig, dass man extra dafür aus Deutschland angereist ist, aber viele verstehen es dann auch.
Aber wie sieht es in asiatischen Ländern aus? Oder in Kuba, da warst Du ja auch schon unterwegs. Informierst Du Dich für diese Reisen vorher, wie die Gesetzeslage aussieht, solltest Du erwischt werden?
No risk, no fun. Ein bisschen Nervenkitzel gehört für mich dazu. Klar war ich in Asien dann doch etwas angespannter, weil wir zum Beispiel auch in einer Region unterwegs waren, auf die gleich zwei Länder Anspruch erheben. Da gab es unglaublich viel Militär auf den Straßen und man achtet natürlich viel genauer darauf, über welche Mauer man jetzt springt.
Der letzte Ort der Reise war eine Villa und die Tür stand weit offen. Von drinnen haben wir dann draußen Stimmen gehört und dachten schon, dass wir bitte jetzt nicht am Ende doch noch ertappt werden. Da kam dann aber einfach gerade ein ganzer Bus voller Menschen an, weil der Ort wohl der Drehort einer beliebten Serie war.
Da lief dann also ein Haufen Tourist*innen durch das Gebäude. Die Villa war auch in einem großartigen Zustand, wie man es wohl in Europa niemals erleben würde. Denn wenn in Deutschland etwas länger als zwei Wochen offen steht, dann rennt die Dorfjugend da durch und betreibt Vandalismus.
In diesem asiatischen Land herrschte jedoch noch ein anderer Respekt vor fremdem Eigentum. Die Menschen haben sich alles angesehen, aber es kam niemand auf die Idee, etwas zu verunstalten oder zu stehlen. Zumindest kam mir das so vor.
Also kann man sagen, Du hattest viel Glück, dass Du auf Deiner Reise keinen Kontakt mit der Polizei hattest?
Ich denke, das liegt nicht nur am Glück, sondern auch daran, dass es dort diesen Lost-Places-Tourismus (noch) nicht gibt. Oder sagen wir: einen anderen Tourismus. Es gab Orte, die waren wie darauf vorbereitet. Meiner Meinung nach waren die Gebäude einsturzgefährdet, aber es gab Bereiche mit kleinen Schildchen, auf denen etwa „Hier nicht übertreten“ oder „Hier nicht anlehnen“ stand.
Das würde bei uns nicht funktionieren, denn wenn sich bei uns jemand verletzt, ist die Person verantwortlich, der das Haus gehört. In Asien hingegen standen bei vielen Gebäuden Tür und Tor offen.
Das war in Georgien genauso. Dort gibt es noch einen ganz anderen Hintergrund: Nach dem Bürgerkrieg vor über 25 Jahren sind Einheimische aus Abchasien vertrieben worden und leben in Georgien im Exil. Diese Menschen leben nun zum Teil in den alten, verfallenen, ehemals prunkvollen Sanatorien.
Sie dürfen wohl nicht arbeiten und es ist alles sehr seltsam. Aber wenn man diese Menschen da antrifft und ja quasi bei denen durchs Treppenhaus läuft, sind sie total lieb, grüßen Dich und zeigen Dir auch einiges. Wenn Du ihnen ein Trinkgeld geben möchtest, dann lehnen sie das ab.
Im Gegensatz dazu wollten in Italien teilweise Ranger von Dir am besten 50 € kassieren, damit sie dich halbillegal übers Gelände schleusen können. In Polen habe ich eine Stunde lang bei den Rangern gebettelt, dann einen zehnseitigen polnischen Vertrag unterschreiben und sogar 1.000 Złoty zahlen müssen. Das waren mir die Bilder am Ende aber tatsächlich auch wert.
Holst Du Dir auch manchmal eine Genehmigung, um an einem Ort fotografieren zu dürfen?
Ja, wenn es die Möglichkeit gibt, dann mache ich das. Es ist viel entspannter, dann muss man nicht bei jedem Foto hoffen, dass es nicht das letzte ist, das man an diesem Ort machen kann.
Du sprichst manchmal von „wir“, bist also nicht alleine zum Fotografieren unterwegs?
Ja, genau. In Asien, aber auch in Georgien und Italien war ich immer mit einem Partner zusammen unterwegs. Den habe ich damals in Belgien in einem Lost Place kennengelernt und mittlerweile machen wir fast alles zusammen. Man vertraut sich gegenseitig ja gerade in einsturzgefährdeten Gebäuden im Grunde das Leben an.
Und man möchte auch mit jemandem unterwegs sein, der nicht wegrennt, sobald es etwas Stress gibt. Dahingehend habe ich in ihm einen tollen Kollegen gefunden. Wir spornen uns gegenseitig gut an und ich denke, dass er auch der etwas Vernünftigere von uns beiden ist.
Kannst Du Dich noch an Deinen ersten Lost Place erinnern?
Mein erster richtiger Lost Place war das Schloss Noisy in Belgien. Vor zwei Jahren wurde es leider abgerissen. 2010 hat mir eine Freundin ein Bild davon gezeigt – ich hatte mich schon immer für Schlösser und Burgen interessiert. Ich bin aber nie bereit gewesen, irgendwelche Führungen zu machen, weil ich ja nie durch die Türen gucken dürfte, hinter die ich gucken möchte.
Als ich das Bild gesehen habe, bin ich direkt hingefahren. Ich hatte damals mit Fotografie selbst noch nichts am Hut und bin da mit dem Handy durchgelaufen. Dann habe ich mich gefragt, was ich da mache und mir wurde bewusst, dass das, was ich da sehe, so kaum jemand mehr zu Gesicht bekommen wird.
Ich bin da etwas eigen: Ich mache etwas ganz oder gar nicht, habe mir also danach eine DSLR gekauft und viel ausprobiert. Seitdem hat sich einiges getan und ich denke, dass ich auf einem ganz guten Weg bin.
Absolut! Etwas, das ich so in dem Bereich noch nicht gesehen habe, sind Deine 360°-Aufnahmen, in denen man einzelne Zimmer selbst erkunden kann.
Ich finde es schön, dass man dadurch die Leute richtig mit in den Ort hinein nehmen kann. Es gibt sogar noch die Option, bei manchen Orten zwei oder drei verschiedene Positionen einzunehmen, so dass man sich virtuell auch ein bisschen durch den Ort hindurchbewegen kann.
Aber das Ganze kostet leider zusätzliche Zeit. Mein Kollege ist da manchmal doch etwas ungeduldig, denn er fotografiert nur, während ich nach den Fotos auch noch Videos mache, die 360°-Kamera aufstelle und im Bestfall anschließend noch die Drohne nutze, um das Gebäude von außen aufzunehmen.
Die Drohne hat uns aber auch schon den einen oder anderen Ärger erspart: In Italien wussten wir, dass das eine Gebäude heiß ist und einer der Nachbarn da sehr hinterher ist. Also bin ich vorher über das Gebäude geflogen und habe gesehen, dass da jemand in seinem Auto mit drei Hunden daneben im Käfig genau Sichtlinie auf den Eingang hat. Da kann man sich vorstellen, was der vorhatte.
Die Drohne bietet auch die Möglichkeit, Aufnahmen zu machen, die man sonst nicht bekommen könnte, wenn etwa das Betreten eines Objekts nicht mehr sicher genug ist.
Verrätst Du etwas mehr über Deine Technik?
Klar, meine Hauptkamera ist die Canon 5D Mark III mit dem Canon 11–24 mm . Die Drohne ist eine DJI Mavic 2 Pro und die 360°-Kamera ist die INSTA 360 Pro .
Da die Videos nicht mein Fokus sind, schleppe ich da nicht die große Technik mit mir herum. Ich habe eine GoPro mit Karma-Gimbal und mir jetzt ganz neu noch die Osmo Pocket von DJI geholt, mit der bin ich etwas flexibler.
Lost Places machen mich oft sehr nachdenklich. Meist stecken hinter den Orten und dem Verfall ja eher traurige Geschichten. Kennst Du solche Gedanken und hast Du Grenzen, was Du fotografierst, wenn es um persönliche Dinge geht?
Ja, durchaus. In Frankreich gibt es Villen, bei denen man schnell mitbekommt, dass sie doch nicht verlassen sind, sondern einfach nur ein paar Wochen im Jahr leer stehen. Da gehe ich nicht rein. Ich finde es auch nicht so aufregend. Für mich ist ein beeindruckendes Bild, wenn man auf der linken Seite denkt, dass der Ort in einem guten Zustand ist und auf der rechten Seite die ganze Decke herunterhängt und man so merkt, dass da niemand mehr wohnen kann.
In Asien sind wir auch in ein Theater gegangen, in dem mein Kollege noch meinte, dort müsse jemand gestorben sein, denn es roch furchtbar. Nach zehn Minuten habe ich bemerkt, dass direkt vor der Bühne der Rest eines sehr großen Hundes lag. Es gibt ja Leute, die Fotos von toten, mumifizierten Tieren publizieren. Das mache ich nicht.
Es gibt auch Orte, wie etwa alte Kliniken, in denen man alte Reagenzgläser mit Embryos findet. Es ist nicht alltäglich und darauf springen viele Menschen an. Mir geht es aber um die Architektur und die Orte an sich. Es darf nicht zynisch oder grotesk sein und das Motiv entwürdigen. Es gibt in Ostdeutschland eine bekannte Gruft, in die man hineingehen kann. Der Treppenaufgang wird oft fotografiert, aber es gibt auch immer wieder Menschen, die dort Särge öffnen, um hineinzufotografieren. Das geht einfach zu weit. Klar mache ich viel für ein gutes Bild, aber so etwas finde ich nur pietätlos.
Absolut! Über die Geschichten hinter den Lost Places berichtest Du in Deinem Buch nicht. Warum?
Ich möchte, dass die Betrachter*innen ihre Fantasie spielen lassen. Ich mag es auch sehr, wenn Menschen in den sozialen Medien über die Bilder schreiben und Erinnerungen geweckt werden. Zum Beispiel wenn jemand eine alte Nähmaschine im Foto sieht und sich daran erinnert, dass die Oma die gleiche hatte.
Auf einem meiner Bilder sieht man die Ladefläche eines Flugzeugs. Als ich das Foto damals veröffentlicht habe, schrieb ein Amerikaner darunter, dass das genau die Maschine sei, mit der er damals seinen Einsatz geflogen sei und dass er sich daran erinnert, wie er mit seiner Gruppe da gesessen hatte. Wenn meine Bilder so etwas leisten, ist das toll.
Du arbeitest gerade an Deinem zweiten Buch. Was ist der Unterschied zum ersten?
Meine Reisen führen im nächsten Buch etwas weiter. Europa ist immer noch mit dabei. Ich war in Tschernobyl und in Georgien. Aber auch die Bilder aus Kuba veröffentliche ich in diesem Buch. Meine Aufnahmen aus Asien werden im dritten Buch zu sehen sein, denn das Ganze wird eine Trilogie.
Dann wünsche ich Dir viel Erfolg bei der Veröffentlichung und weiterhin viele spannende Orte! Danke für das Interview.