08. Juli 2019 Lesezeit: ~12 Minuten

Bärenmädchen – Ein Interview mit Ute Behrend

Ute Behrend beschäftigt sich in ihrem neuen Buch „Bärenmädchen“ mit der Pubertät von Mädchen und jungen Frauen. Es geht in der Bildgeschichte um einen fiktiven „Indianerstamm“, der seine pubertierenden Mädchen separiert und sie in Bärenfelle kleidet, um sie vor verfrühter Sexualisierung zu schützen. Ich habe Ute in Köln getroffen und durfte sie zu diesem spannenden Projekt und der eher untypischen Auseinandersetzung mit dem Thema befragen.

Vorweg, um das Gespräch und das Buch besser zu verstehen, möchte ich Euch kurz die Geschichte näher bringen, die sich auch als Text vorn im Buch befindet:

Irgendwo in Nordamerika oder Kanada gibt es einen „Indianerstamm“, der seine pubertierenden Mädchen in große Bärenfelle kleidet. Sie leben etwas abseits vom Indianerdorf mit anderen Mädchen ihres Alters zusammen und sind durch das Tragen der Felle vor den Blicken der Erwachsenen und Jungen geschützt. Es wird ihnen sogar geraten, sich besonders plump, eben wie ein Bär, zu bewegen. In dieser behüteten Atmosphäre können sie sich ungestört entwickeln. Den Zeitpunkt, an dem sie ihr Fell ablegen, bestimmen sie selbst. Ab da gehören sie zur Gemeinschaft der erwachsenen Indianerinnen. Darüber hinaus können Indianermädchen dieses Stammes auch frei entscheiden, ob sie Kriegerinnen werden wollen. Das tun nicht viele, aber es hat immer mal wieder welche gegeben.

Als ich dies neulich einer Freundin erzählte, meinte sie, sich daran zu erinnern, von diesem Stamm schon einmal gehört zu haben.

Tatsächlich habe ich die Geschichte jedoch frei erfunden.

Aufgeschlagenes Buch

Hallo Ute, ich konnte Dein Buch bereits bei der Ausstellung ansehen und hatte mich da noch über den Verlag gewundert, von dem ich noch nie gehört habe. Du hast einen Eigenverlag gegründet, habe ich dann erfahren. Wie kam es dazu?

Ich hatte einige Angebote von verschiedenen Verlagen und habe auch Probedrucke anfertigen lassen. So richtig zufrieden war ich jedoch nicht damit. Mein Mann, der selbst Buchgestalter ist, bekam dann ein tolles Angebot von einer Druckerei aus Riga und wir beschlossen, das Ganze einfach selbst zu machen.

Gleichzeitig lerne ich immer wieder Leute kennen, die nicht glücklich mit ihrem Verlag sind, aber gern publizieren möchten. So entwickelte sich der Gedanke, dass wir mit unserem Know-how auch anderen eine Plattform bieten könnten.

Ihr habt den Verlag also nicht nur für Dein Buch gegründet?

Ja, genau. Wir möchten auch andere Kreative unterstützen. Ein Projekt werden zudem die „freedom books“ sein. Hier sollen voraussichtlich zwei Mal im Jahr künstlerische Positionen zum Thema Freiheit präsentiert werden. Wir freuen uns über Einreichungen.

Fußspuren auf Fliesen und ein auf dem Boden liegendes Mädchen

Lass uns mal auf Dein aktuelles Buch Bärenmädchen kommen. Haben Dich Deine Kinder dazu inspiriert?

Ja, ich fotografiere schon immer auch in meinem persönlichen Umfeld und in der zeitgenössischen Fotografie gibt es sehr viele Projekte über Jugendliche. Ich habe mir viele davon angesehen und als meine Töchter begannen, erwachsen zu werden, wollte ich mich auch damit auseinandersetzen. Aber ich wollte es anders machen.

Ich wollte nicht einfach schöne junge Menschen und ihre Lebensräume fotografieren, sondern einen anderen Zugang finden.

Sind die Bilder alle für das Buch entstanden oder hast Du auch Archivbilder Deiner Familie verwendet?

Nein, die Fotos sind alle extra für dieses Projekt entstanden.

Auf den ersten Blick ist es eine Art Märchen, auch mit der Geschichte vorweg über den fiktiven Stamm.

Pubertät hat ja etwas mit Verwandlung zu tun und das ist wiederum etwas, das auch in Märchen vorkommt. Der Zauber der Metamorphose. Da gibt es Gemeinsamkeiten.

Kind im Bärenfell und Klettergerüst

Ich musste beim Ansehen des Buches auch an meine Jugend denken. Nicht nur, weil ich selbst gern im Wald unterwegs war, sondern auch vor dem Hintergrund, dass ich aus der Ecke von Hohenstein-Ernstthal komme, wo der Schriftsteller Karl May geboren wurde. Hier findet man an jeder Ecke Hinweise zur Romanfigur Winnetou und Feste mit „Indianerzelten“. Warum hast Du Deine Geschichte hier angesiedelt und nicht vielleicht in der Antike oder bei einem komplett fiktiven Volk?

Amerikanische Ureinwohner*innen sind in unserer Medienkultur absolut positiv besetzt. Man kann sich bei ihnen alles Gute vorstellen, was nur irgendwie geht. Sie retten die Natur, sie retten den Planeten. Sie gehören gleichzeitig zu den größten Verlierern, aber kämpfen immer um ihre Freiheit. Es gibt so viele Mythen über sie und gleichzeitig wissen wir so wenig.

In den Tagebüchern von Lewis und Clark kann man dazu einiges nachlesen. Lewis und Clark leiteten eine Expedition, die den Missouri River hinauf führte bis zum Pazifik. Das Land war dort noch kaum entdeckt und sie trafen auf viele verschiedene Stämme der dortigen Ureinwohner*innen. Oft waren sie sehr unterschiedlich. Einige waren ihnen feindlich gesinnt, andere wollten Handel treiben und wieder andere boten ihnen ihre Frauen als Prostituierte an. Aber kein Stamm war matriarchalisch organisiert.

Alle Stämme hatten ganz klare patriarchalische Strukturen. Das Lustige ist: Alle können sich vorstellen, dass es Stämme gegeben hat, die ihre Mädchen und Frauen beschützten und ihnen die Freiheiten aus meiner kleinen Geschichte gewährten. Aber das gab es nie und ist totaler Blödsinn.

Du spielst mit positiven Rassismus?

Im Grunde ja, aber es geht vor allem um die Sachen, die wir im Kopf haben. Was sind Mädchen und junge Frauen für uns? Sie lösen ja so viel aus. So viel Wunschdenken, was aus ihnen werden soll. Erwachsene interpretieren so viel in sie hinein. Sie werden in unseren Medien auf sehr extreme Weise für die Vermarktung verschiedenster Dinge benutzt. Und sie sind einem sehr hohen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt. Ihnen bleibt im Grunde gar nichts anderes übrig, als sich ein Fell überzuwerfen.

Junge Frauen in Verkleidung

Und hier beginnt das Märchen, dass es den Mädchen möglich sei, sich von diesen ganzen Vorstellungen abzukapseln und einfach sie selbst zu sein. Hast Du mit den Mädchen über das Problem und die Buchidee gesprochen?

Natürlich, sie haben das sehr gut nachvollziehen können und waren sofort bereit, die Idee zu unterstützen. Die Mädchen können ihre Situation sehr gut reflektieren, schon deshalb, weil sie ja dem Druck ständig ausgesetzt sind.

Und keine war am Ende unglücklich mit ihrem Bild, weil sie doch dem gesellschaftlichen Druck entsprechend möglichst schön darauf aussehen möchte?

Aber sie sind doch alle schön!

Ja, absolut! Das sage ich meinen Modellen auch immer, aber sie glauben es viel zu selten und sehen sich selbst unglaublich kritisch. Das unterstreicht ja auch den Druck von außen, den Du kritisierst.

Die Bilder waren für die Mädchen in Ordnung, das Problem hatte ich nicht. Vielleicht, weil im Fokus das Projekt stand.

Strand und ein Portrait

In welchem Alter sind die Mädchen im Buch?

Zwischen 14 und 19 Jahren in etwa.

Sind Deine eigenen Töchter auch dabei?

Ja, sie sind jetzt bereits 21 und 24.

Du hast also einige Jahre an dem Buch gearbeitet!

Ja und es ist leider auch schon eine Weile fertig. Ich habe allein zwei Jahre gebraucht, um es endlich zu veröffentlichen.

Warum sind es im Buch eigentlich Bärenmädchen und keine Wolfsmädchen oder Rabenmädchen?

Ich denke, der Gedanke an Bärenmädchen kommt aus dem Roman „Das Hotel New Hampshire“. Ich hatte ihn mit 17 Jahren das erste Mal gelesen und er hat mich damals ziemlich beeindruckt. Da gibt es eine junge Frau, die sich nach einer Vergewaltigung in einem Bärenfell versteckt.

Das Buch ist unglaublich fantasievoll und ich habe es damals anders gelesen als heute. Beim Wiederlesen fand ich das Buch an vielen Stellen sehr düster und grausam. Damals habe ich mich noch eher auf die ungewöhnliche Liebesgeschichte und die Befreiung aus dem Fell konzentriert.

Die Gestalt von Bären kommt viel in Märchen und Geschichten vor. Gerade in Bezug auf Schutz junger Mädchen. Ich habe auch noch einmal die Geschichte von Artemis gelesen, die ihre „Gespielinnen“ in Bärenfelle gekleidet hat, um sie vor den Blicken der Männer zu schützen.

Jedoch nicht, weil die jungen Frauen sich verstecken wollten, sondern weil Artemis die Frauen für sich behalten wollte. Sobald eine Frau mit einem Mann zusammen war, wurde sie vertrieben und wurde sie schwanger, wurde sie sich selbst überlassen. Also sehr grausam. Purer Egoismus. Die Geschichte fand ich deshalb nicht so gut für meine Idee und habe das Bärenfell lieber auf meine Art interpretiert.

Fuchs und Portrait

Bist Du für die Recherche in der Märchenwelt geblieben?

Ich habe mich auch stark mit Hilfe von Studien in die Thematik eingelesen. Eine besonders spannende ist von Barbara Kerr, die die Werdegänge von erfolgreichen Frauen untersuchte. Also Frauen, die gut situiert leben, viel Geld verdienen, gute Positionen haben. Sie hat dabei festgestellt, dass diese Frauen alle in ihrer Pubertät Zeit für sich selbst hatten.

Sie waren wenig Stress ausgesetzt und konnten sich ganz in Ruhe entwickeln. Teilweise war diese Isolation auch gar nicht gewollt, sondern fand statt, weil sie von anderen gemobbt wurden oder einfach nicht mitmachen durften.

Sie alle hatten auch die Fähigkeit, sich in Ideen zu verlieben.

Würdest Du Dich selbst auch so sehen?

Ja, ich habe mich auch viel mit anderen ausgetauscht und mir berichteten viele Frauen, dass sie, als sie in die Pubertät kamen, zum Schrank ihrer Väter gegangen sind und sich deren Pullover angezogen haben. Das haben wirklich viele gemacht. Aber voneinander wissen sie es nicht.

Du hast im Buch die Fotos immer als Bildpaare angeordnet, was ich bei Deinen anderen Arbeiten auch schon öfter gesehen habe. Warum zeigst Du die Arbeiten als Diptycha?

Es kommt stark auf das Thema an, aber meistens finde ich es schwierig, alles in einem Bild unterzubringen. Ich finde spannend, was passiert, wenn sich Bilder gegenseitig befruchten. Es entsteht einfach eine ganz andere Assoziationswelt, die viel in ein Bild packen kann, was man vorher im Kopf hatte, aber sich nicht fotografieren lässt.

Ein perfektes Bild erzeugt für mich eine Spannung beim Betrachten. Manchmal sehe ich einen Moment und denke, er wäre perfekt, aber nachdem ich fotografiert habe, merke ich doch, dass etwas fehlt. Wenn ich ein anderes Bild daneben lege, dann kann ich diesen fehlenden Teil ergänzen.

Feuer im Geäst

Hast Du die Kuration allein gemacht?

Ja, ich habe alles allein gemacht.

Wie lange hat es gebraucht, um wirklich zufrieden zu sein?

Ich stelle die Bildpaare zusammen und sammle die Bilder als Paare. Während des Arbeitsprozesses gibt es ja immer wieder neue Bilder, die ersetze ich dann, und Bilder die nicht das Potenzial besitzen, das ich für die Arbeit brauche, werden ausgetauscht.

Aktuell arbeite ich aber an einem Projekt über Natur und Dinge, die Ähnlichkeiten mit Natur haben. Dort arbeite ich vermehrt mit Einzelbildern. Das duale Konzept ist dort aber durch die Inszenierung im Einzelbild angelegt.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Informationen zum Buch
„Bärenmädchen“ von Ute Behrend
Sprachen: Deutsch
Einband: Hardcover
Seiten: 128 Seiten
Maße: 22 x 29,7 cm
Verlag: Bummbumm Books
Preis: 45 €

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