11. März 2019 Lesezeit: ~15 Minuten

Jen Huang – analog in der Hochzeitsfotografie

Ich habe Jen Huang bei Way up north, einem internationalen Kongress für Hochzeitsfotograf*innen, 2018 in Köln gesehen, als sie einen unglaublich inspirierenden Vortrag gehalten hat. Zu Beginn hatte sie uns allen Mimosas (ein Getränk aus Champagner und Orangensaft) serviert und als ich auch noch ihre wunderbaren Arbeiten gesehen hatte, war ich schon fast ein wenig verliebt.

Jen, vielen lieben Dank, dass Du Dir die Zeit für das Interview nimmst. Stell Dich doch zuerst einmal kurz vor.

Klar, sehr gerne. Ich bin hauptsächlich Hochzeits- und Portraitfotografin, einen ganz kleinen Teil nehmen noch kommerzielle Projekte ein, aber der ist wirklich sehr gering. Ich lebe in Santa Barbara in den USA.

Soweit ich mich erinnere, gibt es etwas ganz Besonderes bei Deinen Bildern: Du fotografierst fast ausschließlich analog! Erzähl uns darüber ein wenig mehr.

Lustig, dass Du sagst, dass das besonders ist. Ich selbst sehe das gar nicht so. Das ist für mich eben einfach das, was ich mache. Zu 80 % ist meine Arbeit analog, nur manchmal abends zur Party, wenn das Licht wirklich schlecht ist, greife ich zur Digitalkamera. Aber für alle Portraits, auch an den Hochzeiten bin ich zu 100 % mit Filmen unterwegs. Um genau zu sein: Mittelformat, aber auch Kleinbild.

Braut mit BrautstraußBrautpaar küsst sich im Auto

Für mich ist das schon etwas sehr Besonderes. Ich fotografiere auch Hochzeiten und die Herausforderung, nur auf Film zu fotografieren, würde mir Alpträume verursachen.

Ja, ich kann gut verstehen, warum manche das denken. Es ist definitiv eine Herausforderung und ich habe die letzten zehn Jahre gebraucht, dieses Selbstvertrauen aufzubauen, um komplett auf Film umzusteigen. Es ist diese Unsicherheit, nicht alles checken zu können und die Bilder nicht sofort zu sehen, die manche nicht aushalten können.

Ja, genau so ist das bei mir. Wie kamst Du denn ursprünglich zum analogen Fotografieren?

Naja, das ist wohl ähnlich bei allen Fotograf*innen, die im meinem Alter sind: Wir haben in jungen Jahren analog angefangen. Ich habe zum Beispiel mit unzähligen Einwegkameras fotografiert. Während des Colleges hat sich dann mein Interesse am Film gefestigt. Ich habe damals auch etwas digital fotografiert, aber ich hatte dabei ein anderes Gefühl, irgendwie fühlte ich, dass etwas verloren ist und bis heute besteht dieses Gefühl.

Es gibt natürlich unglaublich gute digitale Fotografien und ich sehe ständig großartige, digitale Arbeiten und ich habe auch eine Canon 5D Mark III, die ich manchmal benutze. Das ist auch schön, aber irgendwie ist es dieses kleine Gefühl, das fehlt. Es ist sehr schwer zu beschreiben, wahrscheinlich am besten durch die Art, wie wunderschön das Licht chemisch auf den Film trifft, digital schafft es das für mich nicht richtig.

Braut sieht sich im Spiegel an

Oh ja, das Gefühl kann ich sehr gut verstehen. Ich erinnere mich an meine Schulzeit. Es gab diesen magischen Moment, wenn man das belichtete Papier in den Entwickler legt und wie durch Zauberhand plötzlich ein Bild entsteht.

Ja, daran kann ich mich auch sehr gut erinnern. Ich entwickle zwar nicht mehr selbst, aber diese Momente in der Dunkelkammer waren wirklich etwas Besonderes. Ich könnte mir zwar nicht vorstellen, dass für eine ganze Hochzeit zu machen, aber es hat wirklich Spaß gemacht.

Meinst Du, Deine Paare bemerken das auch? Buchen sie Dich, weil Du analog fotografierst?

Ehrlich gesagt denke ich das nicht. Die meisten meiner Paare wissen nicht, dass ich auf Film fotografiere. Sie sehen meine Arbeit und etwas daran zieht sie an. Wenn wir dann miteinander sprechen und ich ihnen erkläre, wie ich arbeite und was die Unterschiede sind, dann verstehen sie es. Aber meistens denken sie nicht daran, wie diese Bilder entstanden sind, sie wollen einfach nur diesen Look.

Einladungen und DecoBraut

Ja, das ist am Ende ja auch das, was zählt. Weißt Du, wie viele Bilder Du auf einer normalen Hochzeit machst?

Das kommt ganz auf die Hochzeit an und darauf, wie lange ich dort bin. Die meisten sind dauern etwa sechs bis acht Stunden und dabei entstehen zirka 800 Bilder. Mal mehr, mal weniger.

Könntest Du uns vielleicht ein bisschen über diesen Prozess berichten? Wie machst Du die Bildauswahl und wie arbeitest Du mit dem Entwicklungslabor?

Ich höre die Frage öfter und ich bin da immer etwas überrascht. Denn von zum Beispiel 800 Bildern, die das Paar am Ende bekommt, mache ich vorher vielleicht 850 oder 900 Bilder. Ich habe eine komplett andere Herangehensweise an eine Hochzeit als digitale Fotograf*innen. Bitte sag mir, falls es anders ist, aber im Normalfall werden digital Tausende Bilder geschossen und daraus dann die besten ausgewählt, oder?

Ich habe noch nie so viele Bilder gemacht. Während des Tages mache ich nur Bilder, die ich unbedingt brauche und am Ende wird wirklich nur ein Bild aussortiert, wenn es unscharf ist, die Augen geschlossen sind oder etwas anderes nicht am Bild stimmt. Deshalb ist meine Nachbearbeitung auch sehr schnell. Die längste Zeit nimmt das Warten, bis die Bilder aus dem Labor kommen, in Anspruch und am Ende bekommen die Kunden digitale JPGs.

Hochzeitsgesellschaft isst draußen an einem Tisch

Wie lange hat es gedauert, bis Du Dein Labor gefunden hast?

Ehrlich gesagt bin ich mein ganzes Leben bei einem Labor geblieben. Richard Photo Lab in Los Angeles. Ich habe andere ausprobiert und die sind alle toll, aber es dauert sehr lange, bis man mit seinem Labor eingespielt ist und sie genau wissen, was Du für einen Look willst.

Wenn Du anfängst, mit Film zu fotografieren, ist es hart, denn Du machst Bilder und bekommst sie aus dem Labor, dann änderst Du Deinen Look und Deine Art zu fotografieren und schickst sie wieder ins Labor. Das ist ein sehr langatmiger Prozess und ich würde sagen, dass es Jahre dauert, bis Du so konsistent fotografierst und das Labor Deine Bilder so gleichbleibend entwickelt, wie Du auch fotografierst. Deswegen dauert es Jahre, denn nicht nur Du wächst als Fotograf*in, sondern auch das Labor.

Das verstehe ich gut. Wir haben in Deutschland nicht viele Labore, die noch gut analog entwickeln. Es ist für mich auch eine große Herausforderung, den richtigen Film zu finden. Hast Du einen Favoriten?

Ja, habe ich. Den Fuji Pro 400H . Ich mag auch den Kodak Portra 400 , den habe ich in den ersten Jahren meiner Arbeit kaum benutzt, aber ihn in letzter Zeit lieben gelernt. Und für schwarzweiß nutze ich den Delta 3200 , der ist sehr körnig und wunderschön romantisch.

BrautportraitFrisur

Hast Du während der Hochzeit einen Teil, den Du besonders magst? Wie zum Beispiel die Zeremonie oder die Details?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Ich kann Dir sagen, dass ich die Party und das Tanzen weniger mag, aber abgesehen davon mag ich wirklich alles. Ich liebe es, die gesamte Geschichte zu erzählen, von Anfang bis Ende. Ja, ich meine auch Tanzen gehört natürlich zum Teil dieser Geschichte. Aber ich mag es nicht so, da ich meistens getreten werde und heutzutage tragen alle Stilettoabsätze und ich bin etwas kleiner, deswegen kann die Tanzfläche eine sehr schmerzhafte Erfahrung für mich sein.

Aber ich habe im Allgemeinen wirklich keinen favorisierten Teil. Ich mag es, die gesamte Geschichte am Ende zu sehen, die Bilder zusammenzustellen und zu sehen, wie der gesamte Tag sich entfaltet. Das ist mir wichtiger als zu sagen, ich möchte nur das oder das fotografieren. Wenn ich auf einer Hochzeit bin, dann freue ich immer auf den nächsten Teil, den ich einfangen kann, damit dieser Teil der Geschichte wird.

Genau das ist ja auch das, was die Menschen an einer Reportage mögen. Sie können den Tag noch einmal erleben.

Ja, genau und kein Bild macht Sinn, wenn es nicht im zeitlichen Kontext steht.

Tischdekoration

Das stimmt. Ich mag auch Deine Bilder der Dekoration und der Details unglaublich gern, wie kommen diese zustande? Sie sehen sehr liebevoll ausgewählt und zusammengestellt aus. Inszenierst Du sie selbst oder lässt Du alles genau so, wie Du es vorgefunden hast?

Oh ja, ich räume Dinge umher! Wenn Du ein Bild siehst und Dir denkst: Wie schön, wie kann man nur so ein Bild auf einer Hochzeit bekommen? Das ist mir noch nie passiert. – Dann ist dieses Bild wahrscheinlich arrangiert. Oft werde ich gefragt, warum jede meiner Hochzeiten so schön ist. Ich muss zugeben, dass ich heutzutage wirklich tolle Hochzeiten fotografieren darf, aber das war nicht immer so.

Eine gute Freundin vom College hatte geheiratet und ich war eigentlich nur als Assistentin dabei und habe geholfen, die Hochzeit zu fotografieren. Sie hatten ein sehr geringes Budget und die Details waren – sagen wir es so: Nicht, was man normalerweise von meiner Arbeit erwarten würde oder auf meiner Webseite sieht. Sie hatten zum Beispiel Papierservietten einfach auf Pappteller gelegt. Also nicht die Art von Hochzeit, die am Ende auch publiziert wird.

Was ich am Ende gemacht habe, war, den Caterer nach einem Porzellanteller zu fragen und antikes Besteck, das ich dabei hatte und das ich normalerweise nie benutze, aber in dem Fall gebrauchen konnte, zu verwenden. Ich habe ein antikes Stofftaschentuch genommen, das von der Braut stammte und alle Blumen zusammen auf einen Tisch gepackt. Die Hochzeit war am Strand und wir haben diese tollen Muscheln gefunden, das habe ich alles zusammengelegt.

Am Ende wurde die Hochzeit publiziert. Denn alles andere war wirklich wundervoll! Der Ort, das Licht und die Portraits, all das Vorhandene war super. Nur das, was nicht da war, was andere Bräute nicht inspirieren konnte, das haben wir neu kreiert. Und es war auch nicht wirklich Fake, denn wir haben nur Dinge genutzt, die sowieso schon vorhanden waren und damit einen edlen Look erzeugt.

DekorationDosen mit Süßigkeiten

Vielen lieben Dank, dass Du das so ehrlich erzählst, denn ich habe das Gefühl, dass momentan ein gegensätzlicher Trend in der Hochzeitsfotografie vorhanden ist. Man sollte nichts verändern und eine Szene genauso einfangen wie sie ist. Oft denke ich, das Bild wäre aber so viel besser, wenn ich die Decke zum Beispiel aufräumen oder ändern würde, aber ich habe ein schlechtes Gewissen, ob das dann noch „echt“ ist.

Ja, ich kann sehr gut verstehen, woher dieses Gefühl kommt. Wenn man allerdings möchte, dass die eigenen Arbeiten veröffentlicht werden, ist es zwingend notwendig, die Details in einem bestimmten Editorial-Look festzuhalten. Es gibt auch Fotograf*innen, denen das nicht wichtig ist. Ich kenne viele, die einen journalistischen Stil haben, die nur das fotografieren, was sich vor ihrer Kamera befindet. Das ist ein anderer Stil und dieser zieht eine andere Kundschaft an.

Wichtig ist, dass man seinem Stil treu bleibt. Wenn ein journalistischer Hochzeitsfotograf keine Details fotografieren möchte, ist das absolut in Ordnung. Fotografiere das, was Deiner Meinung nach die beste Geschichte und den Tag einfängt und widerspiegelt. Ist Dein Stil aber mehr Fine-Art- oder Editorial-lastig, dann geh da rein und verändere Dinge. Versuch, das Schönste aus dem Vorhandenen zu kreieren. Sonst wirst Du nicht fähig sein, mit anderen Arbeiten aus dieser Szene mithalten zu können.

Pärchen küsst sichBrautpaar

Hast Du vielleicht noch einen Tipp, um bekannter zu werden, für Fotograf*innen, die gerade am Anfang stehen?

Wenn wir darüber sprechen, dass die eigenen Arbeiten publiziert werden, dann muss ich sagen, dass das nie Deine Priorität sein sollte. Bekannt zu werden, ist völlig überbewertet, denke ich, und macht Dich nicht zu einem*r besseren Fotografen*in.

Ehrlich gesagt, ist es viel wichtiger, wenn Du am Anfang stehst, dass Du Dir selbst einen Namen machst, dass Du an Deiner Bildqualität arbeitest, dass Deine Bilder konsistent werden, Du Deine eigene Stimme findest und Du Dein Auge trainierst, die Art von Bildern zu kreieren, die Du wirklich möchtest. Also hör nicht auf diese lauten Social-Media-Stimmen, denn ich denke, das lenkt nur ab.

Für meine Schwester zum Beispiel spielt sich ihr Leben online ab: Nachrichten, Instagram und alles muss auf Facebook geteilt werden. Das ist erschreckend, denn Du bekommst die realen Momente im Leben, um zu lernen nicht mehr mit, Du bekommst nur diese Herzchen, aber Du wächst nicht als Person. Ich denke, das Wichtigste ist, auf sich selbst zu achten und die Bilder zu kreieren, die Du selbst machen möchtest. Nicht darauf zu achten, was andere machen und nicht darauf zu hören, was andere denken.

Pärchenportrait

Das ist ein sehr guter Hinweis und mir ging es auch ähnlich. Zu Beginn war ich sehr von Social Media beeinflusst und wurde nahezu überwältigt davon. Dann habe ich versucht, mich davon zu distanzieren und bin in Museen gegangen und habe mir alte Bilder angesehen. Woraus ziehst Du Inspiration?

Definitiv nicht von Social Media. Ich habe sogar dieses neue Feature auf dem iPhone, mit dem Du sehen kannst, wie lange Du das Handy nutzt. Ich limitiere meine Zeit für Instagram auf 10 Minuten pro Tag und schaue dann nicht mehr drauf. Wenn ich das nicht mache, ertappe ich mich dabei, wie ich immer weiter scrolle und nahezu hineingezogen werde. Also habe ich es limitiert. Ich garantiere Dir, Du wirst nichts verpassen.

Und auch genau, was Du sagtest: Museen. In Köln zum Beispiel habe ich einen echten Rembrandt entdeckt. Das Bild hat mich so beeindruckt. Wenn Du Hochzeiten fotografierst, versuche, weg von Hochzeiten zu gehen, mach etwas anderes. Ich zum Beispiel liebe Ölmalerei und bin so schlecht darin. Ich denke, das ist sehr wichtig, ein Hobby zu haben, auch wenn Du darin schlecht bist. Etwas, das Dich von Deiner täglichen Arbeit wegbringt und die anderen Areale Deines Gehirns anspricht.

Brautpaar auf einem Balkon einer GroßstadtBrautpaar sieht durch ein Fernrohr

Vielen Dank für diese tollen Tipps! Gibt es noch etwas anderes, das Du teilen möchtest?

Meine wichtigste Nachricht ist, nicht aufzugeben und nichts darauf zu geben, was andere denken. Das ist auch für mich ein lebenslanger Lernprozess und oft schaue ich zurück und sehe die ganzen Entscheidungen, die ich basierend darauf getroffen habe, was andere darüber denken oder davon halten würden. Egal ob das Eltern oder Bekannte sind. Ich denke, es ist wirklich an der Zeit, Entscheidungen für sich selbst zu treffen, an sich selbst zu glauben und nicht darauf zu achten, was andere darüber denken.

Ich kenne unglaublich gute Arbeiten von Künstler*innen, die kaum bekannt sind und kein Social Media nutzen, nicht auf Instagram oder Facebook sind. Wir alle sind unabhängig, arbeiten für uns selbst und haben keine Chefs. Wir sollten also das tun, was wir möchten.

Vielen Dank für das Gespräch, Jen!

Das Interview wurde auf Englisch geführt und von Simone ins Deutsche übersetzt.

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