21. März 2023 Lesezeit: ~6 Minuten

Die unperfekte Perfektion der analogen Hochzeitsfotografie

Ich war auf der Suche nach einem Weg, dem Leid der Krankenpflege zu entkommen, nach einer Möglichkeit, nebenbei mit etwas, das ich liebe, Geld zu verdienen. Als die Pandemie 2020 auf dem Höhepunkt war, fing ich an, mit meinem Handy Selfies zu machen und ein bisschen mit Fotos zu experimentieren. Instagram war schon lange keine Neuheit mehr und ich veröffentliche dort einfach, was in meinen Kopf kam.

Mit meiner SonyAlpha 5000 zog ich los: Hier eine Ampel, da ein Baum und dort mal ein altes Auto. Aber ich kam nicht vom Gedanken weg, wie ich damit Geld verdienen könnte. Deshalb veröffentlichte ich einen Aufruf, in dem ich Paare für mein Portfolio suchte. Drei Paare später war ich bei meiner ersten Portfolio-Hochzeit, 10 Stunden für 100 €. Hauptsache, ich konnte die Bilder zeigen. Hochzeitsfotograf zu sein, das machte mir so viel Freude, dass ich meinen Hauptjob reduzierte und bis 2021 schon zehn Hochzeiten in der Tasche hatte.

Braut mit Blumenstrauß

Mein Bruder Felix beschäftigt sich schon lange mit der Fotografie. Er ist sozusagen meine Inspiration für die analoge Fotografie gewesen oder wie ich sie neudeutsch nenne – Filmfotografie. Da ich immer 100 % in Dinge stecke, die ich mag, hatte ich Anfang 2021 die erste analoge Kamera, das erste Entwicklungsset und den ersten Kodak Tri-x 400 gekauft, um mein erstes Modell zu fotografieren. Als Netz und doppelter Boden lag immer die digitale Kamera daneben, um eine Vorschau zu haben.

Kurz und knapp gesagt das war der Anfang der großen Liebe. Es führte jedoch dazu, dass ich meine digitalen Bilder nicht mehr sehen konnte. Sie waren zu scharf, zu perfekt. Sie hatten nicht die Farben, die ich wollte und das Schwarzweiß war immer irgendwie anders als beim Foto davor.

Ich habe für die Nachbereitung einer Hochzeit unsäglich lange gebraucht, weil mir die Bearbeitung absolut nicht gefiel. Davon abgesehen war ich ein Presetdrücker, der keine Ahnung davon hatte, was eine Kurve wirklich macht. Ich fing an, auf Hochzeiten hier und da die Filmfotografie mit einzubauen und zu meinem Leidwesen machte es das Ganze noch viel schlimmer. Ich wollte mehr. Ich wollte Hochzeiten auf Film fotografieren.

BrautBrautpaar

Also suchte ich nach Fotograf*innen, die Hochzeiten analog fotografieren und stieß dabei zum Beispiel auf Jen Huang oder „die Hochzeitsfotografen“. Diese hatten den typischen amerikanischen Pastell-Look! Erst fand ich diesen super, aber konnte mir nicht vorstellen, bei Hochzeiten den Fuji 400H auf 200 und in den Schatten zu belichten. Wer hat denn Zeit dafür bei Hochzeiten, wenn alles so schnell gehen muss?

Die Fotografie war mir sehr wichtig geworden, aber meine digitalen Bilder gefielen mir nicht mehr und analoge Hochzeitsfotos schienen mir zu aufwändig, nahezu unmachbar. Bis ich mit der Londoner Fotografin Naomi Goggin sprach, die Hochzeiten ebenfalls analog fotografierte und deren Bilder mich einfach nur begeisterten. Ich fragte sie, wie sie die Belichtung in der Eile messen würde und sie meinte nur: „Ich nutze entweder den internen Belichtungsmesser meiner Kamera oder keinen.“

Partyabend

Meine Motivation stieg ins Unermessliche. Ich nahm mir vor, ab 2023 nur noch Hochzeiten auf Film zu fotografieren. Der Name Klemens Wichmann sollte für den analogen Hochzeitsfotografen stehen. „Think big!“ war das Motto. Jetzt hieß es: Alles auf Neustart. Ein neuer Instagram-Account, eine neue Webseite und viel Werbung schalten, um im Jahr 2023 mit Portfolio-Hochzeiten auftrumpfen zu können.

Zusätzlich zur Fotografie habe ich mit Video beschäftigt, also was fehlte? Super 8! Aber Super 8 ist noch einmal eine andere Hausnummer. Also ließ ich mich von Ben Bernschneider beeinflussen, habe einen alten Camcorder gekauft und damit gefilmt. Es ist nicht dasselbe wie Super 8, kommt vom Gefühl her aber schon nah ran.

Mein Warum ist vielseitig! Vorrangig liebe ich den Gedanken, dass ein Bild einzigartig ist, denn jedes Bild kostet Geld und sollte gut genutzt werden. In einer Welt voller Filter und der Schnelllebigkeit von Dingen führte mich die analoge Hochzeitsfotografie wieder zu den wirklich wichtigen Dingen. Wie wichtig die richtigen Erinnerungen eigentlich sind, wie wichtig es ist, achtsam zu leben und wie schön es sein kann, nicht alles an einem vorbeiziehen zu lassen.

Wir sind nicht perfekt! Wir sind genau so richtig, wie wir sind. So sind meine Bilder: perfekt unperfekt und genau richtig. Jedes Bild oder Video fühlt sich an wie eine herausgekramte Erinnerung, die dadurch zeitlos ist und immer wieder belebt werden kann. Das passt so gut in die Hochzeitsbranche: Der Tag ist so wichtig, dass man ihn nicht an sich vorbeiziehen lassen, sondern genießen sollte. Ich versuche, diese Ruhe und Gemütlichkeit, da wo es geht, in den Tag einfließen zu lassen.

https://vimeo.com/778475975/a30819630b

Wo andere mit ihren digitalen Kameras auftauchen, komme ich mit einer Holga 120 und mache Doppelbelichtungen oder spiele mit Blitz und dem Bulb-Modus herum. Ich liebe es, wenn jedes Bild eine Überraschung bereithält: Ein Lichtleck, eine Farbverschiebung oder ein besonderes Licht. Wenn ich das Ganze dann noch in meiner Dunkelkammer zu einem schönen Abzug verarbeiten kann, ist es wie Meditation. Der Prozess erfüllt mich. Wenn ich ehrlich bin, wird mein Selbstbewusstsein sehr viel größer und die Unsicherheit verschwindet!

Wenn ich zurück an meine Anfänge im Jahr 2020 denke, wirken die drei Jahre wie eine Ewigkeit und meine heutigen Fotos sind kaum mit den Fotos von damals vergleichbar. Ich bin an meine ersten Bilder mit großer Leidenschaft, aber auch viel Naivität herangegangen. Heute würde ich natürlich keine komplette Hochzeitsreportage für 100 € fotografieren.

Ich bin meinen ersten Brautpaaren sehr dankbar, dass sie mir vertraut haben, vor allem auch im Wissen, dass ich wenig bis keine Erfahrung hatte. Nur so konnte ich lernen und mich und meine Art der Fotografie finden: die analoge, perfekt unperfekte Hochzeitsfotografie.

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