Das Environmental Portrait
Oh nein, schon wieder einer dieser fürchterlichen Anglizismen. Im Vorfeld wurde ich von Katja gebeten, mich nach einer sinnvollen Übersetzung dieses Begriffes umzusehen. Doch da bereits andere englische Worte wie Shooting oder Location Einzug in die deutschsprachige Welt der Fotografie gehalten haben und in Ermanglung eines deutschen Äquivalents werde ich wohl dabei bleiben. Ich werde aber im Folgenden mein Möglichstes tun, zu erklären, worum es eigentlich geht.
Das erste Mal begegnete ich dem Begriff auf Pinterest, als ich nach Inspiration für kommende Arbeiten suchte und sehen wollte, wie die Kolleg*innen in der ganzen Welt „Businessfotografie“ interpretieren. Dabei fiel mir auf, dass auch andere einen ähnlichen Bildstil wie ich verfolgen und das Ganze als „Environmental Portrait“ bezeichneten. Ich analysierte diese Fotos, verglich sie mit meinen eigenen Arbeiten und legte mir schließlich folgende Umschreibung zurecht:
Ein „Environmental Portrait“ ist die Aufnahme einer oder mehrerer Personen an ihrem Arbeitsplatz oder einem ähnlichem Umfeld, in der die Person zwar immer noch im Vordergrund steht, aber die Umgebung einen erklärenden, zur Person passenden Kontext bietet.
Es sind also Fotos, die so ohne weiteres auch in einem Magazin oder einer Zeitschrift abgebildet sein könnten. Das Ganze ist natürlich nicht nur auf Businessfotos beschränkt, sondern kann auf jegliche Art Portrait angewandt werden, in der das Umfeld eine wichtige Rolle spielt.
Für mich bietet sich diese Stilrichtung geradezu an, da zu meiner Kundschaft viele Winzer*innen und Köch*innen gehören und die ihrerseits oft nach Bildmaterial für Veröffentlichungen gefragt werden. Somit biete ich meinen Kunden einen gewissen Mehrwert. Bilder für Webseite, Flyer, Broschüren und Fotos, die von Bildredakteur*innen gern verwendet werden, weil sie sich gut auf ganzen oder Doppelseiten oder gar auf einem Titel abdrucken lassen.
Um ein solches Bild zu realisieren und auch eine gewisse Abgrenzung zum üblichen Businessfoto zu schaffen, baue ich vor Ort ein kleines Set auf. Quasi mein Ministudio. Dabei spielen mir die neuesten Errungenschaften in der mobilen bzw. Studioblitztechnik in die Hände.
Auch wenn mobile Blitzgeneratoren seit einiger Zeit auf dem Markt sind und von fast jeder Herstellerfirma angeboten werden, musste man immer noch den nicht gerade leichten Blitzwürfel sowie die Lampen, Stative, Lichtformer und so weiter mit sich herumschleppen und eigentlich eine Assistenz für diese Aufgaben beschäftigen.
Doch seitdem einige Firmen (ich meine, Profoto waren die ersten) dazu übergegangen sind, die Akkus in die Blitzköpfe einzulassen und man so alles, was man braucht, in einem kleinen Trolley, Koffer oder Rucksack unterbringen kann, kann ich auch als Einzelkämpfer in den Genuss eines mobilen Studios kommen.
Ich verwende das Broncolor Siros L800 Kit , das bereits in einem praktischen Trolley kommt und auch noch genug Platz für zwei zusammengefaltete Softboxen bietet. Fotokoffer mit einer Canon EOS 5D Mark III in einer Hand, eine Hasselblad H5D in der anderen Hand, zwei Stative unter den Arm geklemmt oder der Kundschaft in die Hand gedrückt, und los geht’s.
Um die spezielle Charakteristik meiner Bilder zu erhalten, messe ich das Umgebungslicht so ein, dass es eine Blende dunkler als das Licht meiner Lampen ist. So steht am Ende nicht nur die Person im Vordergrund, da das Hauptlicht auf ihr liegt, sondern habe auch noch ausreichend Zeichnung im Umfeld. An dunkleren Orten benutze ich oft relativ lange Verschlusszeiten – bis zu 1/20 s mit der Canon EOS 5D Mark III oder 1/90 s mit der Hasselblad H5D – und passe den ISO-Wert entsprechend an.
Meist gehe ich mit der Kundschaft kurz den Aufnahmeort ab und entscheide mich dann spontan, wo ich fotografieren möchte. Da mein Lichtaufbau in fünf Minuten steht und ich für meine Fotos selten mehr als zehn Minuten an einem Ort brauche, geht den Kund*innen nicht viel Zeit verloren und ich kann das ganze Shooting in zwei bis drei Stunden über die Bühne bringen. Das freut natürlich die Kundschaft, da sie meistens auch Besseres zu tun hat, als den ganzen Tag für mich Modell zu stehen.
Und warum das Ganze? Zum einen spricht mich die Ästhetik dieser Richtung an und ich habe das als meinen Stil adaptiert. Die Kundschaft beißt meist schnell an, wenn man die Sache mit dem Mehrwert erwähnt und sie auf einmal genug Material hat, um alle möglichen Anfragen von Magazinen zu bedienen, die Webseite neu zu bestücken, Flyer auszustatten oder ihre Kanäle in den sozialen Medien zu füttern. Die Veröffentlichung meiner Arbeit in diversen Magazinen ist noch einmal zusätzliche Werbung für mich.
Zudem hebe ich mich damit von der Konkurrenz ab. Denn wenn man sich vorhandene Webseiten von Winzer*innen anschaut, sieht man immer die gleiche Bildsprache. Viel offene Blende und Menschen, die glücklich ihrer Arbeit nachgehen, eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlen, das typische Lifestylefoto eben. Damit möchte ich keineswegs sagen, dass diese Art der Fotografie schlecht ist. Es ist ein anderer Stil, aber eben nicht meiner. Ich versuche, den Lifestyle, mit dem letzten Endes ein Produkt verkauft wird, in eine andere Ästhetik zu kleiden.