21. November 2018 Lesezeit: ~5 Minuten

Das Environmental Portrait

Oh nein, schon wieder einer dieser fürchterlichen Anglizismen. Im Vorfeld wurde ich von Katja gebeten, mich nach einer sinnvollen Übersetzung dieses Begriffes umzusehen. Doch da bereits andere englische Worte wie Shooting oder Location Einzug in die deutschsprachige Welt der Fotografie gehalten haben und in Ermanglung eines deutschen Äquivalents werde ich wohl dabei bleiben. Ich werde aber im Folgenden mein Möglichstes tun, zu erklären, worum es eigentlich geht.

Das erste Mal begegnete ich dem Begriff auf Pinterest, als ich nach Inspiration für kommende Arbeiten suchte und sehen wollte, wie die Kolleg*innen in der ganzen Welt „Businessfotografie“ interpretieren. Dabei fiel mir auf, dass auch andere einen ähnlichen Bildstil wie ich verfolgen und das Ganze als „Environmental Portrait“ bezeichneten. Ich analysierte diese Fotos, verglich sie mit meinen eigenen Arbeiten und legte mir schließlich folgende Umschreibung zurecht:

Ein „Environmental Portrait“ ist die Aufnahme einer oder mehrerer Personen an ihrem Arbeitsplatz oder einem ähnlichem Umfeld, in der die Person zwar immer noch im Vordergrund steht, aber die Umgebung einen erklärenden, zur Person passenden Kontext bietet.

Frau mit Gerät am Arbeitsplatz

Es sind also Fotos, die so ohne weiteres auch in einem Magazin oder einer Zeitschrift abgebildet sein könnten. Das Ganze ist natürlich nicht nur auf Businessfotos beschränkt, sondern kann auf jegliche Art Portrait angewandt werden, in der das Umfeld eine wichtige Rolle spielt.

Für mich bietet sich diese Stilrichtung geradezu an, da zu meiner Kundschaft viele Winzer*innen und Köch*innen gehören und die ihrerseits oft nach Bildmaterial für Veröffentlichungen gefragt werden. Somit biete ich meinen Kunden einen gewissen Mehrwert. Bilder für Webseite, Flyer, Broschüren und Fotos, die von Bildredakteur*innen gern verwendet werden, weil sie sich gut auf ganzen oder Doppelseiten oder gar auf einem Titel abdrucken lassen.

Lachende Frau zwischen Weinflaschen

Um ein solches Bild zu realisieren und auch eine gewisse Abgrenzung zum üblichen Businessfoto zu schaffen, baue ich vor Ort ein kleines Set auf. Quasi mein Ministudio. Dabei spielen mir die neuesten Errungenschaften in der mobilen bzw. Studioblitztechnik in die Hände.

Auch wenn mobile Blitzgeneratoren seit einiger Zeit auf dem Markt sind und von fast jeder Herstellerfirma angeboten werden, musste man immer noch den nicht gerade leichten Blitzwürfel sowie die Lampen, Stative, Lichtformer und so weiter mit sich herumschleppen und eigentlich eine Assistenz für diese Aufgaben beschäftigen.

Doch seitdem einige Firmen (ich meine, Profoto waren die ersten) dazu übergegangen sind, die Akkus in die Blitzköpfe einzulassen und man so alles, was man braucht, in einem kleinen Trolley, Koffer oder Rucksack unterbringen kann, kann ich auch als Einzelkämpfer in den Genuss eines mobilen Studios kommen.

Ich verwende das Broncolor Siros L800 Kit , das bereits in einem praktischen Trolley kommt und auch noch genug Platz für zwei zusammengefaltete Softboxen bietet. Fotokoffer mit einer Canon EOS 5D Mark III in einer Hand, eine Hasselblad H5D in der anderen Hand, zwei Stative unter den Arm geklemmt oder der Kundschaft in die Hand gedrückt, und los geht’s.

Mann mit TasseMann zwischen zwei Fässern

Um die spezielle Charakteristik meiner Bilder zu erhalten, messe ich das Umgebungslicht so ein, dass es eine Blende dunkler als das Licht meiner Lampen ist. So steht am Ende nicht nur die Person im Vordergrund, da das Hauptlicht auf ihr liegt, sondern habe auch noch ausreichend Zeichnung im Umfeld. An dunkleren Orten benutze ich oft relativ lange Verschlusszeiten – bis zu 1/20 s mit der Canon EOS 5D Mark III oder 1/90 s mit der Hasselblad H5D – und passe den ISO-Wert entsprechend an.

Meist gehe ich mit der Kundschaft kurz den Aufnahmeort ab und entscheide mich dann spontan, wo ich fotografieren möchte. Da mein Lichtaufbau in fünf Minuten steht und ich für meine Fotos selten mehr als zehn Minuten an einem Ort brauche, geht den Kund*innen nicht viel Zeit verloren und ich kann das ganze Shooting in zwei bis drei Stunden über die Bühne bringen. Das freut natürlich die Kundschaft, da sie meistens auch Besseres zu tun hat, als den ganzen Tag für mich Modell zu stehen.

Mann sitzt vor Fässern

Und warum das Ganze? Zum einen spricht mich die Ästhetik dieser Richtung an und ich habe das als meinen Stil adaptiert. Die Kundschaft beißt meist schnell an, wenn man die Sache mit dem Mehrwert erwähnt und sie auf einmal genug Material hat, um alle möglichen Anfragen von Magazinen zu bedienen, die Webseite neu zu bestücken, Flyer auszustatten oder ihre Kanäle in den sozialen Medien zu füttern. Die Veröffentlichung meiner Arbeit in diversen Magazinen ist noch einmal zusätzliche Werbung für mich.

Zudem hebe ich mich damit von der Konkurrenz ab. Denn wenn man sich vorhandene Webseiten von Winzer*innen anschaut, sieht man immer die gleiche Bildsprache. Viel offene Blende und Menschen, die glücklich ihrer Arbeit nachgehen, eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlen, das typische Lifestylefoto eben. Damit möchte ich keineswegs sagen, dass diese Art der Fotografie schlecht ist. Es ist ein anderer Stil, aber eben nicht meiner. Ich versuche, den Lifestyle, mit dem letzten Endes ein Produkt verkauft wird, in eine andere Ästhetik zu kleiden.

9 Kommentare

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  1. Lieber Herr Weimann,
    ihre Bilder sind wirklich gut! Nicht nur wegen der perfekten Ausleuchtung, dem ansprechenden Bildaufbau und all jener Elemente, die man von einem Berufsfotografen erwarten kann und muss. Nein, die Bilder sprechen mich als Laie, als Amateur auch an, da sie den Stolz zeigen, den die dargestellten arbeitenden Menschen ausstrahlen. Während der Aufnahmezeit, die Sie mit den Personen an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen verbringen, scheinen Sie eine Empathie für die Menschen zu entwickeln. Also Glückwunsch zu Ihren Bildern.
    Mit freundlichen Grüßen
    Bernd Kockerols

    PS: Wenn mein Kommentar ein wenig altmodisch formuliert erscheint, ist das Absicht. Aber das, was ich ausdrücken wollte, konnte ich so ohne jeglichen Anglizismus erreichen. Übrigens, in einem Fotobuch aus dem Jahre 1979 wird Ihr Genre als „Arbeitsplatzfotografie“ bezeichnet.

    • Die hier gezeigten Bilder würde ich als Arbeitsplatzportrais bezeichnen.
      Unter Arbeitsplatzfotografie würde ich Menschen erwarten, die bei ihrer Tätigkeit fotografiert werden.

    • Danke, also einfach eine Person die mit ihren Interessen/Aufgaben in einer direkten Beziehung zu ihrer Umwelt steht. Arbeit ist nicht nur bezahlte Arbeit. Der/die Hausmann/-frau in ihrem Haushalt. Der Hobbygärtner oder Gärtner im Garten.

  2. Hello. Wirklich eindrucksvolle und „wirkende“ Portraits. Toll realisiert!
    Darf ich noch etwas TEchnisches Fragen: Wenn Sie derartige Portraits einmessen bedeutet das, dass Sie Manuel Belichten, den Blitz/Beleuchtung manuell einstellen und eben den Hintergrund durch die manuelle Einstellung “bei natürlichem Licht” unterbelichten? Welche Zeiten und welche ISO Einstellung verwenden Sie bei Ihren Portraits

    Will jetzt nicht neunmalklug sein, aber der Klassiker von „Environmental Portraits“ (tatsächlich ist nicht nur der Arbeitsplatz gemeint, sondern die Umgebung, die den portraitierten Menschen darstellt/charakterisiert) ist Arnold Newman. Bilder von Strawinsky oder Krupp sind genial inszeniert. Absolut sehenswert.

    Danke vielmals für den Beitrag und vor allem auch weiterhin viel Erfolg! Michael

    • Hi Michael,

      ich glaube, er geht den folgenden weg. Er stellt sich die Blende ein, die er für den Bildaudbau benötigt und belichtet zunächst die Umgebung. Dann geht er mit der Belichtungszeit so runter, dass es eben 1 Blende unterbelichtet wird. Und dann stellt er das Blitzlicht ein.

      Denn Umgebungslicht wird mit Belichtungszeit gesteuert.

      Aber ist mein Ansatz ;)

      • Oder anders formuliert. Vielleicht arbeitet er mit Blende 8. Nun misst er auf das Umgebungslicht. Vielleicht kommt z.B 1/30 raus. Damit wäre das Bild korrekt belichtet. Und ISO 800. Jetzt mal irgendwelche Werte genommen. Nun geht er hin und reduziert den ISO Wert auf 400. Das wäre 1 Blendenstufe unterbelichtet.

        Oder eben die Belichtungszeit auf 1/60. Dann hast du auch das Umgebungslicht um 1 Blende abgedunkelt. Das Blitzlicht wird aber immer auf deine Blende angepasst. Also Blende 8.

  3. Hi David,

    eine super Heransgehensweise. Finde deine Bilder sehr ausdrucksstark und sie sind, hmmm wie sage ich das am Besten. Sie verfolgen einen gleichen Stil, eine eigene Identität. Deine Identität. Man geht auf deine Seite und alle Bilder sind vom Stil identisch. Das ist super. Man erkennt deinen Stil, wie du fotografierst. Worauf es bei dir ankommt. Sehr schön. Gefällt mir wirklich super.

    Gruß

    Markus

  4. Blogartikel dazu: Neue Sachen machen 01 – Auto-Fotografie – blog.kaikutzki.de