18. April 2018 Lesezeit: ~4 Minuten

Fotografie aus dem „Herzen der Finsternis“?

Durch die Gasse der Vorurteile muss die Wahrheit ständig Spießruten laufen. (Indira Gandhi)

Wer kennt sie nicht: traurig dreinblickende Kinder. Nackte Kinder. Kinder mit Wasserbauch. Kinder mit Fliegen auf den Augenlidern. Verzweifelte Mütter, deren Liebe allein nicht ausreicht, ihre (unzähligen) Kinder am Leben zu erhalten. Lehmhütten im Hintergrund. Und Busch. Oder Dschungel. Denn der Nicht-Weiße ist naturverbunden.

Manchmal lachen die Rippengestelle auch, denn trotz ihrer Armut (und sie sind alle arm, das dürfen wir nie vergessen) wissen diese Menschen noch, wie man mit richtig wenig richtig glücklich ist.

Bei Photocircle haben wir kürzlich mit der Sammlung von Ideen für das Konzept einer Fotoausstellung begonnen, die sich unter anderem mit den Auswirkungen des Klimawandels auf eine Gemeinde in Nicaragua auseinandersetzt. Und dabei ist auch die Frage aufgekommen, wie man genau diese stereotype Zuweisung von Opferrollen und die Darstellung von Menschen als passive Hilfsobjekte vermeiden und dabei gleichzeitig die zum Teil schwerwiegenden Folgen für Mensch und Natur visuell deutlich machen kann.

Denn es ist nun einmal trotzdem eine Tatsache, dass der globale Süden bereits jetzt am stärksten von den zerstörerischen Konsequenzen des Klimawandels betroffen ist. Ein kompositorischer Spagat?

Zunächst stellt sich natürlich erst einmal die Frage, was eigentlich so schlimm ist an Bildern wie den eingangs beschriebenen. Wir begegnen ihnen zum Beispiel in Form von Werbekampagnen für Hilfsorganisationen an Bushaltestellen, in der S-Bahn oder – untermalt von melancholischer Musik – im Fernsehen. Sie sollen an unser Mitleid appellieren, damit wir Geld spenden. Dabei erzielen sie aber auch noch (mindestens) zwei weitere Effekte:

Zum einen zeichnen sie ein stark vereinfachtes Bild vom globalen Süden. Afrika zum Beispiel ist ein einziges großes unterentwickeltes Land, in dem Kinder verhungern und halbnackte Menschen in Stammesgesellschaften mitten im Nichts leben. Die Menschen dort betreiben grundsätzlich Land- oder Viehwirtschaft (und zwar mit primitiven Werkzeugen, wie wir sie seit Jahrhunderten nicht mehr verwenden). Oder muslimische Kulturen – gleichen sich grundsätzlich aufs Haar, egal, ob sie in Asien, Afrika oder Europa beheimatet sind.

Zum anderen schaffen solche Bilder eine Dichotomie zwischen „uns“, den wohlhabenden Helfenden, und „denen“ – also denjenigen, die sich nicht selbst helfen können. Die Weißen aus Europa oder Amerika (oder vielleicht noch Australien) sind die Heilsbringer*innen und die Einzigen, die hier die Entwicklung unserer eigenen zivilisatorischen Standards vorantreiben können.

Solche visuellen Darstellungen von Menschen und ganzen Kulturen (oder wie im Falle Afrikas zumeist eines ganzen Kontinents) produzieren eine ganz bestimmte Art kulturellen „Wissens“. Und so kommen am Ende unter anderem solche gesellschaftlichen Phänomene zustande wie der kollektive Aufschrei darüber, dass nach Deutschland Geflüchtete Smartphones besitzen können (und aus gutem Grund auch häufig tun) – denn das passt schlicht nicht ins Bild der Primitiven, die wir uns vielleicht „da drüben“ oder „da unten“ vorgestellt haben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel auch ein TED Talk der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, in dem sie vor der „Gefahr einer einzigen Geschichte“ warnt. Gemeint ist damit die Tendenz von Menschen, zu generalisieren und zu vereinfachen, wodurch bestimmte Narrative entstehen, sich halten und verbreiten, die zwar nur einen bestimmten Teil der Realität zeigen, dabei jedoch beanspruchen, nicht eine, sondern die Wahrheit wiederzugeben.

Wer fließend Ironie spricht, dürfte auch Freude an dieser Schreibanleitung für Texte über Afrika des kenianischen Journalisten und Schriftstellers Binyavanga Wainaina haben.

Wer nun zudem Lust hat, sich näher mit den sozialpsychologischen Hintergründen solcher Fragen auseinanderzusetzen, dem seien an dieser Stelle Stichworte wie der Halo-Effekt genannt, eine kognitive Verzerrung, die darin besteht, von bekannten Eigenschaften einer Person auf unbekannte Eigenschaften zu schließen. Oder das sogenannte Othering – die Definition des eigenen Selbst über die Differenzierung von und der Distanzierung zu „dem“ Anderen.

Besonders interessant ist hier auch Stuart Halls Auseinandersetzung mit Stereotypen und der Konstruktion binärer Oppositionen („the west and the rest“), wobei meistens das „Überlegene“ das „Unterlegene“ definiert.

Was bleibt, ist also die Frage, wie man es als Fotograf*in erfolgreich vermeiden kann, in bestimmten Kontexten in Klischees und gefährliche Stereotypisierungen abzurutschen.

Unsere Photocircle-Fotograf*innen sind mit ihren Kameras regelmäßig im globalen Süden unterwegs. Morgen berichten sie auf kwerfeldein, worauf sie achten, wenn sie die Menschen vor Ort und deren Lebensrealitäten fotografisch wiedergeben.

Das Titelbild stammt von Jac Kritzinger

10 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

  1. allen worten oben stimme ich völlig zu. den weg von photocircle kann ich allerdings nicht so wirklich nachvollziehen: indem ein teil wieder einer spenden-organisation zukommt, bleiben doch die verhältnisse bestehen? so ideell wie die ziele der projekte auch sind, sie sind manifestieren doch weiterhin das machtgefälle industrienation/trikont? und der menschen bedürftigkeit steht wieder im fokus. statt ihnen als gleichwertige partner*innen zu begegnen?

  2. Liebe Nana, vielen Dank für Deinen Kommentar!

    Der Hintergrund zu dem, was wir bei Photocircle tun, besteht darin, dass wir etwas an die Menschen und Länder zurückgeben möchten, die unsere Bilder zu etwas Besonderem machen – und die sonst nie von den Bildverkäufen profitieren würden. Das beinhaltet ausdrücklich nicht nur die Länder des globalen Südens, sondern zum Beispiel auch Deutschland oder die USA etc. Zudem ehren sehr viele unserer Projekte genau die „Agency“, die auch Menschen in Katastrophengebieten oder in sozial schwierigen Situationen besitzen. Zum Vergleich, sieh dir doch z.B. mal unsere Projekte mit dem Barefoot College, Heroes oder Über den Tellerrand an.

    Aber natürlich unterstützen wir auch humanitäre Projekte in Kriegs- und Krisengebieten, denn den Menschen durch Bildsprache oder Worte nicht auf eine Opferrolle zu reduzieren, bedeutet leider nicht, dass es nicht dennoch häufig Situationen gibt, in denen er Unterstützung benötigt, um die eigenen Ressourcen z.B. nach einer Umweltkatastrophe überhaupt nutzen zu können – und zwar überall auf der Welt, im globalen Norden wie im globalen Süden.

    • ah wunderbar, es gibt eine diskussion ;-)

      bzgl. katastrophengebieten geh ich mit euch konform. mit dem anderen finde ich es eine gratwanderung. das barefoot-college kenne ich sogar und finde es ein gutes projekt. aber auch eines, welches indien durchaus alleine händeln kann.

      wenn es um die nicht-opferrolle von leuten geht, kann man doch theoretisch gleich anders ansetzen und
      – andere bilder machen
      – leute selber die bilder machen lassen
      – mit ihnen die ergebnisse auswählen
      – direkt für sachen zahlen – ob es nun für übersetzungsdienste, zeit (für die bilder), texte gegen bezahlung schreiben lassen (natürlich hinterher editieren)

      oder sehe ich das zu naiv?

      manchmal stelle ich mir vor, wie ein*e inder*in herkommt und z.b. eine reportage zu obdachlosigkeit, produktionsungerechtigkeiten, waffenexporte usw. machen täte. wäre doch mal schön.

      • Ich fange mal unten an und arbeite mich hoch :) Ich gebe Dir vollkommen Recht, das wäre nicht nur schön, es ist sogar schön – zum Beispiel wenn unser Fotograf Sankar Sarkar (Kalkutta) in seinem Foto-Projekt „Facing one’s own“ den Trafficking-Hintergrund seiner Mutter und seine eigene Kindheit im Rotlicht-Milieu aufarbeitet; oder wenn Photocircle Fotografin Rada Akbar (Kabul) uns ihre Heimat Afghanistan aus ihrer Sicht zeigt; oder wenn unser Fotograf Sher Ali Safi (Rawalpindi) uns Pakistan von einer Seite präsentiert, die mit Konflikt oder Terrorismus oder Fundamentalismus nicht das Geringste zu tun hat.

        Professionelle Fotograf*innen aus den entsprechenden Motivländern selbst zu „Wort“ kommen zu lassen ist natürlich absolut wesentlich. Laien-Bilder zu verkaufen andererseits würde für uns jedoch keinen Sinn ergeben, denn die Fotos sollen ja als Kunstwerk an die Wand. Und wir wollen ja eben nicht nur die Künstler*innen teilhaben lassen, sondern (indirekt) auch diejenigen, die sich in den Bildern wiederfinden (und irgendjemand oder -etwas ist das ja immer).

        Nun noch kurz zu Deiner Bemerkung zum Barefoot College („gutes projekt. aber auch eines, welches indien durchaus alleine händeln kann“). Die Organisation wurde von einem Inder, Sanjit Bunker Roy, gegründet und verfolgt eben gerade den Ansatz, die Locals „selbst machen zu lassen“ – weil sie es können. Wikipedia fasst das in Kürze so zusammen: The programs are influenced by the Gandhian philosophy of each village being self-reliant. The policy of the Barefoot College is to take students, primarily women from the poorest of villages and teach them skills such as installing, building and repairing solar lamps and waterpumps without requiring them to read or write.

  3. oh, ich kann nicht mehr auf „antworten“ klicken – aber das wird wohl trotzdem richtig gelesen.

    nein, absolute laienfotos gehen nicht immer – aber in den meisten ländern sind ja auch profis am werk. und manchmal/oft müssen redaktionen auch zu bestimmten sichtweisen absolut überzeugt werden. ist ja nicht nur mangel an existierenden fotografien, was dann veröffentlicht wird. wer fotografiert ist ja nur ein aspekt – bei dem, was veröffentlicht und entlohnt wird.

    die leute auf den bildern teilhaben lassen an dem, was abgebildet und entlohnt wird ist dann ein anderer aspekt. bei katastrophen ist es ja schon recht einfach zu handhaben (je mehr die bilder an hilfe appelieren, desto mehr kommt auch in form von spenden usw.), bei sozialreportagen o.ä. schwieriger. da denk ich manchmal, dass man im direkten kontakt ein bisschen mehr leisten kann. allerdings ist das übliche veröffentlichungsgeld ja auch nicht so prall als dass man für irgendwelche dienste zahlen könnte.

    mir scheint das ganze thema ein wenig vertrackt zu sein und habe für mich im kopf keine gute lösung anzubieten. bin aber froh um diskussion. und den weg mit den ngo- oder einzelspenden finde ich keine rundum gelungene lösung. wohl weil ich auch zuviele negative auswirkungen von spenden in indien kenne.

    bzgl. barefoot college schreibst du es ja eigentlich auch selber: leute selber befähigen, tätig zu werden. aber ob da auslandsspenden „psychologisch“ wirklich hilfreich sind?

    danke fürs nachdenkenanregen!

    • Da gebe ich Dir Recht, Nana, gute Fotograf*innen finden sich natürlich auf der ganzen Welt, deshalb hatte ich ja auch drei Beispiele aus unseren Riegen angeführt – um genau das zu zeigen. Und wichtig ist in dem Zusammenhang sicherlich auch, wo, wie und zu welchem Zweck das jeweilige Foto genutzt wird. In unserem Fall spielt Ästhetik natürlich eine große Rolle, im redaktionellen Kontext ist das wieder anders und die Inhalte besitzen dafür eine höhere Priorität.

      Was die Spenden betrifft, so denke ich, dass Menschen, die finanziell dazu in der Lage sind, überall auf der Welt immer herzlich eingeladen sein sollten, etwas abzugeben – und zwar natürlich am besten, nachdem sie die jeweiligen Organisationen, deren Ansätze sowie Impact ausgiebig recherchiert haben, damit nicht am Ende mehr Schaden als Gutes zustande kommt. Chinua Achebe sagte einmal: „While we do our good works let us not forget that the real solution lies in a world in which charity will have become unnecessary.“ Und damit könnte ich nicht mehr einverstanden sein, nur ist es leider so, dass die Politik da an vielen Stellen hinterherhinkt (ganz ausdrücklich nicht nur im globalen Süden) und Charity zumindest im Moment noch nicht überflüssig ist. Das hat man aus meiner Sicht beispielsweise sehr gut an den vielen privaten Initiativen gesehen, die sich in Deutschland gebildet haben, um Geflüchteten mehr zu bieten als ein Stockbett und etwas Taschengeld (ich überspitze das jetzt ganz bewusst).

      In jedem Fall freue ich mich sehr über die Diskussion, genau solche Gespräche helfen ja dabei, das eigene Handeln besser zu reflektieren!

      • chinua achebe hat es gut gesagt, bin ich ebenfalls mit einverstanden. und ja, es gibt solche und solche organisationen. in deutschland u.ä. finde ich es leicht mit dem unterstützen. in indien usw. nicht so ganz und zwar in bezug auf rollenverteilung (eine spende ist immer noch etwas anderes als jemanden für eine leistung zu entlohnen) und „sozialen folgen“. und der status quo bleibt – das geld kommt aus den industrienationen, der trikont kann sich weiterhin als arm und abhängig empfinden. es ist nie umgekehrt.

  4. Die Analyse vom „armen Süden“ ist sehr treffend, dafür ein fettes Danke an die Autorin und an kwerfeldein, denn sowas Fundiertes liest man im Internet äußerst selten.

    Was dauernd vollkommen übersehen wird ist, wie schnell sich einige Länder und Städte entwickeln. Ich war in den letzten Jahren mehrfach in „armen“ Staaten unterwegs, und bin selber erstaunt, wie rasend schnell sich vieles verbessert.

    Ungeteerte Straßen sind plötzlich asphaltiert und beleuchtet. Gegenden, die noch vor fünfzehn Jahren ohne Strom und fließend Wasser waren, haben jetzt Solar-Straßenlaternen (gerade gesehen in Haiti). Das Telefon-Festnetz hat es in vielen gegenden der Welt nie gegeben, und es wird auch nie seinen Weg finden, denn alle haben Mobiltelefone oder telefonieren mittels Tablets und Notebooks. Immer mehr Schulen und Universitäten entstehen. Immer mehr Leute benutzen statt Esel oder Drahtesel und stinkenden, knatternden Zweitaktern zunehmend moderne Viertakter oder Autos und sogar schon E-Bikes. Leute erzählen mir immer öfter, dass ihre Kinder in Nordamerika oder UK oder Europa studieren, statt mir vorzujammern, wie schlecht es ihnen gehe.

    Fotos, die ich vor zehn bis fünfzehn Jahren machte, sehen schon heute irgendwie „fremd“ und geradezu unrealistisch aus, weil die Wirklichkeit heute eine ganz andere ist.

    • Vielen Dank für’s Teilen Deiner Eindrücke, Jürgen! Ich denke, beides ist wichtig – Armut und Not zu zeigen, wo sie existieren, aber eben auch, den anderen Teil der Geschichte (den Du ja hier z.B. beleuchtet hast) nicht zu verschweigen. Wo man über Not berichtet, muss man das ja nicht auf so paternalistische Art und Weise tun, wie es leider oft der Fall ist. Ich finde in dem Zusammenhang auch die Debatte über das Konzept der Direktspenden sehr interessant – denn das beinhaltet ja gerade die Vorstellung, dass man Menschen nicht ihre eigene Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit absprechen sollte.