„Frauen in der Kunst“ oder: sehen und gesehen werden
Beim Mittagessen, irgendwo zwischen Hummus-Bagel und Kaffee, gucke ich mal wieder bei der Konkurrenz vorbei: „Women in Art“, Frauen in der Kunst, prangt eine Überschrift oben auf einer Webseite. Interessant, denke ich mir für einen kurzen Moment – um dann jäh enttäuscht zu werden. „Die Frau als Motiv in der Kunst“, lese ich weiter. Der Klassiker, na toll. Nicht: Wie sehen Frauen die Welt, sondern: Wie sieht die Welt die Frau. Mal wieder.
Ein gutes Stück weiter nach unten gescrollt (vorbei an Frauen im Bikini und im Cocktailkleid) und es stehen die „Künstlerinnen im Fokus“, so verspricht es die Unterüberschrift. An dieser Stelle bin ich jedoch schon längst vom Stöckchen aufs Hölzchen und darüber tief ins Grübeln gekommen: Weshalb, eigentlich, wäre es denn so viel besser, würde sich die Kategorie komplett dem kreativen Tun von Frauen in den bildenden Künsten widmen?
Das hieße doch eigentlich auch nur, dass Künstlerinnen und ihr Schaffen noch immer nicht im gleichen Maße wahrgenommen werden wie männliche Kunstschaffende; und dass man ihnen deshalb ein Special Feature widmen muss. Irgendwie hatte ich das Gefühl gehabt, dass zum Beispiel die Fotografie nicht mehr die klassische Männerdomäne ist, die sie einmal war.
Jetzt will ich es genau wissen: Die Google-Suche nach „Frauen“ und „Fotografie“ ergibt (auf der ersten Seite, danach ist mir die Lust auf das Erforschen weiterer Suchergebnisse vergangen) die folgenden Ergebnisse:
- „Nackte Frauen – 100 heiße Nacktaufnahmen“
- „Portrait – Frauen Fotos % Bilder“
- „Frauen sehen Frauen – eine Bildgeschichte der Frauen-Fotografie“ (immerhin mal 50/50)
- „Aktfotos – Frauen ohne Schönheitskorrekturen“
- „Fotoprojekt: Frauen ohne Makeup und Photoshop“
- ein Verweis auf die Website einer (Achtung!) Berufsfotografin, und zu guter Letzt
- „Promi-Fotograf Mario Testino: All die schönen Frauen – und ein schöner Mann“
Aha. Frauen scheinen also tatsächlich nach wie vor öfter vor als hinter der Linse zu verweilen oder zumindest ist dies das gängige Narrativ. Aber gibt es denn wirklich so viel weniger Fotografinnen als Fotografen? Britische Volkszählungen aus dem vorletzten Jahrhundert zum Beispiel zeigen, dass dort bereits im Jahr 1901 auf etwa drei männliche Fotografen eine Fotografin kam. Und das wohlgemerkt zu einer Zeit, in der es für Frauen ungewöhnlich war, überhaupt einer bezahlten Arbeit nachzugehen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass beispielsweise Kodak schon im Jahr 1893 Frauen als Zielgruppe für seine Werbekampagnen entdeckte (Mama als private Chronologin frühester Kindheitserlebnisse und von Familienausflügen). Frauen waren aber nicht nur im privaten Bereich und als Portraitfotografinnen bereits früh aktiv; auch in der Riege der „ernsthaften“ Fotografen befanden sich bereits von Beginn an die Namen vieler Frauen.
Und wie sieht es heute aus? Die größte Organisation für (Berufs-)Fotografinnen und Fotografen in Deutschland, Freelens, hat 2.405 Mitglieder – und davon sind nur 521 (sprich: etwa ein Fünftel) Frauen. Und auch bei uns machen Frauen lediglich 21 % aller Fotografen aus.
Wenn aber Frauen bereits in den frühen Tagen der Fotografie so aktiv waren, was musste passieren, um die Fotografie in ein so dezidiert männlich-dominiertes Berufsfeld zu verwandeln? Eine mögliche Erklärung ist die zunehmende Priorisierung des Teilgebietes des Fotojournalismus. Es dauerte nicht lange und die Fotografie wurde primär Mittel zur Dokumentation von Konflikten und des aktuellen Zeitgeschehens.
Nur – Konflikte, Kriege, Wirtschaft und Politik waren nach wie vor keine Themen für Frauen (das ist heute zumindest teilweise anders, aber das ist ein neues Thema für eine andere Gelegenheit). Fotografin in einem solchen Kontext ist zum Beispiel kein Beruf, der sich so einfach mit einer Beziehung oder gar Familie verbinden lässt.
Eine andere Erklärung ist, dass sich somit in der Fotografie eigentlich nur die Geschlechterrollen unserer (westlichen) Gesellschaften reproduzieren: Zur Schau stellen ist männlich, zur Schau gestellt werden weiblich; beurteilen ist männlich, beurteilt werden weiblich; interpretieren männlich, interpretiert werden weiblich; oder ganz banal: sehen männlich, gesehen werden weiblich. Da geben sich die Welt der Fotografie und äh… die Welt nicht besonders viel.
Man kann das Glas aber ruhig als halbvoll betrachten. Vielleicht wurde für die Geschichte der Frauen in der Fotografie noch kein Happy End geschrieben, aber die Handlung entwickelt sich mit einer etwas optimistischeren Note weiter. Fotografinnen sind in der Kunstwelt und im Journalismus immer noch unterrepräsentiert, außerdem verdienen ihre männlichen Kollegen oft besser – aber damit steht der Beruf des Fotografen ja auch wirklich nicht allein da.
Dafür allerdings haben wir begonnen, über die Darstellung von Frauen und über weibliche Perspektiven in der Fotografie nachzudenken. Susan Sontag sagte einmal über das Schreiben, sie sähe keinen Grund, weshalb eine Frau nicht das Gleiche schreiben könne wie ein Mann: „Wenn ich Schach spiele, denke ich ja auch nicht, ich sollte anders spielen, weil ich eine Frau bin.“
Auch wenn da sicherlich viel dran ist, so gibt es (in der Fotografie) doch häufig willkommene Unterschiede zwischen dem, was ein Mann produziert und der fotografischen Arbeit einer Frau: Fotojournalistinnen beweisen zum Beispiel immer wieder aufs Neue, dass sie zu bestimmten Themen und Menschen einen Zugang haben, zu denen Männer keinen haben (und anders herum).
Und was die weibliche Perspektive betrifft, findet beispielsweise National Geographic Fotowettbewerbsgewinnerin Nicole Cambré, dass das Stereotyp, Frauen seien emotionaler als Männer, gar nicht unbedingt negativ aufzufassen sei: „Ein Foto ist nur dann besser als die anderen, wenn es ein Gefühl vermittelt. Über Frauen sagt man, sie seien gefühlsbetonter, was aus meiner Sicht ein Vorteil ist.“ Eine Meinung, die sie übrigens mit Annie Leibovitz teilt.
Die junge afghanische Fotografin Rada Akbar, die kürzlich beim UNICEF Foto des Jahres 2015 ausgezeichnet wurde, ergänzt: „Es besteht ein Bedarf für die afghanischen Frauen, sich zu Wort zu melden und sich selbst so darzustellen, wie sie sind. Was ich als Fotografin tue, ist, ihre Schwierigkeiten aufzuzeigen und ihren Kampf zu vertreten. Wie ich über die Handlungskompetenz von Frauen in meinem Land denke, unterscheidet sich von der Perspektive eines männlichen Fotografen und ich glaube, dass das meine Arbeit stark beeinflusst.“
Die Ausgangsfrage „Muss man eigentlich Fotografinnen und ihre Arbeit besonders hervorheben?“ sollte aber bis auf Weiteres dringend mit ja beantwortet werden. Denn Fotografinnen, die ihren männlichen Kollegen in Mut, Ausdauer und Gespür in nichts nachstehen, gab und gibt es zu Hauf – das heißt aber leider nicht, dass sie auch gesehen werden.
Das Titelbild stammt von Eva Stadler.