Vom Finden des eigenen Ichs
Wer bin ich eigentlich? Fast ein halbes Jahr lang habe ich diese Frage Tag für Tag mit mir herumgetragen, über sie nachgedacht, sie fluchend zu Boden geworfen, nur um ihre Bruchstücke dann wieder aufzusammeln und liebevoll zusammenzufügen. Und mir die Frage dann erneut zu stellen: Wer bin ich eigentlich?
„Vom Finden des eigenen Ichs“ ist der Titel meiner Bachelorarbeit, die im vergangenen Sommer entstanden ist und den Abschluss meines Kommunikationsdesign-Studiums an der FHWS in Würzburg darstellt. Schon die vorherigen sieben Semester war mein Studienschwerpunkt die Fotografie, also war es für mich ganz selbstverständlich, dass ich auch mein finales Projekt fotografisch umsetzen würde.
In der schnelllebigen Gesellschaft, in der wir heute leben, und der Vielfalt der Angebote, die uns begegnen, passiert es leicht, dass man sich verliert. Man folgt bestimmten Trends, schwimmt mit dem Strom, lässt sich von der nächsten Welle mitreißen – bis man sich plötzlich gestrandet wiederfindet, allein vor der Frage „Will ich das eigentlich?“ und vor allem „Bin ich das eigentlich?“.
Im schlimmsten Fall – und leider ist dies auch ein Phänomen unserer heutigen Zeit – plagen einen Burnout oder Depression und man beginnt, das bisherige Leben und das eigene Ich in Frage zu stellen. So war es zumindest bei mir. Im Jahr 2013 wurde mir eine schwere depressive Episode diagnostiziert und seit dieser Zeit hatte ich immer wieder mit leichten bis mittelgradigen Depressionen zu kämpfen, die mich mich permanent mit mir selbst beschäftigen ließen.
Meine Gedanken kreisten neben der Frage nach dem Grund meiner Erkrankung immer wieder um das Thema „Wer bin ich?“. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass es selbstverständlich auch ein ganz natürlicher Aspekt des menschlichen Lebens ist, seine eigene Person immer wieder in Frage zu stellen, da der Mensch sich durch verschiedene Lebensabschnitte nicht nur äußerlich verändert.
Das Grundthema für meine Bachelorarbeit war also relativ schnell gefunden, es kam mir schon fast natürlich vor, mich mit meinem Selbst einmal intensiv zu beschäftigen. Meine Leitfrage war demnach auch ganz simpel: „Wer bin ich?“
Ich bin Lisa-Marie Kaspar, 24 Jahre alt, habe vier Geschwister, von denen ich das älteste bin, mag dies und mag jenes nicht – aber halt… Beantwortet das meine Frage wirklich? Wer bin ich abseits all dessen? Was ist mein „wahres Ich?“ Gibt es das überhaupt? Was oberflächlich betrachtet nach einer einfachen Frage klingt, kann unser stabiles Welt- und Selbstbild schnell ins Wanken bringen, wenn wir die äußerste Schicht abgekratzt haben und in die Tiefe gehen sollen.
Der Psychologe Hilarion Gottfried Petzold beschreibt fünf Säulen, die prägend für unsere Identität sind: Soziale Netze, Arbeit und Beruf, Körper und Leiblichkeit, Besitz und Materielles, Glaube und Werte. Ich habe überlegt, was meine persönlichen Säulen der Identität, unabhängig von diesem Modell, sind.
Schließlich habe ich realisiert, dass es immer Formen von Beziehungen sind – die Beziehung zwischen mir und meiner Heimat, meinem Zuhause; die Beziehung zwischen meinem jetzigen Ich und meinem jüngeren Ich, also zu meinen Erinnerungen; und die menschlichen Beziehungen, sowohl zwischen mir und anderen, als auch zwischen mir und meinem Selbst.
Wichtig war für mich auch folgende Erkenntnis: Auf der stetigen Suche nach uns selbst können wir etwas nur dort suchen, wo bereits etwas vorhanden ist und das sind im Fall von uns Menschen unsere Erinnerungen. Sie sind zentraler Bestandteil unserer Identität.
Ich habe mich für das Projekt also stark mit den angesprochenen Beziehungen auseinandergesetzt und sie in drei Fotoserien visualisiert. Ich stehe selbst im Fokus der Fotografien, da diese Arbeit ja die Suche nach meinem Ich darstellt. Selbstportraits waren daher der erste feststehende Teil des Konzepts.
Sehr oft habe ich für diese Aufnahmen meinen Heimatort und mein Elternhaus besucht, um Antwort auf meine Frage zu finden. Außerdem habe ich mich an unterschiedliche Orte aus meiner Vergangenheit begeben, Erinnerungen wieder aufleben lassen und sie mit der Gegenwart verknüpft.
Ich will hier nur kurz auf die einzelnen Serien eingehen, um nicht den Rahmen des Artikels zu sprengen, aber um doch einen besseren Einblick in meine Arbeit zu geben. Die erste Fotoserie mit dem Titel „(ho)me“ beschreibt meine Beziehung zu meiner Heimat. Meine Identität ist mit meinem Zuhause eng verstrickt. Manchmal so sehr, dass mir die Luft zum Atmen fehlt. Manchmal wiederum so, dass mich die Sehnsucht packt und ich am liebsten alles stehen lassen würde, um nach Hause zu kommen.
Ich habe die richtige Balance noch nicht gefunden, vielleicht wird es auch immer ein Auf und Ab bleiben. „(ho)me“ soll meine innerliche Ambivalenz gegenüber meiner Heimat zeigen; dabei spielt das Licht eine tragende Rolle. Gedanklich habe ich immer wieder überlegt, was Heimat für mich bedeutet, wie ich meine Beziehung zu ihr fotografisch am besten festhalten soll.
„memories revisited“ ist die zweite Fotoserie meines Projekts. Es war mir wichtig, mit ihr meinen Bezug zur Vergangenheit zu zeigen, darum tritt neben mir eine meiner Schwestern in einigen Bildern auf – sie verkörpert mein jüngeres Ich, dem ich an bestimmten Stellen begegne. Julia ist von meinen Schwestern diejenige, die mir am ähnlichsten ist, weshalb ich sie für einen Teil der Serie ausgewählt habe. Auch der Aspekt, dass sie zehn Jahre jünger ist als ich, hat dabei eine wichtige Rolle gespielt.
Aus diesem Grund habe ich sie vor allem an Orten mit in die Fotografien integriert, die vor etwa zehn bis fünfzehn Jahren eine Rolle in meinem Leben gespielt haben. Als Erwachsene an diese Plätze meiner Kindheit und meines Erwachsenwerdens zurückzukehren, erfüllte mich mit einer Art Nostalgie, durch „memories revisited“ konnte ich aber so auch noch besser mit meiner Vergangenheit abschließen.
Zu guter Letzt steht „i/people“. Diese dritte Serie zeigt zwischenmenschliche Beziehungen, sowohl zwischen mir und mir nahestehenden Personen, als auch zwischen mir und meinem Ich. Auch wenn alle Selbstportraits auf ihre spezielle Art die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst darstellen, wollte ich in dieser Serie den Fokus noch stärker darauf legen.
Für „i/people“ habe ich außerdem viele meiner Freunde fotografiert, die mich auf ihre jeweils ganz eigene Weise beeinflusst und geprägt haben. Sie sollen auch stellvertretend für alle anderen wichtigen Menschen in meinem Leben stehen, die ich aus verschiedenen Gründen für dieses Projekt nicht fotografieren konnte.
Ich habe mich mit diesem Projekt nicht komplett selbst gefunden, aber ich bin dem einen großen Schritt näher gekommen. Wie die Welt um uns herum unterliegen auch wir einem andauernden Wandel, weshalb unser Selbstbild wohl immer ein Stück weit unvollkommen bleiben wird. Und vielleicht ist das auch gut so.
Grundsätzlich finde ich die Idee interessant und mutig. Die Bilder an sich sind auch gut umgesetzt.
Jedoch finde ich persönlich die Bilder zu typisch. In vielen Portfolios junger Fotografinnen finden sich sehr ähnliche Motive (junge Frau guckt verträumt irgendwohin, junge Frau sitzt zusammen gekauert auf dem Boden, junge Frau guckt aus einem Gebüsch heraus, junge Frau macht ein Nackt-Selfie vorm Spiegel).
Im Text wird deutlich auf die Beziehung zwischen der Fotografin und ihrer Heimat und Elternhaus hingewiesen. Dafür sind mir persönlich die Bilder zu eng gefasst. Für mich als Betrachter ist aus den Bildern nicht wirklich ersichtlich, dass das die Heimat der Fotografin sein könnte. Dafür ist einfach zu wenig von dieser Heimat zu sehen. Da ich dank Beschreibung weiß, dass es die Heimat der Fotografin ist, empfinde ich ihre Beziehung zu dieser Heimat als distanziert. Es wirkt auf mich nicht, als hätte sie gute Erinnerungen an ihre Heimat (was ja durchaus so sein kann).
Die Bilder mit der Schwimmbrille im Museum finde ich spannend.
Das letzte Bild hingegen wirkt auf mich, als hätte die Fotografin ihren Frieden mit der Vergangenheit gefunden und ist nun eine „andere“ Frau. So anders, dass ich mir nicht mal sicher bin, ob es wirklich die selbe Person ist, wie auf den Bildern darüber.
wurde das nicht vor kurzem schonmal gepostet? irgendeine abschlussarbeit vom finden des ich’s? dass die so ähnlich sind, kann ich mir jetzt nicht vorstellen, es ist doch derselbe post, nein?
mal davon abgesehen kann man natürlich diskutieren, warum es sinnvoll sein sollte, in fragen des ichs photographische selbstablichtung zu betreiben, aber das hatten wir ja schon mehrfach besprochen.
@ GambaJo
Gehst Du auf Instagram liest Du zu dem Bild:
one of my closest friends, portrayed for my bachelor project. she takes beautiful photos as well.
Ich habe mich auf über die Veränderung sehr gewundert. Vielleicht sollte die Frage offen bleiben oder auch nicht. Ich finde das auch verwirrend und verstehe den Ansatz dieser Abbildung im Kontext zum Rest der Bilder und Text ohne Erläuterung nicht.
Hey, schau nochmal genau, in dem Begleittext zu den letzten Bildern (also dem Text davor, zu „i/people“) steht, dass sie sich und einige ihrer Freunde/nahestehenden Menschen porträtiert hat, ich denke daraus wird vielleicht klarer, dass es sich nicht um sie, sondern um andere Personen aus ihrem Leben handelt.
Der Text und die Idee dahinter hat mir gut gefallen. Die Frage wer bin ich stellt sich wohl jeder mindestens einmal im Leben…
Teilweise sehe ich aber auch keine Verbindung zwischen Text und Fotos, Schade.
Das Bild wo alle Familien Angehörigen die Hände aufs Gesicht legen gefällt mir ausgesprochen gut.
Und einmal mehr eine deprimiert dreinblickende junge Frau…
mir gefallen die bilder und gedanke gut, ich kann es irgendwie nachvollziehen, was hier einigen anscheinend nicht so geht. danke fürs teilen :)
photographische ambitionen suchen sich halt ihre projekte, ihre verankerung in der lebenswelt, versuchen sich in deutung und verkklärung.
ich sehe solche bildstrecken eher als eine art tangentiale versuche, sich einer ganz persönlichen deutung seiner selbst und der welt zu üben.
als eine art poesie, die weniger erkläre als sehr individuell beschreibt.
servus
werner aus der hochsteiermark