Eingewachsenes, älteres Gewächshaus im Grünen.
22. Juli 2017

Nur zum Meer ist es ein wenig weit

Die Fotoarbeit „Nur zum Meer ist es ein wenig weit“ ist die persönliche Dokumentation einer deutschen Aussteigerkommune in Italien. Hier bin ich aufgewachsen. Die Arbeit schlägt eine Brücke zwischen meinen Kindheitserinnerungen und der Gegenwart, zwischen vermeintlicher Objektivität der Fotografie und radikaler Subjektivität spürbar erlebter Momente erinnerter Biografie.

„Utopiaggia“ nannte sich die Gruppe junger Deutscher, die 1982 auf der Suche nach einem alternativen Lebensmodell in Italien ein Stück Land mit drei verfallenden Häusern kaufte, um dort selbstbestimmt und unabhängig gemeinsam zu leben. Hier wollten meine Eltern mit Gleichgesinnten eine Utopie vom besseren Leben für sich und ihre Kinder verwirklichen.

Kommune bedeutete für die jungen Aussteiger*innen in erster Linie Verfügungsgewalt über die eigenen Lebens- und Arbeitsformen und die Gestaltung ihrer eigenen politischen und kulturellen Sphäre in einer überschaubaren Gemeinschaft. Für meine Diplomarbeit ging ich 2015/16 mit der Kamera in Utopiaggia auf die Suche: Was ist von der Utopie von damals geblieben?

Mann in gelber Jacke draußen im Nebel von hinten.Zwei junge Personen warm angezogen vor etwas, das wie ein Zelt anmutet, auf Paletten sitzend.

Baum, an dem zwei Leitern lehnen, auf denen kleine Kinder klettern.

Playmobilboot in einer blauen Schale, schwimmend im Wasser.Silhouette eines Kleinkindes, das mit überkreuz ausgestreckten Armen an einem Schrank lehnt

Zimmer mit ungemachtem Bett und vielen Zeitungsbildern an der Wand.

Ältere Dame mit zurückgelehntem Kopf auf einem TreckersitzWilder Fenchel vor einem blauen Himmel.

Playmobilschiff und Figuren vor eingestaubten, riesigen Weinflaschen.

Kleines Kind in einer offenen Tür stehend, im Anschnitt erwachsene Person mit Baby auf dem Arm.Aufgeschnittene Wassermelone, die grade verzehrt wird.

An einer Schnurr aufgehängte Trauben vor einem Fenster.

Portrait zweier junger Mädchen, im Freien sitzend. Eine auf dem Tisch und eine auf einem Stuhl, sich gegenseitig haltend.Konstrukt aus Holzstangen umwickelt mit Sackleinen, im Freien stehend.

Eingewachsenes, älteres Gewächshaus im Grünen.

Kleines Kind hat eine einzelne Brombeere auf seiner ausgestreckten Hand und bedeckt seine Blöße mit einem Tuch.Junges Mädchen im Bikini kniet an einem See im Gebüsch.

Ausstellungsansicht von gerahmten Fotografien an einer Wand.

Immer mehr entwickelte sich das Projekt zu einer persönlichen Spurensuche nach den Gefühlserinnerungen meiner Kindheit. Mit meinem zweiten Sohn im Tragetuch und der alten Pentax-Mittelformatkamera vor dem Bauch tauchte ich ins Schattenreich des Halb- und Unbewussten ein, indem ich mich – wie eine dort heute noch lebende Mitbgegründerin beschreibt – „halb wie im Traum durch die Schleier, die sich in vielfachen Schichten um das Eigentliche gelegt haben“, vortastete.

Anmerkung der Redaktion: Das Buch zur Diplomarbeit gibt es bisher noch nicht käuflich zu erwerben. Es ist jedoch in Planung und wird über die Webseite der Fotografin erhältlich sein.

8 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

  1. Ich mag die Fotos wirklich sehr, vermutlich auch, weil ich mir das Leben in einer Komune toll vorstelle (und es dabei hoffnungslos romantisiere). Was mir hier allerdings irgendwie fehlt sind Geschichten.. fotografisch, wie auch im Text. Mir erscheint es eher, wie eine Reportage, die Mittendrin anfängt, Bruchstücke zeigt und mittendrin auch wieder aufhört. Das ist schade, hätte gerne mehr zum Leben dort erfahren.

      • Liebe Maria,

        natürlich zeigen wir hier nun einen Auszug aus der Arbeit. Schaue dich gern auch noch auf der Website von Linda Neu um. Zudem besteht ja immer die Möglichkeit, mit der Person hinter den Bildern z.B. via Mail in Kontakt zu treten – manchmal darf man sich ein wenig bemühen dürfen für spannende Erzählungen :) Danke für deinen Kommentar!

  2. Nothing beats experience, when it comes to creating interesting works of art.

    (I guess, you used the 4,5 X 6 Pentax. Pictures have something slowed down about them – they’re great!)

  3. Ich mag diese Serie sehr. Die Bilder ent-decken die persönliche Welt der Fotografin und übermitteln Emotionen, stellen aber auch Fragen, hinterfragen. Der Stil, einfach und authentisch . Keine Bilder vom Glück des „alternativen“ Landlebens, ein leichtes Unbehagen im Bauch beim betrachten und gleichzeitig das Gefühl, dass hier Wesentliches sich andeutet.
    Gruss aus Frankreichs Süden.

  4. Ich finde, die Fotos machen eher neugierig und werfen Fragen auf, als dass sie etwas klarstellen oder Fragen beantworten. Trotzdem interessant und, wie schon jemand schreib, „stimmungsvoll und poetisch“.

    „Verfügungsgewalt über die eigenen Lebens- und Arbeitsformen und die Gestaltung ihrer eigenen politischen und kulturellen Sphäre“ – mein erster Gedanke: das klingt nach 1968 und nicht nach 1982. Und dann, beim genaueren Reflektieren: das war die Zeit kurz nach der zweiten Ölkrise und dem NATO-Doppelbeschluss, eine Zeit, in der wir uns bedroht und machtlos und endlich fühlten und irgendwie „raus“ wollten.

    Italien war damals geradezu ein Synonym für Mafia und Misswirtschaft, und als Ursprungsland von Autos, die immer in der Werkstatt standen und schon nach zwei oder drei Jahren begannen zu durchzurosten und im Winter nicht ansprangen. In der Tagesschau wurde dauernd von einer neuen Regierung berichtet: Andreotti, Cossiga, Forlani, Spadolini, Fanfani, Craxi – das fanden wir damals sehr fremd und ganz anders als in der stabilen BRD, und das war noch vor Kohl und Merkel! Und trotzdem war es ein „Sehnsuchtsland“.

    Ein lesenswerter Artikel mit vielleicht etwas zu knappen Informationen, aber trozdem Danke.