Atomkraft? – Nein, danke!
Mehr als drei Jahrzehnte vor Fukushima und knapp acht Jahre vor Tschernobyl entschied das österreichische Volk über die Zukunft der Kernenergie in ihrem Heimatland. Mit einer knappen Mehrheit von 50,47 % wurde am 5. November 1978 in einem Volksentscheid die Inbetriebnahme des in der Nähe von Wien stehenden Atomkraftwerks Zwentendorf abgelehnt.
Es erhielt damit einen einzigartigen Status: Es ist das einzige der weltweit 442 Atomkraftwerke, das nie in Betrieb ging. Sechs weitere Jahre wurde das Atomkraftwerk Zwentendorf noch betriebsbereit gehalten, bis es dann im März 1985 endgültig liquidiert wurde. Etwa eine Milliarde Euro waren bis zu diesem Zeitpunkt investiert und damit verloren gegangen.
Die Frage war nun: Was macht man mit einem Atomkraftwerk, das nicht ans Netz gehen darf? Statt eines Abrisses entschied man sich für die weitere Nutzung als Ersatzteilspender für baugleiche Atomkraftwerke und als Schulungsort für Kraftwerkspersonal.
Seit Kurzem können auch Foto- und Filmteams gefahrlos die strahlungsfreie Industrieruine als Location nutzen. Ein zugegebenermaßen teures, aber auch einzigartiges Bauwerk von besonderem Charme und eigener „Schönheit“. Ende Dezember 2016 erhielt ich die Gelegenheit, mich dem ersten deutschen Fototeam anzuschließen, das mit etwas Glück eine Erlaubnis zum Fotografieren für das Atomkraftwerk Zwentendorf erhielt.
An einem grauen Dezembertag machten wir uns auf den Weg in das Innere der strahlungsfreien Atomanlage. Unglaublich, das Gebäude hat 1.050 Räume und kein einziges Fenster! Leider hatten wir für die Besichtigung nur ein begrenztes Zeitkontingent von fünf Stunden. Damit wir uns nicht verlaufen, bekam ich zusammen mit einem Kollegen einen Führer zugeteilt. Er kennt die interessantesten Räume und ließ uns je Raum ausreichend Zeit für unsere Aufnahmen.
Es ist gespenstisch still in der Anlage. Man hört nur das Surren der Leuchtstoffröhren und gelegentlich das Zufallen einer Stahltür. Ich fühlte mich verloren im Inneren dieser gigantischen Anlage. In den ersten Räumen wirkte die Anlage fast so, als ob sie tatsächlich in Betrieb wäre. Alle Räume sind beleuchtet, die Kontrolllampen blinken, auf den Umkleideschränken der Personalräume stehen Schutzhelme, Arbeitskleidung hängt an den Bügeln über den Waschbecken.

Die Kondensationskammer wäre im Betriebsfall mit 2.200 m³ de-ionisiertem Wasser gefüllt gewesen. Im Störfall wäre sie als Sicherheitssystem zur Ableitung und Kondensierung des Dampfes aus dem Reaktorbehälter vorgesehen gewesen.
Spätestens beim Betreten der Reaktorräume wird jedoch klar: Die Anlage liegt seit fast 40 Jahren im Dornröschenschlaf. Im Normalbetrieb wären die Reaktorräume aufgrund der Strahlenbelastung nicht betretbar. Ich lasse mit einem Seil Kamera und Stativ in das 20 Meter tiefe Flutbecken hinab und steige anschließend über eine Leiter selbst hinunter.
Am Boden des Flutbeckens habe ich direkten Blick auf den Reaktorkern; den Ort, an dem 484 hochradioaktive Brennstäbe ihren Dienst verrichtet hätten. Es ist ein banges und unbeschreibliches Gefühl. Im Normalfall hätte ich diese Aufnahmen niemals machen können.

Im Reaktorkern findet die Kernspaltung statt. Beim Wechsel der Brennelemente wird das Betonbecken mit Wasser geflutet und der Reaktordeckel aufgeschraubt. Der Tausch der Brennelemente findet unter Wasser statt.

Hier sind die Dampfturbinen zur Stromerzeugung untergebracht. Die geplante Nettoleistung der Turbinen beträgt 690 Megawatt.
Nach und nach tauchte ich weiter von Raum zu Raum in das Innere der Anlage ein. Der Kontrast der unbenutzten, wie neu wirkenden und blitzblank polierten Bauteile und der zugleich vollkommen veralteten Anlagentechnik faszinierten mich.
„Energie der Zukunft“ steht auf einem riesigen Schild in der Turbinenhalle. Heute, nicht einmal 40 Jahre später, müsste der Satz auf dem Schild geändert werden in: „Energie der Vergangenheit“.
Weitere Fotos des Projektes findet Ihr auf meiner Webseite.
Tolle Aufnahmen, meist kennt man derartige Fotos ja nur von verfallenen Gebäude und Industriebrachen. Das hier hat durch die Nicht-Nutzung bei gleichzeitiger Sauberkeit einen ganz eigenen Charme. Teilweise wirken die Bilder unecht oder am PC gerendert. Toll!
Hallo Mike, danke für dein Feedback. Die Atmosphäre in der Anlage ist tatsächlich unwirklich. Man erwartet in einer alten Industrieanlage Dreck, Staub und Rost…aber nichts davon ist vorhanden!
Wer hätte gedacht, dass die Anlagen mal eine solche Verwendung bekommen.
Tja, für einen Fotografen ein richtiges Eldorado. Für den Steuerzahler ein echtes Disaster!
Der Steuerzahler hat das so gewollt, oder waren die 50,47%, die, die eh keine zahlen? Und im Vergleich zum Berliner Flughafen peanuts.
Speziell die weiteren gezeigten Bilder auf der Webseite des Autors sind toll. Ich würde die Belichtung/Kontraste über die Serie hinweg konsistenter halten, dann wirkt die Monotonie und der tote Stahl noch besser.
Der Text klingt leider nach einem Aufsatz „mein schlimmstes Ferienerlebnis“. Da ist noch Luft nach oben :)
Hallo Nico, danke für dein Feedback zu Bild und Text. Den Text hätte ich tatsächlich noch etwas weniger in Richtung Erlebnisaufsatz gestalten sollen. Next time!
Statt „Energie der Vergangenheit“ sollte man meiner Meinung nach „Energie der Gegenwart“ schreiben. Weltweit sind 447 Anlagen in Betrieb, 59 in Bau, 164 geplant und 350 beabsichtigt (Quelle: World Nuclear Association WNA).
Ich kenne noch Aufnahmen von Luca Zanier (Zürich) zu dem Thema.
…auch wenn du mit deinen Zahlen absolut Recht hast ist das Thema Kernenergie bei mir im Kopf schon fast abgehakt. Aber mir ist schon klar dass weltweit gesehen die Energiewende noch am Anfang steht.
Energie der Zukunft stimmt schon – an den Dingern kann man sich in 100.000den Jahren noch die Füße wärmen.
Die nächsten 40.000 Generationen können sich damit beschäftigen…
Eine unglaublich weittragende und gute Entscheidung der Östereicher.
Die Fotos dokumentieren das sehr gut ;)
Mir gefällt die doppelte Personenschleuse echt gut! Hat was von U-Boot 👌🏻. Manche Bilder hätte ich aber auch gerne mal in Farbe gesehen.
Hallo Moritz,
vielen Dank für dein Feedback. Ich hatte eigentlich gar nicht vor die Bilder in s/w zu auszuarbeiten. Bei der Bildbearbeitung habe ich dann aber sofort entschieden, dass die Aufnahmen in s/w viel besser zur Wirkung kommen. Außerdem unterstützt der s/w Charakter die historische Bildaussage.
Super Fotos. Ich war kurz nach Fokushima dort und hab eine sehr Interessante Führung bekommen. Man beachte die Uhrzeit im ersten Foto.
5 vor 12!!
Lg, Thomas
Hallo Thomas,
danke für dein Kommentar. Klasse, dass du auch schon das Erlebnis hattest, Zwentendorf zu besichtigen. Ja, die Uhrzeit in der Schaltwarte ist sehr symbolisch. Kurz vor Betriebsbeginn kommt das Aus für die Anlage….
Blogartikel dazu: Dies und das #5 | Spuelbeck.net