07. März 2017 Lesezeit: ~3 Minuten

Anstatt dir

Wir, die Generation Y, sind jene Mittzwanziger bis Mittdreißiger, die im Frieden aufgewachsen sind, früh das Internet kennengelernt und fast unbegrenzte Reisefreiheiten gewonnen haben. Wir wurden in einer Zeit der unendlichen Möglichkeiten geboren. Wir sind in dem Bewusstsein großgezogen worden, etwas Besonderes zu sein und deshalb wurde Selbstverwirklichung zu unserem großes Projekt.

Gleichzeitig sind wir die Konsument*innen in einer Konsumgesellschaft und da ist es unsere Aufgabe, stets unzufrieden mit uns selbst und unserer Umwelt zu sein, sonst funktioniert das System nicht. Wir sind gezwungen, stets ohne Rücksicht auf Verluste etwas Besseres zu erstreben.

Wir können uns vor lauter Möglichkeiten nicht mehr entscheiden und beginnen, mit Menschen genauso umzugehen wie mit Produkten. Wenn etwas gut ist, so ist es uns nicht gut genug, denn es könnte noch besser sein. Es muss anderswo etwas Besseres geben: einen besseren Job, einen besseren Partner, ein besseres Leben.

Ein Mann am Tisch und eine Frau hinter einem VorhangEin Mann und eine Frau, die von einer Uhr verdeckt wird

Gern werden wir als die „Generation beziehungsunfähig“ abgestempelt. Das Traurige daran: Wir haben diesen Stempel kopfnickend akzeptiert und nutzen dieses Vorurteil als selbstverständliche Ausrede, um unseren fragwürdigen Lebensstil zu rechtfertigen.

Wir wollen zwar nicht allein sein, wollen uns aber auch nicht binden. Wir wollen autonom bleiben und uns nicht anpassen müssen. Man lebt doch nur einmal, also lieber nicht binden. Lieber nicht festlegen. Lieber nicht fühlen. Lieber nicht lieben. Wir sind doch unabhängig und emotionslos.

In meiner fotografischen Arbeit „Anstatt Dir“ werden Bindungsängste und Beziehungsunfähigkeit auf ironische Art und Weise beleuchtet. Der potenzielle Partner wird von Alltagsgegenständen verdeckt, frei nach dem Motto: „Anstatt Dir ist hier nur ein Blumentopf, ein Vogelhaus oder ein Haufen Laub.“

Ein Mann und eine Frau liegen im Laub

Ein Mann und eine Frau mit dem Kopf in einer Hecke

Inspiration fand ich hierfür vor allem in Erwin Wurms, Sophie Calles und Monica Menez’ fotografischen Arbeiten, die sich dem Stilmittel bedienen, Köpfe von Personen zu überdecken. Einige der Fotografien sind inszeniert, andere nachbearbeitet. Doch genau das löse ich nicht auf.

Die Betrachter*innen dürfen an den Fotografien hängen bleiben und sich fragen, wo die verschwimmende Grenze zwischen Inszenierung und Bearbeitung ist. Das führt nicht nur zu einer objektiven, sondern auch zu einer subjektiven Auseinandersetzung mit der jeweiligen Fotografie und somit auch der Thematik.

Mein persönliches Ziel war es, Bilder entstehen zu lassen, die die Betrachter*innen zum Schmunzeln bringen. Man darf sich ertappt, aber nicht ermahnt fühlen. Da es nicht meine Absicht ist, die Moralpeitsche zu schwingen, ging ich dieses Thema mit einem Augenzwinkern an. Es geht mir schlichtweg darum, aufzuzeigen, dass wir uns das Leben meist selbst unnötig kompliziert machen.

Ich habe mich in den letzten Jahren persönlich sehr viel mit dieser Thematik auseinandergesetzt und frage mich schon lange, wo hohe Ansprüche aufhören und unerreichbarer Perfektionismus beginnt.

10 Kommentare

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  1. Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dasser tun kann, was er will, sondern das er nicht tun muss, was er nicht will.‘‘
    Jean-Jacques Rousseau

    Das geht nur in der echten Demokratie, während das Folgende immer geht:

    ’’Der Sklave will nicht frei werden. Er will Sklavenaufseher werden.‘‘
    Gabriel Laub

    Ich finde den Artikel von Frau Heinl in Kombination mit ihren Fotos ausgesprochen gut, weil er mir zeigt, wie jede Generation neu anfängt. Denn die Generation der 68er hatte viel mehr Freiheit, echte grenzenlose Freiheit. Frau Heinl definiert aus ihrer Lebenszeit heraus, daß ihre Generation die meiste Entscheidungsfreiheit hat. Hat sie aber nicht außer im digitalen Konsum.
    Sie hat aber auch nicht weniger Freiheit als früher nur eben auf einer digitalen Plattform statt auf einer analogen Plattform.
    Die Fotos von Frau Heinl regen an, um sich selbst zu fragen, wie steht es denn mit deiner eigenen Freiheit?
    Ich bin z.B. über 50 und nur mit Notwendigkeiten aufgewachsen. Ich gehöre zu den geburtenstarken Jahrgängen, die als Folge der wachsenden Freiheit damals produziert wurden und habe fast nur entfremdet gearbeitet.
    Mir ist bei den Worten von Frau Heinl klar geworden, daß die ganzen „großartigen“ Menschen, die heute überall rumlaufen, ebenso an den vorhandenen sozialen Machtverhältnissen scheitern wie wir damals.
    Der Aufstieg des „Sklaven“ ist heute anders. Der Aufstieg des kleinen Mannes ist heute die Beamtenlaufbahn. Die Freiheit besteht heute darin, durch soziale Sicherheit im Beamtenstatus – also in einem festen Rahmen – dann soziale und konsumptive Freiheit leben zu können.
    Frau Heinl hat hier einen sehr anregenden Beitrag publiziert – vielen Dank dafür.

    • Als Generation Y der ehemaligen DDR hat man definitiv mehr Freiheiten als die der digitalen Welt. Auch abgesehen davon. Durch die Globalisierung gibt es so viel mehr Freiheiten und Möglichkeiten.

      • „Durch die Globalisierung gibt es so viel mehr Freiheiten und Möglichkeiten.“ – das sehen viele Menschen auf der Welt sicher ganz anders.

  2. Genau so wie Michael im ersten Kommentar sehe ich das!

    Ich bin 55, und war das Kind einer einkommensschwachen Familie, aber wir waren viel freier als viele junge Leute heute, die sich geradezu selbst versklaven.

    Es ist aber nicht nur eine Frage, aus welcher Generation man kommt. Schon zu unserer Schulzeit gab es ja genug Leute, die eine Beamtenlaufbahn anstrebten, und auch heute gibt es freie und unabhängige junge Menschen.

    Aber tendenziell haben wir sehr viel Freiheit verloren. Interessant auch, dass die zunehmenden Versuche, unabhängige Gerichte oder freie Presse abzuschaffen, so wenig Aufschrei provoziert.

    Die Wahl, welche Henkersmahlzeit man gern hätte, ist keine Freiheit. Die Freiheit, zwischen „Coca Cola Light“ und „Coca Cola Zero“ wählen zu können, das ist mir viel zu wenig.

    • Also mit anderen Worten: ich bin kein „Alt-68er“, aber trotzdem sind mir so ein Denken und solche Fotos viel zu unpolitisch.

      Selbstverwirklichung suchten auch schon andere Generationen, beim Guru in Indien oder in Tibet, und unbegrenzte Reisefreiheit hatten andere Generationen auch schon, aber die fuhren mit einem Renault R4 durch Marokko und Algerien statt mit RyanAir einen City Trip zu buchen.

      Von einer „Zeit der unendlichen Möglichkeiten“ würde ich heute nicht reden. Viele Utopien und Visionen sind einfach verschwunden. Das, was uns heute als „optimal“ angepriesen wird, ist in Wirklichkeit gar nichts.

      Danke für den Artikel, der als Gedankenanstoß taugt, aber dem ich inhaltlich in einigen Grundannahmen widerspreche.

  3. Ach, und früher war natürlich alles besser. Die Leute waren von Grund auf zufrieden, beklagten nicht die Zustände und lebten in herrlich harmonischen Partnerschaften die, von tiefer Liebe getragen, bis ans Ende hielten. Richtig? Falsch!
    Ich bin froh, dass ich im Heute aufgewachsen bin und das Leben lernen darf, anstatt in lauter Konventionen zu leben, die mich in allen Aspekten des Lebens einschränken. Mit „Konsumption“ hat das alles nichts zu tun, da ich relativ bescheiden lebe und das nicht, weil es gerade en vogue ist, sich das Label „Minimalismus“ aufzukleben, das letztlich nur genau so verquer wie der hemmungslose Konsum ist und genau so unzufrieden macht.
    Wir sind nicht „beziehungsunfähig“, sondern leben Beziehungen nur so, wie sie in Freiheit eben gelebt werden können. Sie werden begonnen und enden eben irgendwann. So war es immer und so wird es immer sein. Das Ideal das „Für immer“ hat ausgedient, weil es eben ein Ideal ist, das auch vor uns eines war und wenig praktikabel für die Realität war. Aber man musste ja auf Biegen und Brechen zusammen bleiben, weil es gesellschaftliche Konvention war und materielle Abhängigkeiten bestanden. Muss man das wirklich immer wieder erklären?
    Die Romantik hat sich als großer Irrtum herausgestellt und die Leute werden verbittert, weil sie eben immer noch von ihr determiniert sind. Da liegt das Problem.
    Der Himmel hängt nicht voller Geigen, rote Rosen welken und die Unendlichkeit hat dann doch ein Verfallsdatum. Hallo Realität!
    Diese psychologische Diagnosehülse „Beziehungsunfähigkeit“ oder „Bindungsangst“ basiert auf antiquierten Vorstellungen von Partnerschaften, die dazu noch fleißig von Hollywood und pilcheresken Schreiberlingen genährt werden, dabei hat sich die Welt längst weitergedreht. Aber wer genau gegen diese überkommenen Vorstellungen verstößt, wird für quasi krank erklärt und die Normalität zur Pathologie gemacht. Damit tut man uns Unrecht, verkauft aber fleißig Bücher.

    Freiheit ist schwierig, ja, aber auch eine schöne Sache, wenn man ihr mit Humor und Leichtigkeit begegnet, anstatt sich ständig an falschen Maßstäben zu messen und sich den lieben langen Tag nur um sich selbst zu drehen. Da liegt eher unser Problem.

    • „Ach, und früher war natürlich alles besser.“

      Nein, genau umgekehrt. Im Text steht ja: „Wir wurden in einer Zeit der unendlichen Möglichkeiten geboren. Wir sind in dem Bewusstsein großgezogen worden, etwas Besonderes zu sein.“ Das bezieht sich auf die Ggeneration HEUTE. Deshalb schrieb ich, dass es das DAMALS auch schon gab.

  4. „Wir sind in dem Bewusstsein großgezogen worden, etwas Besonderes zu sein und deshalb wurde Selbstverwirklichung zu unserem großes Projekt.“
    Klar. Wenn man Zucker in den Arsch geblasen bekommt, begibt sich die Kuh eben aufs Eis.

    „Gleichzeitig sind wir die Konsument*innen in einer Konsumgesellschaft und da ist es unsere Aufgabe, stets unzufrieden mit uns selbst und unserer Umwelt zu sein, sonst funktioniert das System nicht.“
    Das beschränkt sich beileibe nicht auf Eure Generation. Das ist das herrschende System, welches bald vor die Hunde gehen wird.
    Ich denke auch nicht, dass es Eure „Aufgabe“ ist unzufrieden zu sein. Diese Gier nach mehr und besser gibt es seit Jahrtausenden und führt seither zu jeder Menge asozialem Verhalten, Morden, Kriegen, Zerstörungen.

    „Wir sind gezwungen, stets ohne Rücksicht auf Verluste etwas Besseres zu erstreben.“
    Seid Ihr nicht. Auch für eine Opferrolle braucht es immer zwei. Und ich frage mich, wie und wodurch fühlt Ihr Euch gezwungen?

    „Wir können uns vor lauter Möglichkeiten nicht mehr entscheiden und beginnen, mit Menschen genauso umzugehen wie mit Produkten. Wenn etwas gut ist, so ist es uns nicht gut genug, denn es könnte noch besser sein. Es muss anderswo etwas Besseres geben: einen besseren Job, einen besseren Partner, ein besseres Leben.“
    Das gab es früher auch. Der einzige, aber entscheidende Unterschied – neben der materiellen Abhängigkeit und Sozialzwängen – ist die Verfügbarkeit. Heute ist alles sofort ersetzbar. Ein neues Auto, eine neue Wohnung, und eben auch ein neuer Partner. Mehr Verlockungen, und auch mehr Gelegenheiten ihnen zu erliegen.

    „Gern werden wir als die „Generation beziehungsunfähig“ abgestempelt. Das Traurige daran: Wir haben diesen Stempel kopfnickend akzeptiert und nutzen dieses Vorurteil als selbstverständliche Ausrede, um unseren fragwürdigen Lebensstil zu rechtfertigen.“
    Werdet aber nicht glücklich damit, oder?

    „Wir wollen zwar nicht allein sein, wollen uns aber auch nicht binden. Wir wollen autonom bleiben und uns nicht anpassen müssen. Man lebt doch nur einmal, also lieber nicht binden. Lieber nicht festlegen. Lieber nicht fühlen. Lieber nicht lieben. Wir sind doch unabhängig und emotionslos.“
    Das habt Ihr doch selbst in der Hand zu durchbrechen. Euch dem Diktat der Medien und Konsumwelt zu entziehen und zu verweigern. Werte in den Mittelpunkt zu stellen. Werte, die insbesondere in der Erziehung schon lange nicht mehr vermittelt werden, wie sie es werden sollten.

    „In meiner fotografischen Arbeit „Anstatt Dir“ werden Bindungsängste und Beziehungsunfähigkeit auf ironische Art und Weise beleuchtet. Der potenzielle Partner wird von Alltagsgegenständen verdeckt, frei nach dem Motto: „Anstatt Dir ist hier nur ein Blumentopf, ein Vogelhaus oder ein Haufen Laub.““
    Ich habe eher den Eindruck, dass keine Alltagsgegenstände den fehlenden Partner „ersetzen“, sondern Arbeit, Sport und Haustiere. Zumindest meinen Beobachtungen nach.

    „Es geht mir schlichtweg darum, aufzuzeigen, dass wir uns das Leben meist selbst unnötig kompliziert machen.“
    Richtig. Es wird zu viel gegrübelt, zu viel gehadert und zu viel lamentiert, statt einfach mal zu machen. Allerdings finde ich diesen Ansatz in den Bildern nicht wieder.