13. Februar 2017 Lesezeit: ~4 Minuten

Straßenfotografie mit Tiefgang

Mir geht es zurzeit wie wohl vielen anderen ambitionierten Fotograf*innen in meinem Alter auch: Mit kleinen Kindern und einem Vollzeitjob bleibt leider nicht so viel Zeit zum Fotografieren. Man kennt das: Oft läuft man auf der Suche nach interessanten Motiven planlos und viel zu lange durch die Straßen der Stadt. Die Ausbeute an guten Fotos ist entsprechend gering. Daher stellte ich mir die Frage, wie man die begrenzte Zeit optimaler nutzen und zu einem möglichst guten Ergebnis kommen kann.

Ein kleiner Rückblick: Vor mehr als zehn Jahren hatte ich während eines Australienaufenthaltes das Tauchen für mich entdeckt. Als ich vergangenes Jahr im Familienurlaub mal wieder unter Wasser war, fiel mir auf, wie konzentriert und aufmerksam man während eines Tauchganges ist. Auch bereits vor dem Tauchgang beschäftigt man sich intensiv mit den Gegebenheiten des Tauchplatzes und schaut wo und was es unter Wasser alles zu sehen gibt.

Verregneter Platz

© Christopher Voss

Denn je nach Strömung und Körpergewicht steht Taucher*innen nur für ungefähr eine Stunde Sauerstoff zur Verfügung. Da möchte man die Zeit unter Wasser natürlich so effektiv wie möglich nutzen, um viele neue spannende Dinge zu entdecken. Ich dachte mir, so aufmerksam und effektiv müsste man die Zeit auch beim Fotografieren auf der Straße nutzen. Die Idee von Urban Street Diving war geboren.

Urban Street Diving ist seit Mitte 2016 online und ein Fotografie-Blog für „tiefgehende“ Straßenfotografie-Serien. Tiefgehend in der Hinsicht, dass sich diese Serien intensiv mit nur einem bestimmten Ort und Thema auf der Straße beschäftigen. Man taucht also sprichwörtlich in die Umgebung oder in die Geschichten der Menschen an einem Ort ein.

Ein Mann gebeugt an einem kleinen Tisch an einer Hauswand.

© Verda Sigura

Hat man einen spannenden „Tauchplatz“ in der Stadt gefunden, hält man sich während des sogenannten „Street Dives“ ausschließlich an dieser Stelle oder innerhalb eines kleinen Radius drumherum auf. Die Vorgehensweise auf der Straße orientiert sich dabei nicht 1:1 an einem richtigen Tauchgang, insbesondere was die Zeitbegrenzung von einer Stunde angeht. Die Idee des virtuellen Tauchgangs soll eine Hilfestellung sein, sich für eine individuell begrenze Zeit ausschließlich auf ein Thema oder einen Ort zu fokussieren.

Um ein paar konkrete Beispiele zu nennen, könnte ein solch urbaner Tauchplatz etwa ein Parkhaus, eine Brücke, eine Bushaltestelle oder eine Einkaufsstraße sein. Mit den „Deep Dives“ gibt es bereits eine zweite Kategorie, die sich mit noch tiefgründigeren Fotoserien beschäftigt. Diese sind meist über einen längeren Zeitraum von ein paar Wochen oder Monaten entstanden. Hier steht der örtliche Bezug oder die zeitliche Limitierung nur begrenzt im Vordergrund, sondern mehr das Thema der Fotoserie an sich. Informationen zu den Einreichungen finden sich auf der Webseite.

In einem Bus

© Eugene Schemilin

Nach ein paar Monaten kann ich eine durchweg positive Bilanz ziehen. Urban Street Diving hat sich zu einem internationalen Straßenfotografie-Blog mit Beiträgen von Fotograf*innen aus New York, Sibirien, Brasilien und Istanbul entwickelt. Die Resonanz auf das Konzept und die Idee ist sehr positiv. Vielen gibt die Limitierung in Zeit und Ort einen zusätzlichen kreativen Schub.

Aktuell veranstaltet Urban Street Diving in Kooperation mit RAW Streetphoto Gallery in Rotterdam einen Street-Diving-Wettbewerb. Er läuft noch bis Ende April 2017 und die Teilnahme ist kostenlos. Informationen und die Teilnahmebedingungen des Wettbewerbs (auf Englisch) finden sich auf der Webseite von Urban Street Diving.

Das Titelbild stammt von Christopher Voss.

6 Kommentare

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  1. Streetdiving ist ein attraktiver neuer Name für eine alte, fast schon vergessene Tugend: Hartnäckigkeit! Und die Ergebnisse sind überzeugend, nicht nur die Bilder hier auf kwerfeldein, sondern auch auf http://www.streetdiving.com

    Danke für den Post, das ermuntert mich dazu, mich der eigenen Unrast entgegenzustemmen und einmal wieder sitzen oder stehen zu bleiben und die Augen offenzuhalten!

    • Hallo Markus,

      danke für dein Feedback!

      Ja die Idee sich mehr mit einem Thema zu beschäftigen oder mehr Durchhaltevermögen an einem Ort zu haben ist ist jetzt nicht unbedingt neu, ich wollte dem ganzen einfach nur einen Namen und einen Rahmen geben.

      Viele Grüße
      Andreas

  2. Ja, die Konzentration auf wenige gute Motive ist sehr hilfreich, um konzeptionell und überlegt zu fotografieren – anstatt an einem Vormittag mit 250 Bildern nach Hause zu kommen.

  3. Hallo Andreas,
    sehr beeindruckend. Eine fachliche Frage drängt sich mir auf und hält mich eigentlich (immer noch) von dieser Art von Bildkunst ab.
    Wie gehst Du mit den Persönlichkeitsrechten vs. Veröffentlichung der abgelichteten Personen um? Wie sind da Deine praktischen Erfahrungen ? Die Definition ist ja sehr eindeutig und da die Personen sehr gut zu erkennen sind etc. etc. Ich denke es es wird klar, was ich meine.

    Danke Dir !
    Grüße
    René

    • Hallo René,

      da mache ich mir keine Gedanken. Bei den Milliarden von Fotos im Internet ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand erkennt meines Erachtens sehr gering wenn nicht sogar vernachlässigbar.

      Also in dem Sinne, mach einfach!

      Gruß
      Andreas