Cross-Dressing um 1900
In einer Box, die mit „privat“ beschriftet war, fand man vor 30 Jahren eine erstaunliche Sammlung von Glasplatten. Sie befand sich im Nachlass der beiden Portraitfotografinnen Marie Høeg (1866–1949) und Bolette Berg (1872–1944).
Im Jahr 1895 gründeten die beiden das Fotostudio Berg & Høeg in Horten, Norwegen, wo sie vom Verkauf von Portraitaufnahmen und Ansichten der Stadt und Umgebung lebten. Zu dieser Zeit war die Fotografie als anständiger und akzeptabler Beruf für Frauen angesehen, da es ein Beruf war, der ein gewisses Maß an Sinn für Ästhetik – als Teil der weiblichen Natur – forderte.
Marie Høeg posiert selbstbewusst in ihrer Wollunterwäsche. Wahrscheinlich wurde das Bild von Bolette Berg ca. 1895–1903 aufgenommen.
Horten war eine Marinebasis mit der Hauptwerft für die norwegische Marine und hatte einen starken Zustrom von Menschen, die Fotos für Feiern und als Erinnerungen benötigten. Vielleicht war das der Grund dafür, dass die beiden Fotografinnen im Prozess der Portraitarbeit verstanden, wie wichtig es ist, sich zu inszenieren und dies in hohem Maße dazu beiträgt, wie wir wahrgenommen werden.
Das Preus Museum hat in seiner Sammlung 440 Glasnegative von Berg & Høeg. Darunter auch die bereits erwähnte Box, die erst in den 1980er Jahren entdeckt wurde. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Fotograf*innen auch private Fotos in ihren Archiven haben. Aber diese Bilder waren keine gewöhnlichen Andenken. Sie zeigen, wie die beiden Fotografinnen, vor allem Marie Høeg, mit verschiedenen Geschlechterrollen experimentierten.
Man kann sich den Spaß vorstellen, den sie beim Cross-Dressing und dem Spielen mit den Rollen gehabt haben müssen. Gleichzeitig sind die Bilder jedoch tiefernst, denn sie reflektieren die Erwartungen und Einstellungen gegenüber Frauen und ihren Mangel an Rechten und Freiheit. Wir wissen, dass Marie Høeg extrovertiert war und Gruppen gründete, die für die Rechte der Frauen kämpften. Bolette Berg war weniger in der Öffentlichkeit zugegen. Allerdings war sie bei vielen dieser Aufnahmen, die internationale Aufmerksamkeit erregt haben, hinter der Kamera präsent.
Wir haben mehrere solcher Projekte in Europa und Amerika gefunden, die um 1900 entstanden und Grenzen aufbrachen. Sie unterstützen den Kampf der Frauen für volle Bürgerrechte und das Recht, ihre eigene Identität zu definieren. So sind diese Fotografien ein Teil einer internationalen Geschichte, der „Herstory“, die für alle Frauen Bedeutung und Wiedererkennungswert hat, auch heute.
Alle Bilder sind digitale Reproduktionen der Original-Glasplatten. Einige der Platten haben Risse und Schäden, die in den Reproduktionen sichtbar sind.
Text und Bilder wurden uns mit freundlicher Genehmigung des Preus Museum zur Verfügung gestellt. Der Text wurde für Euch von Redakteurin Katja Kemnitz aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Der Artikel erschien erstmals auf Bored Panda.