Im Gespräch mit Julia Runge
Julia Runge hat ihre Abschlussarbeit an der Ostkreuzschule in Berlin den Bastern gewidmet. Die Baster leben in Zentralnamibia und sind aus Beziehungen zwischen den Nachfahren europäischer Kolonialisten und einheimischer Frauen hervorgegangen. Sie wurden von keiner ihrer beiden Ausgangsgemeinschaften wirklich akzeptiert und mussten stets um ihre Autonomie und ihr Überleben kämpfen.
Ich durfte Julia einige Fragen zu ihrer Fotoserie über die Baster stellen und freue mich sehr, ihre Bilder auf kwerfeldein zu präsentieren.
Du hast Dich in Deiner Abschlussarbeit mit dem Basterland beschäftigt. Wie Du auf das Thema gekommen, hast Du eine bestimmte Verbindung zu Namibia?
Seit mehreren Jahren habe ich bereits privat und beruflich in Namibia zu tun und dort auch einige Zeit gelebt. Dadurch konnte ich dieses Land und vor allem die Baster auf eine Art und Weise kennenlernen, die mich bis heute nachhaltig inspiriert und geprägt hat. Nach meinem Abitur habe ich zur „Selbstfindung“ alle Zelte in Berlin abgeschlagen und bin nach Namibia gegangen, habe mir dort eine Wohnung genommen und anfangs als Lehrerin an einer Pre-school gearbeitet.
Dadurch hatte ich sehr viel Kontakt mit den „Locals“ und habe schnell Freundschaften geschlossen. Irgendwie bin ich dann immer intensiver mit den Menschen und vor allem den Bastern zusammengewachsen. Ich war Brautjungfer auf einer Hochzeit, war bei der Geburt einiger Kinder dabei, habe mit ihnen zusammen gelebt und mittlerweile zähle ich viele der Protagonisten der Arbeit zu meiner Familie und sie mich zu ihrer.
Das alles geschah unabhängig von dem Fotografiestudium. Meine Abschlussarbeit widmete ich daher dem Basterland.
Warum bist Du zurück nach Berlin gegangen?
Durch einen Krankheitsfall in meiner Familie musste ich zurück nach Berlin. Außerdem wollte ich unbedingt Fotografie studieren und in Namibia war das zum damaligen Zeitpunkt leider nicht möglich. Nach der Zusage von der Ostkreuzschule bin ich in den nächsten Flieger gestiegen.
Was ist das Besondere an den Bastern?
Der Name „Baster“ (Afrikaans für „Bastarde“) mag ein wenig abwertend wirken. Doch die Baster-Gemeinde hat ihn sich selbst gegeben, denn er erinnert sie an ihr Erbe und Entstehen. Die Baster respektieren mit Stolz ihre Geschichte und Traditionen und halten eng zusammen, wenn es um den Schutz ihrer Familie und Gemeinschaft geht.
Für Außenstehende mag das sehr traditionell und vielleicht konservativ wirken, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Ich bin als Außenstehende in diese Gemeinschaft gekommen und wurde von Anfang an wie eine ihrer Töchter behandelt. Ich hatte nie Probleme mit diesen Traditionen, obwohl ich komplett anders aufgewachsen bin.
Wie geht es den Bastern heute?
Die Baster waren nie eine Gruppe, die leicht beherrscht werden konnte. Ihre Protesthaltung ist Ergebnis ihrer langen Erfahrung des Lebens und Überlebens in einer „Zweifrontensituation“. Die Unsicherheit, zwischen „Schwarz“ und „Weiß“ zu bestehen, förderte schon früh ihren kulturellen Zusammenhalt und bestärkte sie in ihrem Wunsch nach umfassender Selbstbestimmung.
Doch leider verlor die ehemals dominante Gruppe der Rehobother Baster mit der Unabhängigkeit Namibias ihren Einfluss, denn nur 2,2 % der namibischen Bevölkerung sind Baster. Auch ihr Gebiet hörte durch seine Verschmelzung in die neuen Regionen auf, als territoriale und kulturelle Einheit zu existieren. Ihre „traditionellen Anführer“ wurden ihrer Macht beraubt und sind bis heute nicht durch den Staat anerkannt. Viele Baster haben deshalb ein gespanntes Verhältnis zur namibischen Regierung.
In Namibia leben sehr viele verschiedene Kulturen zusammen unter einer Regierung. Die Baster sind sehr stolz auf ihre Geschichte und Traditionen und darum halten sie daran sehr fest. Auf Außenstehende mag das teilweise konservativ oder rückschrittlich wirken, aber für mich ist es einfach Ausdruck der Angst davor, im kulturellen Schmelztiegel Namibias gänzlich unterzugehen.
Politisch gesehen könnte es den Bastern also deutlich besser gehen und diese Situation wirkt sich auch auf die Wirtschaft aus. Man hat fast das Gefühl, dass die Regierung die Baster bewusst „klein halten“ will und deswegen in den letzten Jahren kaum Geld in die Stadt Rehoboth gesteckt wurde. Zum Beispiel gab es bis vor Kurzem nur eine asphaltierte Straße. Daher gibt es auch kaum Jobs in Rehoboth, weshalb die halbe Stadt jeden Tag nach Windhoek (ca. 90 km entfernt) zur Arbeit pendeln muss.
Sich den Menschen so nah zu fühlen, die man fotografiert, hat sicher Vorteile. Gibt es auch Nachteile durch den fehlenden Abstand?
Ehrlich gesagt ergeben sich dadurch einige Nachteile, mit denen ich anfangs nie gerechnet hätte. Ich bin seit vielen Jahren Teil der Familie und habe wie jedes andere Familienmitglied auch Aufgaben und Verpflichtungen. Es war sehr schwierig, am Anfang plötzlich als arbeitende Fotografin wahrgenommen zu werden. Ich musste mich genauso an der Hausarbeit beteiligen wie sonst auch. Und manchmal war es schwierig, den „Kochlöffel zu schwingen“ und gleichzeitig die Kamera zu halten.
Und dann war da noch das Problem, dass ich durch meinen fehlenden Abstand Bilder sah und als bedeutsam empfand, weil ich hautnah und emotional mit dabei war – aber für Betrachter, die damit nichts zu tun hatten, haben sich die Bilder teilweise nicht erschlossen. Also musste ich mich zwingen, einen gewissen Abstand einzunehmen.
Es war eine Gratwanderung für mich, denn ich wollte natürlich gleichzeitig dem Betrachter vermitteln, was für eine Sympathie ich für diese Menschen habe. Diese Gratwanderung habe ich in der Serie bewusst hervorgehoben – neben inszenierten Portraits gibt es daher auch spontane, teilweise stille Bilder aus dem Alltag.
Mit welcher Technik hast Du bei der Reportage gearbeitet?
Ich habe alles analog mit meiner Mamiya 645 und Kodak-Portra-Filmen fotografiert. Obwohl ich auch digital arbeite, bin ich bei dieser Arbeit bewusst zurück zum analogen Medium gegangen.
Zum einen weil der Zugang zu den Menschen, die mich nicht kennen mit der Kamera einfacher ist – man hat immer ein Gesprächsthema über dieses alte Ding – und zum anderen weil ich nicht die schnellen Momentaufnahmen fotografieren wollte und die Kamera zwingt einen förmlich dazu, die Arbeit zu entschleunigen und über die eigenen Bilder genau nachzudenken.
Ich hab dann zwar über Wochen in Afrika nicht ein einziges Foto zu Gesicht bekommen, aber das Herzklopfen war umso schöner, als ich endlich die entwickelten Negative auf dem Lichttisch angucken konnte. Man hofft wochenlang, dass man die Belichtung richtig gemessen hat, im Bild keine Störpunkte zu sehen sind und die Portraitierten ihre Augen nicht zugekniffen haben. Es war ein tolles Gefühl, das Ergebnis dann endlich zu sehen. Mit einer digitalen Kamera hätte ich das nie gehabt.
Außerdem liebe ich das Format und analoges Filmmaterial kann meiner Meinung nach die Farben und das Licht einfangen wie kein anderes Medium.
Hattest Du Gelegenheit, die Aufnahmen den Menschen vor Ort zu zeigen? Wie waren die Reaktionen?
Ich habe mein Buch nach Namibia verschickt und natürlich haben viele von den Leuten Bilder online sehen können. Die Reaktionen waren emotional – im positiven Sinne! Von Freude über Stolz und Berührtheit war alles dabei, da es bisher ja nicht wirklich Aufnahmen von den Bastern gibt und sie sich auf die Art und Weise selbst noch nie gesehen haben.
Mein Buch soll mit in die Nationalbibliothek aufgenommen werden und ich möchte die Arbeit auf jeden Fall vor Ort noch ausstellen.
Das klingt großartig. Herzlichen Glückwunsch! Was machst Du nun nach Deinem Abschluss? Gehst Du zurück nach Afrika?
Langfristig möchte ich schon wieder zurück nach Afrika. Ich habe einfach noch viele Projekte, die ich dort verwirklichen möchte. Ich spiele momentan aber auch mit dem Gedanken, noch weiter zu studieren und mehr in die journalistische Richtung zu gehen. Und dann hält mich noch die Liebe in Berlin – mein Partner hat noch seiner Master vor sich und solange er hier studieren muss, ist Afrika auf Eis gelegt.
Für 2016 sind außerdem noch einige Ausstellung in Planung. Ab dem 18. Februar wird ein Teil meiner Abschlussarbeit in Hellerau (Europäisches Zentrum der Künste Dresden) ausgestellt. Und ansonsten geht es nach dem Abschluss weiter wie vorher: Fotografieren, fotografieren, fotografieren.
Vielen Dank für das Interview!
Wenn Ihr die Bilder von Julia ebenso gut findet wie wir, könnte Euch ihr Buch zum Projekt „Basterland“ mit ca. 50 Fotografien interessieren. Es ist käuflich direkt bei Julia per E-Mail zu erwerben.