Wildes Island
Ich bin verrückt nach diesem Land. Nach dieser Weite. Dieser Unendlichkeit der Landschaft, die nie zu enden scheint und die doch so viel Sinn macht. Wie sie mich ausfüllt. Dampfende Erde und Eiszungen aus Bergen. Und türkise Seen, die sich in reißende Flüsse verwandeln. Und dazu eine Schotterwüste, aus der pyramidenartige Berge wachsen.
All diese Gegensätze, die hier zu einem werden. Die hier in ihrer Vollkommenheit nicht zu überbieten sind. Vielleicht ist es das, was mich so ausfüllt. Diese vollkommene Harmonie aller Elemente, ganz gleich für was sie stehen und mit was man sie verbindet. Hier gehört alles hin und nichts kommt überraschend, obwohl doch alles einfach nur schier unglaublich ist.
Nachdem ich letztes Jahr schon einmal um Island herum gereist bin, wollten wir dieses Jahr das Hochland erkunden. Es gibt einen viertägigen Trekkingweg namens Laugavegur, der den Beginn unserer Reise markiert. Allein die Busfahrt zu unserem Ausgangspunkt in Landmannalaugar ist ein Abenteuer. Man schaut durch das Fenster und die Landschaft verwandelt sich vor unseren Augen in Orte, die eher der Fantasie als der realen Welt entsprechen.
Ich sauge alles auf wie ein Schwamm bis ich ganz voll bin mit Aussichten, die zu Gefühlen werden. Es überkommt mich ein solches Glücksgefühl und ich spüre das unbändige Bedürfnis, anzuhalten und endlich selbst hinaus zu gehen, um durch diese Weiten zu wandern.
Wir kommen mittags an und laufen gleich los. Schneefelder und dampfende Erde wechseln sich ab und hinter jeder Kuppe verändert sich der Ausblick und gibt dieser Weite einen Raum. Als wir spät nachmittags den Zeltplatz von Hraftinnusker erreichen, sind wir erschöpft, aber immer noch viel zu aufgeregt, um dieser Erschöpfung nachzugeben. Wir bauen das Zelt auf und besteigen einen kleinen Gipfel, der viel zu nah und zu verführerisch vor uns liegt, um ihn zu ignorieren.
Der nächste Morgen beginnt etwas nebelig, was unsere Umgebung aber nur noch dramatischer erscheinen lässt. Wir überqueren ein Schneefeld nach dem anderen und wandern von einer Kuppe zur nächsten, bis es plötzlich die letzte Kuppe war und sich eine Weite vor uns erstreckt, die schwer in Worte zu fassen ist. Isolierte Berge und wandartige Gletscher und dazwischen eine Ebene mit wilden Flüssen und irgendwo in der Ferne der See Álftavatn, der das Ziel unserer heutigen Etappe markiert.
Wir machen Pause, unsere Augen fest auf die Szenerie direkt vor uns gerichtet, ohne dass wir uns an ihr satt sehen könnten. Dieser einsame Berg im Zentrum gibt mir keine Ruhe, scheint er doch vollständig all meinen Sehnsüchten und Gefühlen einen Raum zu geben.
Wir steigen in das Tal hinab und bauen unser Zelt in Álftavatn auf. Die nächsten zwei Tage schlängelt sich unser Weg durch eben jenes Tal. Wir durchqueren eiskalte Flüsse, laufen auf Schotterpisten und passieren einen Berg nach dem anderen. In Emstrur machen wir einen Abstecher zur Schlucht Markarfljótsgljúfur, hören isländische Musik und sehen zu, wie die Sonne hinter den Bergen verschwindet.
Viel zu schnell sind wir in Þórsmörk, von wo aus wir zurück nach Reykjavik fahren, um unseren Jeep für die restliche Zeit abzuholen. Wir fahren auf der Kjölur-Route durch das Hochland in den Norden von Island und von dort in den Südosten.
Es regnet und stürmt, aber kurz nachdem die asphaltierte Straße sich in eine Schotterpiste verwandelt, lichtet sich der Himmel und lenkt unsere Blicke auf den Gletscher Langjökull. Es hat etwas Magisches, durch das Hochland zu fahren. Kein Ort weit und breit und die wenigen Autos, die man an einem Tag sieht, kann man an zwei Händen abzählen.
Wir halten an, wo wir wollen und wann wir wollen und rennen durch die Weiten dieses Landes. Vollkommen frei und vollkommen grenzenlos. Wir wandern durch die dampfende Wunderwelt von Kerlingarfjöll und werden nachts Zeugen davon, wie der Himmel über uns explodiert und tanzende Nordlichter uns unseren Verstand rauben.
Wir besteigen Vulkankrater, um oben fast vom Wind weggefegt zu werden und verlieben uns in die schier unglaubliche Mondoase des nördlichen Hochlands Richtung Askja. Wir baden in heißen Quellen mitten in der Natur und rudern auf Gletscherlagunen vorbei an sterbenden Eisschollen auf ihrem Weg ins Meer. Es gibt nichts, was es nicht gibt und obwohl man sich irgendwann an all das gewöhnt, bekommt man doch nie, niemals genug davon.
Als es dann Zeit wird, dieses Wunderland zu verlassen, lassen wir gleichzeitig auch einen Teil von uns da. Immerzu verspüre ich eine Sehnsucht nach Island, aber das Verrückte ist, dass das eigentliche Bereisen Islands diese Sehnsucht nur noch vergrößert.
Zu viel gibt es noch zu sehen und zu viel noch zu entdecken, als dass man es bei einer Reise belassen könnte. Man hat ein Gefühl für diese Weite entwickelt und für dieses Land. Für dieses wilde, wunderschöne und ungezähmte Land.