Im Gespräch mit Ines Rehberger
Während eines Fotografentreffens in Belgien habe ich die Gelegenheit genutzt und die wunderbare Ines Rehberger interviewt, deren emotionale und energievolle Portraits mich schon seit einiger Zeit faszinieren. Wir begannen das Gespräch mit ihrer Reise nach Schottland und endeten in einer Liebeserklärung an die Fotografie.
Du warst gerade fünf Wochen lang in Schottland. Was hast du da gemacht?
Ich wollte weg, einfach nur weg. Irgendwohin, um wieder zu mir selbst zu finden und mit mir ins Reine zu kommen. Ein paar Freunde haben mir Schottland empfohlen, und so habe ich geschaut, ob es einen günstigen Weg gibt, dorthin zu kommen.
Ich habe bei meiner Suche die Webseite workaway.info entdeckt, mich sofort angemeldet und Leute angeschrieben. Es geht bei dem Projekt darum, dass man zu einem Host geht und für ihn arbeitet. Als Tausch für diese Arbeit darf man dort schlafen, leben, essen. Man ist für die Zeit ein Teil der Familie.
Ich habe in Schottland fünf Tage die Woche gearbeitet, und am Wochenende habe ich mein Ding gemacht, meist natürlich Fotos.
Die erste Woche war ich jedoch erst einmal wild campen, um die Gegend auf eigene Faust zu erkunden und für mich zu sein.
Du hattest deine Kamera mit auf die Reise genommen?
Ich hatte meine digitale und meine analoge dabei. Da ich die erste Woche komplett ohne Strom war, habe ich zu Beginn nur analog fotografiert. Für die Shootings an den Wochenenden kam dann meine digitale zum Einsatz.
Die analoge habe ich ganz anders genutzt. Ich habe damit die Landschaften fotografiert, versucht, ein paar Selbstportraits zu machen oder einfach Menschen festgehalten, die ich auf meinen Wegen kennengelernt habe.
Ich habe auch überlegt, diese Bilder zu veröffentlichen, bin dann aber zu dem Schluss gekommen, dass ich sie nur für mich haben möchte. Es sind einfach sehr persönliche Momente; die analoge Kamera hat mir mein Tagebuch ersetzt.
Wie hast du die Shootings an den Wochenenden geplant?
Eigentlich gar nicht, weil ich lange gar nicht wusste, wie ich in Schottland Modelle finden kann. Kurz vor der Abreise habe ich ein männliches Modell über eine Facebookgruppe gefunden und eine Agentur angeschrieben. Später kam raus, dass das sogar die größte Agentur Großbritanniens war.
Die haben mir auch sofort geantwortet und gemeint, dass sie Fotografen wie mich suchen, denn in Großbritannien gibt es anscheinend nicht so viele Leute, die Portraits so kreativ angehen wie ich. Sie haben dort mehr Beauty- und Fashionfotografen. Deshalb hat mir die Agentur vor Ort dann einige Modelle geschickt.
Und dann kamen ein paar fremde Mädchen und Jungs zu Dir und Du kanntest weder die Gegend, noch hattest du andere Kontakte, und musstest in einer Sprache sprechen, die nicht deine Muttersprache ist. Wie war das?
Nicht so einfach. Das erste Modell hatte ihre Mama dabei, die zugesehen hat. Anweisungen auf englisch zu geben, war für mich sehr ungewohnt und ich habe mich zu Beginn auch nicht recht getraut.
Aber nach einer Weile habe ich mir einen Ruck gegeben und gedacht, ich muss einfach sagen, was ich will, und irgendwie werden sie es verstehen. Das hat dann auch erstaunlich gut funktioniert.
Aber du warst es aus Deutschland schon gewohnt, deine Bildideen mit fremden Menschen umzusetzen?
Ja, genau. Und die Modelle waren auch alle sehr offen für meine Ideen, das hat wirklich Spaß gemacht.
Du machst ja wirklich hauptsächlich Portraits. Wie viel zeigen deine Bilder von der Person vor der Kamera und wieviel von dir selbst?
Definitiv viel mehr von mir. Ich mag es, wenn die Modelle für mich eine leere Leinwand sein können. Ich möchte sie so modellieren, dass sie widerspiegeln, was ich in dem Moment zeigen möchte und was in mir vorgeht.
Mich inspirieren oft Dinge, die mir selbst passiert sind, und das bringe ich in meine Bilder ein. Deshalb denke ich, die Bilder zeigen mehr von mir als von den Modellen, auch wenn ich es mag, wenn die Person vor meiner Kamera auch etwas dazu gibt. Ich mag es ab und zu, aber nicht immer.
Ich mag zum Beispiel Tattoos an anderen sehr, aber nicht in meinen Bildern. Deshalb verstecke ich sie in meinen Fotos meist. Tattoos erzählen schnell zu viel.
Wenn dir eine Agentur ein Modell schickt, kann es passieren, dass du mit dem Gesicht oder der Person nichts anfangen kannst?
Klar, manchmal passt es einfach nicht; ich denke, das hatte schon jeder Fotograf, der häufiger Menschen fotografiert. Aber ich versuche dann dennoch immer, das Beste herauszuholen. Wenn irgendetwas zwischen Modell und Fotograf steht, funktioniert es aber nicht zu 100%.
Da kann das Licht perfekt sein und das Model sehr hübsch, aber wenn es nicht passt, dann passt es halt nicht, und ich sage das dann auch so. Das kam aber bisher wirklich sehr sehr selten vor.
Das heißt, dein Modell bekommt dann kein Bild?
Doch, ich mache schon welche, veröffentliche sie aber selbst nicht unbedingt.
Du bist auch sehr selbstkritisch mit deinen Bildern, obwohl sie aus meiner Sicht wahnsinnig gut sind. Gestern durfte ich in dein Foto-Archiv schauen, und da waren so viele Bilder, die du nicht veröffentlicht hast, und ich habe mich nur gefragt, warum?
Die Bilder finde ich schon auch schön, denn sonst hätte ich sie gar nicht erst bearbeitet und mir die Zeit genommen, mich mit ihnen auseinander zu setzen. Meist liegt es wirklich daran, dass ich zu einigen Bildern keinen Bezug finde. Ich veröffentliche sie nicht, wenn sie nicht ausdrücken, was ich zeigen wollte oder was ich fühle.
Ich brauche immer eine Verbindung zu dem Bild. Ein Foto kann technisch perfekt sein, mit gutem Licht und interessanter Szenerie, aber wenn ich keinen Bezug habe, fehlt für mich einfach das Wichtigste.
Du hast in Schottland nicht nur Modelle der Agentur fotografiert, sondern auch deine Host-Mutter. Eine Frau, die bereits über 60 ist. Diese Bilder sind wahnsinnig schön geworden.
Ja, ich brauche für meine Bilder nicht unbedingt Modelle. Ich suche wie gesagt nach diesen leeren Leinwänden. Manchmal inspirieren mich aber auch Personen, durch ihre unglaubliche Ausdruckskraft. Menschen, die einfach viel zu erzählen haben. Dann will ich auch wissen, was dahinter steht und was sie erlebt haben.
Bei ihr musste ich meine Kamera einfach in die Hand nehmen und sagen: Bitte, bitte, darf ich dich fotografieren?
Das hast du ihr gesagt? Wie hat sie reagiert?
Ich habe ihr gesagt, dass ich sie wahnsinnig gern fotografieren würde. Sie hatte noch nie in ihrem Leben ein Fotoshooting, und für sie war das etwas ganz Besonderes. Dementsprechend war das viel intensiver, weil sie viel geben und es gut machen wollte.
Hast du ihr die Bilder gezeigt?
Ich habe sie ihr gezeigt, als sie fertig bearbeitet waren.
Also konntest du nicht mehr die persönliche Reaktion sehen?
Nein, leider nicht. Ich habe sie aus Deutschland geschickt, aber ihr Mann hat mir geschrieben, wie schön sie sie finden, und dass sie sie als Prints möchten. Auf der Farm haben noch einige andere Menschen gelebt, und alle haben noch etwas kleines dazu gesagt, und ich habe mich wahnsinnig gefreut, weil sie sich so darüber freuen.
Was war das für eine Farm? Was hast du da gemacht?
Ich habe wirklich hauptsächlich typische Farmarbeit gemacht, mich morgens um die Hühner gekümmert, sie gefüttert und die Eier gesammelt. Ich habe auch die Kühe gefüttert und den Garten mit umgegraben, Kartoffeln gesammelt, Beeren gepflückt und gegossen und gedüngt.
Wirklich auch extrem harte, körperliche Arbeit, von der ich nie gedacht hätte, dass ich sie schaffe.
So etwas hast du vorher auch noch nie gemacht?
Nein, gar nicht, und es war generell meine erste große Reise, die ich allein gemacht habe.
Was hat dir die Reise persönlich gebracht?
Gerade durch die Zeit, die ich allein unterwegs war, mit meinem Haus auf dem Rücken, habe ich mich auf eine ganz andere Art und Weise kennengelernt. Ich habe erfahren, was für ein Mensch ich bin, was ich in meinem Leben erreichen möchte und welche Dinge mir wichtig sind.
Dafür habe ich diese Woche Einsamkeit gebraucht. Um zu wissen, wer ich bin, und um mit mir selbst wieder ins Reine zu kommen.
Auch meine Hosts haben mir eine ganz andere Welt eröffnet. Dinge über Essen, über die ich vorher nie richtig nachgedacht habe, bis ich krank wurde und mich gefragt habe, woran das liegt. Sie haben mir soviel erklärt über Nahrung. Man ist wirklich, was man isst.
Genau so wie man ist, was man tut. Die Art und Weise, wie die Menschen dort gelebt haben, würde man hier vielleicht als weltfremd bezeichnen, aber mich hat das sehr inspiriert.
Wir haben meditiert und über Sachen geredet, bei denen ich immer dachte, ich sei verrückt, weil ich extrem viel über so Dinge nachdenke. Zu merken, dass es Menschen gibt, die ähnlich denken, tut sehr gut.
Glaubst du, diese Erfahrungen haben sich auch auf deine Fotografien ausgewirkt?
Ja, ich denke schon. Was mir seitdem noch wichtiger geworden ist, ist, dass ich noch mehr ausdrücken möchte, was mit mir passiert, was ich denke und was ich fühle.
Es muss nicht sein, dass jeder, der das Bild sieht, auch weiß, was ich damit ausdrücken möchte. Es ist einfach eine Form der Therapie für mich, und die Bilder müssen andere nicht auf die selbe Art ansprechen wie mich.
Ich glaube, so etwas ist auch gar nicht möglich.
Genau, das ist im Grunde ja auch eine schöne Sache. Ein Bild kann in anderen Menschen etwas ganz anderes auslösen. Ich mag es auch sehr, wenn Menschen mir schreiben und erzählen, welches Bild sie wie berührt hat. Da spielen viele individuelle Erfahrungen mit hinein.
Passiert das oft, dass Menschen dir schreiben?
Immer häufiger.
Wie lange fotografierst du jetzt schon?
Ich habe mit fünfzehn meine erste Kamera gekauft, die Canon 500D. Die Kamera habe ich auch sieben Jahre lang benutzt, bis sie komplett kaputt war, weil ich wirklich intensiv damit fotografiert habe.
Mit 16 habe ich beschlossen, dass ich das beruflich machen möchte, und bin einjährlich nach Stuttgart auf die Johannes-Gutenberg Schule gegangen. Das war eine so tolle Zeit, dass ich auch eine Ausbildung anfangen wollte, und diese mit siebzehn gestartet habe.
Genau, darüber hattest du bei uns schon einmal berichtet und auch, dass du mit dieser Zeit weniger glücklich warst.
Ja, genau. Insgesamt fotografiere ich jetzt also sechs Jahre.
Wie wichtig ist die Technik?
Eigentlich so gar nicht, es sei denn, es geht um ISO und Unschärfe. Extremes Rauschen versuche ich möglichst zu vermeiden, soweit es geht, aber sonst ist mir Technik ziemlich egal.
Wenn du ein Bild machst, hast du es schon genau im Kopf?
Nein, in dem Moment noch gar nicht. Es passiert ja auch so oft, dass man jemanden in ein wunderschönes Licht stellt, den Auslöser drückt und feststellt, dass das so gar nicht rüber kommt. Und dann wieder stellt man sein Model an eine Stelle, mit der man sehr unsicher ist, und hat nach dem Auslösen diesen Wow-Effekt.
Dementsprechend ist es für mich auch immer wieder eine Überraschung, was genau raus kommt.
Das heißt, Du experimentierst immer noch viel und weißt nie genau, was am Ende passiert?
Ich mache gern einfach und schaue, was sich daraus entwickelt. Ich liebe es, zu experimentieren, mit Lichtern und verschiedenen Beleuchtungen, mit Farben. Mit verschiedenen Methoden Wind zu machen und Sprühnebel, den ich wieder mit Licht verbinde. Ich kombiniere generell sehr gerne Dinge.
Was empfiehlst du Lesern, die gerne auch von den gängigen starren Portraits weg und experimenteller arbeiten wollen?
Just go for it. Probiert viel aus. Wenn ihr wirklich den Willen habt, etwas an euren Bildern zu ändern, dann macht ohne Angst etwas Verrücktes. Geht nachts raus und strahlt euer Modell mit einem Autolicht oder der Taschenlampe an, macht Schatten mit Farn oder anderen Blättern.
Lasst eure Modelle durch verregnete Straßen tanzen, bewerft sie mit Konfetti und Glitzer, bemalt die Gesichter und macht Gel in die Haare.
Das Wichtigste dabei ist, dass man nicht immer denkt, es muss jetzt unbedingt etwas dabei herauskommen, und es muss jetzt perfekt werden. Gerade für den Anfang rate ich, sich eine Freundin oder einen Freund zu schnappen und einfach experimentell zu sein.
Nur Wollen hilft nichts, man muss es machen. Nur durch Probieren findet man ja auch heraus, was einem selbst gefällt. Und nur durch Probieren lernt man auch etwas.
Was gefällt dir am meisten? Ist es die Aufnahme an sich mit all dem Experimentieren? Oder eher die Nachbearbeitung, bei der du ja auch noch unglaublich viel mit den Bildern machst?
Der komplette Prozess, alles, was irgendwie mit Fotografie zu tun hat, ist das Tollste. Vor allem aber das Endprodukt, wenn man durch diesen ganze Prozess gegangen ist. Wenn man sich jemanden ausgesucht hat, den man vor die Kamera stellen will, man das Bild gemacht und dabei mehrere Schüsse gebraucht, dann bearbeitet und das fertige Bild vor Augen hat.
Ich mag auch diesen Moment, wenn man die entstandenen Bilder in der Kamera durchscrollt und zum Beispiel Windbilder mit fliegenden Haaren gemacht hat, und dann ein Bild sieht, bei dem die Haare perfekt liegen und der Blick sitzt. Einfach wo alles passt und man innerlich denkt: YES!
Und insgesamt das Beste ist einfach, wie sich mein Leben durch die Fotografie verändert hat. Ich möchte gar nicht wissen, wie es gekommen wäre, wenn ich nie zur Kamera gegriffen hätte. Ich frage mich oft, was ich dann wohl für ein Mensch wäre.
Wie hat die Fotografie Dein Leben verändert?
Vor allem bin ich dankbar für all die Menschen, die ich durch die Fotografie kennengelernt habe, und die mir auch noch einmal eine komplett andere Welt gezeigt haben. Ich habe lange nicht gewusst, dass es da draußen Leute gibt wie mich, für die die Fotografie genau so wichtig ist.
Vielen Dank für das Gespräch.