Heute bin ich mit Bersat, der in Kosovo viele arme Familien betreut, und Sara unterwegs. Wir fahren zu Familie Morina, die in der Nähe von Kline wohnt. Dort hat die Caritas Kosova vor fünf Jahren begonnen, nach und nach ein Haus zu bauen – ein Stall für eine Kuh soll noch folgen.
Vor Ort werden wir freundlich begrüßt – im Hof des Hauses schwirren einige Küken hin und her und ein kleiner Junge hat ein Hundebaby auf dem Arm, mit dem er spielt. Sofort wird uns von Frau Morina türkischer Kaffee angeboten, der besser schmeckt als jeder Nescafé, den wir in Cafés zu trinken bekommen.
Das ganze Haus, Hof und Garten machen einen sehr gepflegten und ordentlichen Eindruck. Zur Zeit unseres Eintreffens ist der Vater namens Hasan noch mit seinen zwei Töchtern unterwegs, sie sammeln Holz und kommen dazu, während wir im Wohnzimmer der Familie sitzen.
Die beiden Eltern haben fünf Kinder. Drei Töchter und zwei Söhne, von denen ein Sohn mit 17 Jahren nach Italien geflohen ist. Der dort bei einem Priester eine Unterkunft gefunden, Italienisch gelernt und einen kleinen Job bekommen hat.
Ich frage nach, wovon diese Familie lebt und erfahre, dass der Vater psychisch krank ist und viele teure Medikamente braucht. Während des Krieges floh die junge Familie mit zwei Kindern in einen Wald – jedoch fand sie dort die serbische Polizei und schlug den Vater auf übelste Weise.
Heute hat der Vater einen Behinderten-Status und sechs Operationen hinter sich, für die er Kredite aufnahm, um sie zu bezahlen. Weil er ein Mensch mit Behinderung ist, bekommt die Familie eine Pension von 120 € im Monat, von denen 70 € direkt an Bank gehen, um den Kredit abzubezahlen. Und: Weil Hasan eine Pension bekommt, gibt es vom Staat keine Sozialhilfe.
Das bedeutet: 50 € im Monat.
Hier leben alle von Tag zu Tag – Mitarbeiter der Caritas versorgen die Familie mit Nahrungsmitteln und Medikamenten, die der depressive Vater sich nie leisten könnte. Hasan ist nervös und hat Schlafstörungen. Vor Kurzem wurde hier der Strom abgestellt, ohne den die Wasserpumpe nicht funktioniert. So müssen Hasan und seine Familie das Wasser aus dem Brunnen im Hof schöpfen.
Während ich der Familie zuhöre, im Kopf die Informationen ordne und versuche, mir darauf einen Reim zu machen, drücke ich ab und zu den Auslöser, um die Kinder zu fotografieren. Weil sie aber sehr schüchtern sind und sich lachend verstecken, entschließe ich mich, die Gesprächsrunde zu verlassen und gehe in den Hof.
Mein Plan geht auf, die Mädchen und der Junge folgen mir. Sie kichern, wir hampeln herum, ziehen Grimassen und das älteste Mädchen kann einen Satz auf Deutsch: „Halt die Klappe.“ So wie sie den Satz sagt, weiß ich, dass sie nicht versteht, was sie da sagt und ich kann nicht anders, als loszulachen.
Wir gehen in den Garten und die Mädchen pflücken Kirschen vom Baum, die nicht wirklich reif sind, aber die sie dennoch essen. Wir albern herum und nach ein paar Minuten gebe ich ihnen die Kamera. Jedes Kind macht ein paar Fotos, schaut aufs Display und lacht sich schief.
Es sind Momente der Freiheit. Trotz der Armut haben die Kinder einen Weg gefunden, damit umzugehen. Keine Träne fließt, im Gegenteil. Sie wirken wach, etwas verunsichert, aber offen.
Zum Abschluss mache ich von der gesamten Familie noch ein Foto und wir verabschieden uns. Dieser Besuch dauerte über eine Stunde, doch er verging wie im Flug.
Liebe Familie Morina, lieber Hasan. Hier in Deutschland denke ich oft an Euch, an Eure Not, aber auch an die kurzen Freuden. Ich wünsche Euch so sehr, dass Ihr eine gute Zukunft findet. Und Ihr die Vergangenheit bewältigen könnt, die doch immer noch in die Gegenwart hineinragt. Friede mit Euch allen.