Rosa Wölkchen und ein See
09. April 2015 Lesezeit: ~4 Minuten

Landschaften

Wir haben die Natur entzaubert oder meinen es jedenfalls. […] Es ist heute gefährlicher, ein Glied der Gesellschaft zu sein als den Naturgewalten preisgegeben zu sein.1

Auf dieses Zitat des Theologen Hans Joachim Iwand stieß ich während einer Hausarbeit im Fach evangelische Theologie. Es ließ mich über meine eigene Fotografie und mein Verhältnis zur Natur nachdenken.

Ich stehe in einer Kölner Altbauwohnung, eine hippe Party mit hippen Leuten. Uwe gesellt sich zu mir: „Sag mal, was machst Du denn so für Fotos?“

Ich überlege kurz, passenderweise müsste ich jetzt so was antworten wie: Retro-Analogfotografie, experimentelle Portraits oder Straßenfotografie, um ein anerkennendes Kopfnicken zu bekommen. Stattdessen nuschele ich etwas beschämt: „Naja, so Landschaften, weißte, nix Dolles.“

Froschperspektive. Wir sehen hoch zu einem Baum auf einem Felsen.

Ein Mann sitzt auf einer Bank, welche neben einem Baum steht.

Dabei ist es ganz einfach so: Ich fotografiere Landschaften, weil ich gern draußen bin. Und das ist gelogen, denn ich bin nicht einfach nur gern „draußen“.

War ich zu lange in der Stadt, zu lange in meiner Wohnung, zu lange umgeben von Beton und Menschen, dann habe ich das Gefühl, den Bezug zur Realität zu verlieren.

Umgeben von Menschen spüre ich ständig die Zwänge, die sich wie Blei auf die Seele legen. Die Verbote und Verpflichtungen, denen ich hier unterworfen bin, führen zu klaustrophobischen Zuständen.

Nebel, Feld und Wald.

Bäume, Wald, Bäume, Wald.

Draußen bin ich befreit.
Draußen kann ich einfach sein.
Draußen fühlt sich mehr nach Leben an.
Draußen bekomme ich den Wechsel der Jahreszeiten mit.
Jeder Monat fühlt sich anders an.
Jeder Tag ist etwas Besonderes.

Mit jeder Stunde verändert sich die Stimmung, die Temperatur und die Menge des Lichtes. Draußen wird man nass, man friert, man steht mit dem Gesicht im Wind und wird von der Sonne gewärmt und getrocknet.

Wenn ich ein Bild von einer „schönen“ Berglandschaft mache, dann stehe ich in keiner kitschigen Postkarte, ich stehe vor einem massiven Berg, dessen Anblick in mir Ehrfurcht im wahrsten Sinne des Wortes hervorruft.

Ein Weg führt vom Haus in den Wald.

Ein Weg an Feld und Wiesen vorbei.

Wenn ich mir am Ufer eines Sees einen Sonnenuntergang ansehe, komme ich nicht zur Ruhe. Ich bin aufgeregt, ich versuche, so stark wie möglich dort zu sein, anwesend zu sein, dem Schauspiel beizuwohnen, alles in mich aufzusaugen und nichts von diesem kostbaren Moment zu verschwenden.

Die Kamera wird in diesem Moment zur Konservendose, in die ich möglichst viel von diesem Moment füllen möchte, um ihn zu konservieren.

Sonnenuntergang am Feldrand.

Sonnenuntergang!

Baum und Sonnenuntergang.

Denn habe ich mich eine zeitlang den Elementen der Natur ausgesetzt, muss ich wieder zurück. Ich werde wieder zu einem Glied der Gesellschaft. Die Mauern und Regeln stumpfen den Geist nach und nach ab. Das einzige, was bleibt, sind die Konserven, die ich mitbringen konnte.

Von Zeit zu Zeit mache ich sie auf und erinnere mich an den Moment, den ich dort abgefüllt habe.

Laubfärbung und Wald.

Ich sehe noch einmal die Landschaft, erinnere mich an die wärmende Sonne auf meiner Haut, an den Geruch nach Himbeeren im Nebelwald, an die Kraft von Wind und Wasser, die zwischen Segel und Ruder auf meinen Körper wirken, an die Angst, die ich in der Steilwand hängend überwinden muss und die Ruhe, die einen beim ersten Kaffee am Morgen vorm Zelt durchströmt.

Ich mache Landschaftsfotos und ich hoffe, sie schmecken!

1 Nachgelassene Werke: Neue Folge, Hans Joachim Iwand. Hrsg., Hans-Iwand-Stiftung, Gütersloh: Kaiser, Bd.1 Kirche und Gesellschaft, 1998, S.22*

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.

Ähnliche Artikel