Ein Schrebergarten
12. Dezember 2014

Langweilige Heimat

Natur fasziniert mich. Ich bin kein Landschaftsfotograf, aber all die Facetten der Natur, die unsere Welt zu bieten hat, begeistern mich. Stimmungen und Emotionen aller Art sind in der Diversität der Erde zu finden. Langeweile gehört dazu.

Zum Teil beschuldige ich die Gewohnheit, dafür gesorgt zu haben, dass die Umgebung, ich der ich aufwuchs, überwiegend Trostlosigkeit in mir hervorruft. Die Suche nach überwältigender Atmosphäre und Naturgewalt oder nachdenklicher Stille scheint mir in meiner Heimat vergebens.

In einer fotografischen Auseinandersetzung mit diesem Umstand wollte ich näher betrachten, in welcher Beziehung mein Empfinden für Ästhetik zu meiner unmittelbaren Umgebung steht. Ich komme aus einer kleinen Ortschaft außerhalb Stuttgarts. Nicht aus der Stadt, aber auch nicht wirklich aus ländlicher Gegend.

Ein gewisser Radius um Stuttgart herum ist eben weder das eine, noch das andere. Außerhalb des Stadtkerns und der dazugehörigen Stadtteile besteht das landschaftliche Bild aus einem Geflecht von Kleinstädten und Dörfern, die immer näher zusammenwachsen.

Einige große Unternehmen, die hier angesiedelt sind, prägen die Gegend zum einen durch eigene Werkskomplexe und Industrieanlagen und zum anderen durch eine Vielzahl kleiner und mittelständischer Betriebe, die zu ihnen in Verbindung stehen. Kaum ein Ort, an dessen Rand sich kein Industriegebiet befindet. Dazwischen erstrecken sich Felder und Bauernhöfe mit kleinen Hofläden in gleichmäßigen Abständen, hin und wieder unterbrochen durch ein kleines Stück Wald.

In meinem Heimatort wichen viele Felder nach und nach dem wachsenden Industriegebiet, Dörfer wuchsen so zusammen. Auf den wenigen Kilometern zwischen den Ortschaften finden sich Schrebergärten, die Oasen bürgerlicher Zufriedenheit. Kleingartenanlagen, an deren Eingängen nach dem Samstagvormittags-Einkauf der Jahreswagen mit dem Stern geparkt wird, um ein paar Stunden Freizeitidylle zu genießen.

Diese Mischung aus Industrie und ländlicher Kleinstadtromantik empfinde ich überwiegend als Einöde. Es mag daran liegen, dass ich seit meiner Kindheit an Wochenenden durch deklarierte Naherholungsgebiete laufe und fahre, die sehr viel banaler sind als andernorts der Wald vor der Haustür. Aber das bringt der Wohlstand in dicht besiedelten Neubaugebieten vielleicht einfach mit sich.

Vielleicht ist es aber auch die Tatsache, dass das geordnete, geradlinige Landschaftsbild so sehr der Mentalität der Menschen gleicht. Nun, diese Aussage bedient zwar Vorurteile, aber ich habe in meinem jungen Leben oft den Kopf schütteln müssen über Dinge, die mir scheinbar nur im „Ländle“ passieren. Die Liebe zu (Haus-)Ordnung und Reglement ist hier einfach leidenschaftlich stark. Umso mehr schätze ich Mitmenschen, die Subkultur und Gemeinschaft höher schätzen als die Kehrwoche.

Haus und Hof

Eine Minigolfanlage

Ein Feldweg

Eine Autowaschanlage

Eine Straße im Nebel

Eine Gebäudefassade

Ein Industriegebäude auf einem Feld

Ein Schrebergarten

Ein Autohandel

Felder im Nebel

Ein Bürogebäude

Ein verdorrtes Blumenfeld

Ein Baum im Nebel

Eine Einfahrt mit Autos

Ein Bauernhof und Felder

Felder im Nebel

Ein hässliches Gebäude

Ein Wohnwagenpark

Eine Straße im Nebel

Ein Gemüsestand

Ich liebe die Apfelwiesen und Gemüsestände, die kurzen Wege aus der Stadt heraus in die Natur. Mein Heimatgefühl ist ambivalent, was sich seltsam natürlich anfühlt, denn meine Familie hat an sich keine Wurzeln hier. Als Kind einer multikulturellen Ehe ist mir dieser Bezug zum Begriff „Herkunft“ möglicherweise angeboren.

21 Kommentare

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  1. Cool…die Fotos erinnern mich an Silent Hill. Die Straße im Nebel gibt ein das Gefühl bei mir, es gäbe Nichts wo der Weg hin führt. Die Trailers /Wohnwagen sind die Fluchtkapseln aus der leblosen Welt.

    Schön langweilig, super!

    Text lese ich dann später…geht ja um Fotos, die eine Geschichte in mir auslösen soll…das haben sie.

  2. [Bis auf die Nebelwand-Bilder :-)] ein sehr schöner Artikel mit authentischen Bildern, in dem ich von mir ein großes Stück eigener Gedanken wiederfinde.

    Die Industrie, die sich wie ein Krebs unaufhaltsam ausbreitet und das ländliche, traditionelle Leben und wilde Natur, die ihr weichen muss. Andererseits bringt sie uns aber auch den Wohlstand, Sicherheit, die Wohnwägen und Schrebergärten auf die wir Deutschen (im Durchschnitt) so stolz sind.

    Ob sich der Tausch lohnt werden wir wohl in 200 Jahren sehen.

  3. Hallo Chris, ich kann genau nachempfinden, was du hier beschreibst. Meine Heimat, die Metropolregion Rhein-Neckar zwischen MA+HD, empfinde ich auch als Einöde mit ihrer überwiegend hässlichen Zweckarchitektur, zersiedelten Flächen, monokulturellem Ackerbau, Hochspannungsmasten etc. Wohl wissend, welchen Lebensstandard ich hier mit kurzen Entfernungen genieße, sehne ich mich nach naturnäheren und weniger verschandelten Landschaften wie dem Schwarzwald oder dem bayrischen Alpenrand.

    Nichtsdestotrotz hält auch meine Region, die ich als unfotogen empfinde, immer wieder Überraschungen bereit, wo ich als Landschaftsknipser auf meine Kosten komme.

  4. Die Umgebung, in der wir leben, löst in uns selten den Reiz aus, genau hinzuschauen. Sie repräsentiert das Gewohnte, den oft tristen Alltag. Bestimmt keine Kalenderbilder, die Staunen erzeugen. Deshalb fliegen wir – auf die Umwelt sollen andere achten – nach Afrika, Grönland oder Patagonien. Schließlich wollen wir auch spektakuläre Aufnahmen präsentieren und damit viele Ahh’s und Ohh’s ernten. Erst dann fühlen wir uns anerkannt als FotografInnen. Dabei stellt sich die Frage, was Fotografie eigentlich ist. Allein das Sammeln von räumlichen Highlights? Der Berg muss glühen, sonst ist das Bild nichts wert? Es reden immer alle so viel von den Geschichten, die hinter den Bldern stecken sollen. Wenn es aber um Geschichten geht, bietet sich durchaus die“Heimat“ an, mit Bildern von ihr zu erzählen. Man muss sie nur finden, was allerdings nur funktioniert, wenn man auch nach ihnen sucht.
    VG, Henry

    • Hallo Roland,

      wie du aus dem Text herauslesen kannst, ist diese Serie eine persönliche Auseinandersetzung mit meiner Umgebung. Der Bildstil hat mit Martins Vorstellungen überhaupt nichts zu tun.
      Zumal das hier auch nicht wirklich Landschaftsfotos sind :)

  5. Klar ist das öde hoch 3 – deine Aufnahmen illustrieren das eindringlich. Und eine spezielle Mentalität würde mich auch ziemlich nerven (die gibt es übrigens auch hier im Norden…). Aber wenn du aus einer Gegend mit konstant 2-stelliger Arbeitslosenrate kommst, überlegst schon die Industrieansiedlungen hier zu haben.

  6. Sehr schön, Chris. Ohne die Nebelbilder wäre es noch stringenter geworden. Erinnert mich ein bisschen an das Buch Typology 1979. Das Gewöhnliche zu fotografieren, und auch zu verstehen, wo die Unterschiede liegen, wenn man sowas in verschiedenen Regionen macht, ist eine spannende Herausforderung. Vor allem, dabei nicht der Versuchung nachzugeben, sich das Interessante, das Fotogene herauszupicken.

  7. Eine tolle Serie, die die beschriebene Stimmung sehr gut transportiert. Solche Gegenden kann man aber überall finden, auch wenn es vielleicht im Ländle in mancherlei Hinsicht etwas extremer sein mag als anderswo ;-)
    Interessant finde ich, dass diese Ödnis von vielen Menschen gar nicht bemerkt wird, bzw. erst wenn sie Fotos wie diese sehen und dann sagen „Mann, wie langweilig!“

  8. Hallo Chris,
    ich wohne selbst im badischen Bereich in der Nähe des Schwarzwaldes. Da ich zufälligerweise gerade heute von einem Spaziergang aus der Gegend komme und mir dabei die Trostlosigkeit meiner Umgebung ganz besonders auffiel, konnte dieser Artikel kaum zu einer besseren Gelegenheit kommen! Musste heftig schmunzeln, als ich schon das erste Bild sah. Daraus könnte man ein schönes Projekt machen, Deutschland mal die eigene Tristesse vorführen. Wäre natürlich nicht das erste Mal, aber so schön wie hier kommt das selten rüber.