Interview mit Fotojournalist Florian Büttner
Florian Büttner hat sich mit seinen einfühlsamen Reportagen einen Namen gemacht. Er widmet sich immer wieder Themen, die ohne sein Kameraobjektiv nicht ans Licht der Öffentlichkeit geraten würden.
Ursprünglich brachte ihn seine Reiselust zur Fotografie, heute begeistert er als erfolgreicher Fotojournalist mit Veröffentlichungen in Magazinen wie GEO, dem Stern oder dem ZEIT-Magazin. Zusätzlich unterstützt er durch den Verkauf seiner Bilder soziale Projekte für Flüchtlinge und Straßenkinder. Im Interview erzählt er, wie er auf einer Nazi-Demo zu seinem Beruf fand und welche seiner Bilder ihm besonders wichtig sind.
Florian Büttner, was zeichnet Deiner Meinung nach einen guten Fotografen aus?
Erst einmal gibt es viele unterschiedliche Arten von Fotografen. Ein Werbe-Fotograf braucht andere Fähigkeiten als einer, der in Krisengebieten arbeitet. Ich kann nur aus meiner persönlichen Erfahrung als Fotojournalist sprechen. Natürlich sollte man kreativ sein und braucht einen Sinn für Ästhetik und Komposition – neben technischen Fähigkeiten und dem Wissen, wann und wie man diese einsetzt – das ist Grundvoraussetzung.
Mindestens genau so wichtig ist aber der Umgang mit Menschen. Das klingt klischeehaft, aber meiner Erfahrung nach gibt es viele Situationen, in denen man ohne soziale Kompetenzen wie Humor und Sensibilität gar nicht erst in die Situation kommt, fotografieren zu können. Es braucht zunächst einmal Vertrauen und Sympathie, damit ein Protagonist – insbesondere jemand mit einem eher unkonventionellen Lebensentwurf – sich und seine Welt öffnet und seine Dokumentation zulässt. Das ist die Basis für eine gute Fotostrecke.
Was einen guten Fotografen außerdem noch auszeichnet, ist Biss. Nicht nur bei der Arbeit am Motiv oder wenn man sich mit einer Story auch mal quält, sondern besonders, wenn es um die Akquise geht. Wenn man ein Thema will, muss man dafür kämpfen, die Redaktionen nerven und lernen, sich dabei von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Notfalls muss man ein Projekt vorfinanzieren und darauf vertrauen, dass es so gut wird, dass man es später loswird.
Wie ist es Dir damit als freiberuflicher Fotograf ergangen?
Die ersten drei Jahre waren echt schwer und zäh. Ich kam von der Uni und hatte keinen Plan, wie das ganze Geschäft funktioniert. Akquise – Mappenrunden – Bürokratie. Ich musste erst lernen, hinter meinen Bildern zu stehen, diese selbstbewusst zu präsentieren und zu verteidigen. Gut fotografieren zu können allein reicht nicht, um sich zu etablieren. Man muss sich auch gut verkaufen können und das ist nicht so einfach.
Außerdem ist es schwer, aus dem ganzen Material für eine Story dann eine Auswahl zu treffen und eine finale Strecke zu legen. Das ist aber die halbe Miete! Zu verstehen, welche Bilder in eine Geschichte gehören, welche es braucht, um etwas zu erzählen und manchmal auch tolle Bilder rauszuschmeißen, weil sie die Story nicht weiterbringen, sind einige der wichtigsten Fähigkeiten des Fotojournalisten überhaupt.
Ich kann das bei Kollegen immer gut und schnell – hadere aber oft bei meinen eigenen Strecken, weil ich teilweise mit einem Motiv emotional zu verknüpft bin. Da ist es sehr sinnvoll, sich von Kollegen ein paar Meinungen zu holen. Genauso wichtig und schwer ist es, ein Gespür für relevante Themen zu entwickeln.
Das beginnt mit dem persönlichen Interesse und führt auch zur Frage, für welche Magazine sich ein Thema eignet. Oft wundert man sich dann doch wieder, wie falsch man eine Story eingeschätzt hat oder wie gering das Interesse der Redaktionen ist. Mir hilft es dabei sehr, dass ich den Großteil meiner Themen gemeinsam mit freien Schreibern entwickle.
Wie bist Du überhaupt zur Fotografie gekommen?
Ich bin keiner, der mit fünf Jahren schon die Kamera seines Vaters in die Hand bekommen hat und seither weiß, dass er Fotograf werden will. Das war bei mir ein bisschen pragmatischer. Ich bin nach dem Zivildienst viel durch Asien gereist und habe in der Zeit überlegt, was ich wohl machen könnte. Es sollte vor allem ein Beruf sein, bei dem ich reisen kann.
Ich habe dann gedacht: Reisejournalist fängt schon mal mit „Reise“ an, das kann ja nicht so verkehrt sein. Dann habe ich aber ein Praktikum bei zwei Bielefelder Fotografen – Veit Mette und Martin Brockhoff – gemacht. Meine erste Aufgabe war die Dokumentation einer Nazidemo in Bielefeld mit einer alten Nikon FM2 und einem 50-mm-Objektiv, schwarzweiß. Da habe ich wirklich etwas gespürt und danach wusste ich: Fotograf – das könnte echt was für mich sein.
Und was gefällt Dir daran besonders?
Ehrlich gesagt weiß ich heute erst zu schätzen, wie richtig diese Berufswahl für mich war. Ich kann relativ kreativ sein, ich komme viel herum, ich lerne sehr viele interessante Menschen kennen, bekomme Einblicke in verschiedenste Lebensweisen.
Die Kamera ist dabei manchmal wie ein goldener Schlüssel zum Leben anderer Menschen – für eine kurze Zeit erlaubt man mir einen tiefen Einblick. Außerdem bin ich relativ frei, was meinen Arbeitsalltag angeht und kann davon gut leben. Klingt doch ziemlich gut.
Für Deine Arbeit kommst Du also viel herum. Du beschränkst Dich bei Deiner Themenwahl aber nicht nur aufs Ausland. Erst kürzlich hast Du im Magazin der Süddeutschen Zeitung eine Reportage über die Lebensumstände von Flüchtlingen in Deutschland veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Ich wollte schon lange eine Geschichte in Berlin machen, aber ich glaube, je länger ich an einem Ort lebe, desto abgestumpfter wird der Blick für das Besondere an ihm. Alles wird gewöhnlich, meine Antennen für Geschichten senden nicht mehr.
Irgendwann hat mir Christoph Cadenbach – Redakteur beim SZ-Magazin und ein guter Freund – von der Situation in der von Flüchtlingen bewohnten Berliner Gerhart-Hauptmann-Schule erzählt und mich mit dorthin genommen. Und eigentlich war mir am ersten Tag schon klar, dass diese Schule ein ganz besonderer Ort ist und dass hier sehr vieles, was gerade politisch in der Welt passiert, in einer Berliner Geschichte zusammen kommt. Ein Mikrokosmos der Flüchtlingsbewegung sozusagen.
Ich hatte im Vorfeld immer mal wieder etwas vom Protestcamp am Oranienplatz und den Protestmärschen gehört, mich aber immer nur passiv damit auseinandergesetzt. Hier war das sofort anders, ich war schnell überwältigt von so viel Input auf so vielen Ebenen. Ich wusste aber auch sehr schnell, dass es extrem schwierig würde, dort zu fotografieren.
Während der in dem Artikel beschriebenen Räumung der Schule war Journalisten der Zugang zum Gebäude verboten. Du hast trotzdem fotografiert. Wie war das für Dich?
Am Montag hörte man erste Gerüchte über eine unmittelbar bevorstehende Räumung. Es hieß, der Senat oder der Bezirk sollten am nächsten Morgen um 9 Uhr tagen und darüber entscheiden. Am nächsten Morgen um 9.30 Uhr sind bestimmt 30, 40 Wannen an meinem Fenster in der Hermannstraße vorbeigefahren und da wusste ich, was los war – und dass es verdammt knapp würde jetzt.
Die Entscheidung des Senats muss also schon lange vorher gefallen sein, denn viele der Polizisten waren aus anderen Bundesländern – die bestellt man nicht mal so eben, wenn man nicht weiß, wie das Ergebnis aussieht. Ich hab also meine Kamera geschnappt, zwei Karten und zwei Batterien, habe mich aufs Fahrrad geschwungen und als ich ankam, war alles schon abgesperrt – aber noch ein wenig unorganisiert.
Klar war, die Presse darf noch nicht einmal vor die Schule. Letztendlich hatte ich Glück mit dem Timing. Ich bin im richtigen Moment über einen Hinterhof und dann über eine Mauer direkt auf den Schulhof gelangt. Da herrschte überall Chaos und Verwirrung. Der Bezirkspressesprecher, beschützt von einem Haufen Bodyguards, rannte da durchs Haus und versuchte, Zettel mit den Räumungsbedingungen zu verteilen.
Er sprach immer wieder von „freiwillig“ und „Angebot“, während die erste gepanzerte Hundertschaft sich bereits im Erdgeschoss der Schule aufgestellt hatte. Auch das BKA war da mit mindestens 25 Mann, Knarren und Schlagstöcken. Dann kam Baustadtrat Panhoff mit einer schusssicheren Weste und versuchte, die Bedingungen zu erklären.
Irgendwann schrie alles nur noch durcheinander. Fast eskaliert wäre die Situation, als das BKA dann in die Schule hinein und die Flüchtlinge die Tür verschließen wollten. Ich weiß nicht, ob meine Anwesenheit und die Dokumentation dieser verbalen Scharmützel dazu beigetragen haben, dass nicht härter vorgegangen wurde von Seiten der Polizei.
Gefallen hat es den Verantwortlichen zumindest nicht. Die haben versucht, mich entfernen zu lassen, aber die Flüchtlinge haben sich dazwischen gestellt. Ich habe in dem Moment auch eine starke Verantwortung gefühlt, da zu sein und mögliche unangemessene Gewalt der Behörden zu dokumentieren. Am Nachmittag haben es noch ein paar weitere Presseleute ins Gebäude geschafft, unter anderem Christoph Cadenbach.
Wir beide haben in der großen Aula übernachtet, wo am Tag vorher noch über 70 Flüchtlinge geschlafen haben. Wir haben eigentlich fest damit gerechnet, dass die Polizei stürmt. Das war schon sehr nervenaufreibend, geschlafen habe ich jedenfalls nicht.
Denkst Du, dass Du mit Projekten wie diesem etwas verändern kannst?
Naja, sagen wir: Ich glaube gern daran – auch, wenn ich durch diese Veröffentlichungen wahrscheinlich erst einmal nur auf ein Problem oder eine Situation aufmerksam mache und das vielleicht auch nur bei vergleichsweise wenigen Menschen. Ob so ein Stein je eine richtige Lawine ins Rollen bringt, das weiß ich nie. In Bezug auf die Flüchtlingsgeschichte in Berlin ist es mir wichtig, dass die Leute, die die Geschichte lesen und die Bilder sehen, ihr Herz ein wenig öffnen und etwas mehr Solidarität zeigen.
Die Flüchtlinge sind keine Nummern, die zufällig auf Lampedusa stranden – die wollen nicht nach Europa wegen der Kultur, weil sie mal den Rhein runterschippern oder den Eiffelturm besteigen wollen. Die meisten würden viel lieber in ihrer Heimat bleiben und dort eine Familie gründen. Und – ob es nun Kriege, Diktaturen oder wirtschaftliche Gründe sind, die die Menschen dazu treiben, ihr Leben aufs Spiel zu setzten – unsere westliche Gesellschaft und ihr Konsumhunger sind Ursache und Motor hinter dieser Dynamik.
Was sind denn Deine nächsten fotografischen Ziele?
Das frage ich mich auch manchmal: Was will ich eigentlich genau erreichen? Klar habe ich immer kleinere Ziele, aber die sind nicht gerade karriereorientiert. Es fing meistens an mit dem Wunsch, einmal in der GEO, im SZ-Magazin oder im Stern zu erscheinen. Und als ich das geschafft hatte, war ich natürlich erst einmal sehr stolz. Aber der Moment des Genießens ist schnell vorbei, wenn ich neue Veröffentlichungen in der Hand halte.
Ich glaube, je älter ich werde, desto wichtiger wird die kompromisslose Verwirklichung bestimmter Ziele im Gegensatz zum kurzen Erfolgsmoment. Deshalb nehme ich mir aktuell eher vor, bestimmte Länder zu bereisen, ein bestimmtes Thema umzusetzen oder mal auf einem großen Festival ausgestellt zu werden. Aber im Großen und Ganzen bin ich einfach froh, dass ich das machen darf, was ich mache – denn es macht mir viel Spaß.