Das Paradies am Ende der Welt
Neuseeland! Heureka! Der heilige Gral der Landschaftsfotografie! Das Land, in dem man an der Westküste in Richtung Osten starten kann und durch Berge, Wälder, Felder, Seen, Klippen, vorbei an riesigen Farmen, Hobbit-Höhlen und versteckten Wasserfällen fährt und etwa drei Stunden später an einem verlassenen Strand an der Ostküste Fish & Chips genießt.
Es ist tatsächlich für jeden etwas dabei. Gerade für uns Europäer dürfte die kontrastreiche Landschaft, das Überqueren von Bergpässen und der typisch neuseeländische Urwald ein Wow-Erlebnis sein. Ja, das ist Neuseeland. Ganz Neuseeland? Nein, nicht ganz! Dem aufmerksamen Beobachter wird beim Bereisen dieses Landes nicht entgehen, dass man immer wieder mal auf rar gesäte Ansammlungen von Häusern trifft.
Für uns wohl zu groß, um sie „Dörfer“ zu nennen, aber doch noch irgendwie zu klein, um den Titel „Stadt“ zu verdienen. Und gerade diese Orte haben mich überrascht, weil ich sie so gar nicht auf dem Schirm hatte und sie mich durch den besonderen Charme und das ruhige Gemüt in ihren Bann zogen.
Noch bei den Vorbereitungen hatte ich ganz andere Dinge im Sinn: Ich wollte Natur fotografieren, also musste zu meiner Kamera und den geliebten Festbrennweiten auf jeden Fall auch ein Weitwinkel mit in den Rucksack.
Dass mein Handgepäck sich durch die ganze Technik so anfühlt, als würde ich Ziegelsteine schmuggeln und das komplette Equipment während der Hin- und Rückreise zirka fünf Mal für Sicherheitschecks ausgepackt werden muss, daran hatte ich natürlich vorher nicht gedacht.
Aber irgendwie fehlte mir zu diesem Zeitpunkt noch die Erfahrung der Reisefotografie und ich hatte keine Ahnung, welche Ausrüstung mich in Neuseeland ans Ziel bringen würde.
Eine wichtige Etappe meines Aufenthalts war der Besuch der Südinsel. Dort, so versprach mir meine Freundin, die selbst gebürtige Neuseeländerin ist, werde ich die Kamera angesichts der Landschaft überhaupt nicht mehr aus der Hand legen. Und sie hatte recht!
Das war Mittelerde, wie es mir Peter Jackson immer gezeigt hat, aber uns sollte eine kleine Überraschung erwarten, die das Highlight unserer Reise dargestellt hat. Man muss sich das so vorstellen: Man fährt von Queenstown aus zum nördlichen Ende des Lake Wakatipu.
Laut einschlägigem Reiseführer eine der sehenswertesten Strecken der Welt und tatsächlich muss ich sagen, dass ich in meinem Leben bisher noch keine 50 km zurückgelegt hatte, die schöner waren. Doch am Ende dieser Straße, wo man laut Reiseführer eigentlich umkehren und wieder zurück fahren soll, ist es für mich erst richtig interessant geworden.
Mitten im Nirgendwo taucht plötzlich ein Ortsschild mit der Aufschrift „Glenorchy“ auf und man wundert sich ein bisschen, wo man hier gelandet ist, weil man erst einmal nur ein paar Reiter auf ihrem Pferd überholt und zu seiner rechten zwei, drei riesige Farmen erspähen kann, die direkt am Fuße eines Berges liegen.
Ein paar Meter weiter fängt dann ein kleines Wohngebiet mit einladenden Holzhäusern an. Dunkler Asphalt ohne große Straßenmarkierungen, in jedem Garten ein kleines Boot und alles irgendwie rustikal.
Der Nase nach fährt man an der einzigen Kreuzung nach links und landet auf einem Campingplatz direkt am Lake Wakatipu, der durch einen Holzsteg mit eigenen Straßenlampen begehbar ist. Auch, wenn dort so ein starker Wind ging, dass mich die herumfliegenden Wassertropfen in nur wenigen Sekunden durchnässten, erinnere ich mich vor allem daran, wie ich über den See blickte und das dahinterliegende Bergmassiv bewunderte.
In der Ferne ließen sich kleine Inseln im Nebel erahnen und ich versuchte, meine Kameratasche vor dem tobenden Wasser zu schützen, während ich Objektive tauschte. Der altbekannte Balance-Akt: In der linken Hand ein Objektiv, in der rechten Hand die Kamera. Jetzt ganz vorsichtig aufschrauben und bloß nichts fallen lassen. Beim Wechseln noch darauf achten, dass der Wind kein Wasser in die offene Kamera spritzt – geschafft!
Der Steg schrie förmlich danach, fotografiert zu werden. Es war wie ein roter Teppich, der die Fotografen auf den See führt, ihnen unterwegs ein wunderschönes Bergpanorama bietet und an dessen Ende man sich umdreht und auf die spärlich verstreuten Holzhäuser von Glenorchy blickt, die an einer Straße liegen, die ihrerseits wiederum nahtlos in einem Berg zu enden scheint.
Gleich neben diesem Steg hält Glenorchy eine winzige, hölzerne Halle für die Besucher bereit, in der man Informationen über die Geschichte der Stadt und des Sees erhält und die sich nicht so ganz zwischen „Scheune“ und „Sehenswürdigkeit“ entscheiden kann.
Etwas weiter stadteinwärts gelangt man zum offensichtlich einzige Café der Stadt, in dem man sich aufwärmen und trocknen kann. Wobei das „The trading post“ irgendwie mehr als nur ein Café ist. Eine nette alte Dame verkauft hier neben Getränken in Blümchen-Kannen auch Bildbände und Romane aus Neuseeland, die sich wild in teils improvisierten Bücherregalen stapeln.
Wieder draußen auf den übersichtlichen Straßen verfluchte ich wie schon so oft zuvor mein Equipment. Ich schleppte gefühlte 20 kg auf meinem Rücken mit, wollte damit die Stadt erkunden und eigentlich gemütlich durch die Gassen streifen. Stattdessen fühlte ich mich wie ein Packesel und die meisten Objektive blieben sowieso im Rucksack.
Ich versuchte es kurz mit 50 mm, aber es war wie befürchtet irgendwie zu nah dran für diesen Zweck und meinen Bildern fehlten immer wichtige Elemente, die ich zeigen wollte. Jetzt hätte ich natürlich mein 17 – 40 mm aufschrauben können, aber wenn ich die Wahl zwischen Festbrennweite und Zoomobjektiv habe, dann entscheide ich mich ausnahmslos für Festbrennweiten.
Bleibt also ein weiteres Mal das 35 mm übrig und es stellte sich als das perfektes Werkzeug heraus, um Glenorchy so zu portraitieren, wie ich es wollte. Man sagt ja immer, bevor man fotografiert, sollte man die Kamera weglegen, seine Umgebung beobachten und unvoreingenommen sein Motiv finden (mit den Augen fotografieren).
Erst dann hält man sich die Kamera vor’s Gesicht und macht ein Bild. Und irgendwie scheinen 35 mm für mich die perfekte Brennweite zu sein, um das, was ich sehe, optimal auf ein Foto zu übertragen. Zudem hatte ich Glück, dass es ein bewölkter Tag mit vereinzelt durchdringenden Sonnenstrahlen war, der mir Glenorchy in einem wundervoll weichen Licht präsentierte. Ich hätte es mir nicht besser wünschen können.
So wanderte ich also durch die Straßen, fühlte mich irgendwie geborgen und weit weg von jedem Stress. Das Leben hier erscheint lebenswert, einfach und ein Stück weit unberührt von allem Negativen. Ich könnte schwören, die meisten Einwohner von Glenorchy verbringen ihre Tage damit, in Karo-Hemden Brennholz zu hacken und abends mit ihrem Boot auf den See zu fahren, Gemüse aus ihrem Gärten zu kochen oder eine Grillfeier auf den Straßen abzuhalten, auf denen sowieso praktisch keine Autos fahren.
Es ist eine kleine Zivilisation direkt an einem Bergsee in Neuseeland, die sich so gar nicht für die Probleme der Welt interessiert. Das Fotografieren in Deutschland bescherte mir im Laufe der Zeit die ständige Paranoia, dass ich jederzeit darauf gefasst sein muss, den Satz „Hallo?? Was fotografieren Sie da? Dürfen Sie das?“ zu hören.
Aber in Glenorchy sowie eigentlich in ganz Neuseeland blieben solche Dinge unausgesprochen. Im Gegenteil: Selbst, als ich meine Kamera in die Gärten oder auf die Häuser der Anwohner richtete, schenkte mir jeder, der mich bemerkte, ein warmes Lächeln. Man war wohl irgendwie stolz darauf, dass sich doch mal ein Tourist hierher verirrt und es ihm dann so gut gefällt, dass er die Straßen sogar auf Bildern festhält.
Auch die überdimensionierte Tankstelle mit Truck-Stop war stolz und präsentierte mir ihr filmreifes, quietschendes „Open“-Schild. Eine alte Katze überquerte schwerfällig die Straße, ohne überhaupt einen Gedanken daran zu verlieren, dass sie überfahren werden könnte und lenkt meinen Blick auf eine Touristeninformation, die wie ein Lucky-Luke-Set aussieht.
Gefühlt bin ich hier am Ende der Welt angekommen und es ist wider Erwarten wunderschön und friedlich. Es wirkt wie ein kleines Paradies, das sich die Dorfbewohner hier geschaffen haben. Was lustig ist, denn einige Kilometer die Straße runter kommt man tatsächlich an einen Ort namens „Paradise“ (kein Witz!).
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der typische Glenorchy-ianer hier sein Sonntags-Picknick abhält, im Diamond Lake schwimmen geht oder im Wald von Mittelerde (auch kein Witz!) seinen Hund frei laufen lässt.
Das war’s aber dann wirklich. Mehr ist in Paradise nicht geboten. Die zwei Häuser, aus dem das Dorf besteht, übersieht man fast, während man sich auf die Schotter-Straße konzentriert und die Pferde beobachtet, die am Fuße der Berge ihren Auslauf genießen. Ein paar Meter weiter ist dann wirklich Schluss. Ende.
Maschendrahtzaun, der über einen Bach verläuft. Dahinter noch ein paar Hügel mit grasenden Schafen, die überhaupt noch nie irgendwas von einer Stadt oder Industrienationen gehört haben. Ein Bild, das man auf sich wirken lassen sollte, bevor man umdreht und sich wieder dem hektischen Leben widmet.
Die Welt hat ihr Bestes gegeben und ich habe tosend applaudiert. Ein besonderes Dankeschön an die Natur, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre.
Diese Reise hat mir eine wichtige Lektion über das Fotografieren beigebracht: Es ist schon wirklich cool, wenn man viel Equipment und gute Objektive hat, damit kann man super Jobs durchziehen und ist schön flexibel bei allem, was man so fotografisch ausprobieren möchte.
Aber geht man auf Reisen und möchte eigentlich eher dokumentarisch festhalten, was da so passiert, dann sollte man das Zeug lieber Zuhause lassen. Zurück in Deutschland habe ich mir nach einiger Recherche die Fujifilm X100s* gekauft. Eine spiegellose Kamera, deren festes Objektiv etwa meiner 35-mm-Festbrennweite entspricht.
Die Kamera ist klein und bietet eine absolut nicht zu erwartende, überragende Bildqualität. Auf meiner nächsten größeren Reise wird sie mir erlauben, mein Gepäck viel leichter zu halten. Zudem ist sie so unauffällig, dass man damit auch mal an Orten fotografieren kann, an denen man mit Spiegelreflexkameras grundsätzlich gar nicht reinkommt.
Ob mir aufgrund der nicht vorhanden Möglichkeit, Objektive zu wechseln etwas fehlen wird, weiß ich jetzt noch nicht. Aber man hätte mir in Neuseeland theoretisch auch einfach das 35-mm-Objektiv auf meine Kamera festschweißen können und es hätte mich wenig gestört, deshalb bin ich zuversichtlich, dass sich meine kleine Fujifilm als perfekter Reisebegleiter herausstellen wird.
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