Zwei Eisbären sitzen auf einem Felsen
02. August 2014 Lesezeit: ~4 Minuten

Lebenslänglich

Lebenslänglich hinter Gittern. Was für Menschen in Deutschland die Höchstrafe für ein Verbrechen bedeutet, ist für Tausende Zootiere von Geburt an unausweichliche Realität. Trotzdem wird diesem Aspekt der Tierhaltung wenig Aufmerksamkeit und noch weniger Kritik zuteil, wenn nicht gerade, wie kürzlich in Kopenhagen, eine Giraffe öffentlich geschlachtet wird.

Und auch dann wird nur an den Symptomen herumgemäkelt, das Konzept Zoo bleibt unangetastet. Schließlich ist’s gute Unterhaltung. Ein paar Gedanken über Haltung von Tieren und Haltung im Fotojournalismus.

Ein Pinguin wird mit Wasser bespritzt

Zwei Eisbären auf wenigen hundert Quadratmetern, hinter Glaswänden in einer Welt aus Beton und Wasser gefangen. In der freien Wildbahn sind sie Einzelgänger und die Tiere, die das größte Territorium unter allen Landlebewesen für sich beanspruchen. Artgerecht sieht anders aus. Trotzdem sehen die meisten Menschen, die einen Zoo besuchen, kaum ein Problem in der menschengemachten Situation der beiden Bären.

Es dient der Aufklärung, dem Artenschutz, so heißt es. Und putzig sind die weißen Riesen allemal, wie sie so auf ihrer Pseudo-Eisscholle hin und herlaufen und mit dem Kopf nicken. Stereotypie heißt das in der Verhaltensforschung: Immer wiederkehrende Bewegungsabläufe als Auswirkung von Langeweile und eingeschränkter Bewegungsfreiheit.

Mit meinem Fotoessay „Lebenslänglich“ wollte ich dem allgemeinen, positiven Bild von Zoos ein anderes gegenüberstellen: Die seelische Härte eines Lebens hinter Glaswänden. Die Erniedrigung, als Zwangs-Modell im Schaukasten herhalten zu müssen.

Der Rüssel eines Elefanten hängt über eine Mauer

Es gibt kaum eine Tierart, deren Bedürfnissen in einer menschengemachten, eng begrenzten Scheinwelt wirklich genüge getan werden könnte. Das Bild, das wir in Zoos von der Tierwelt erhalten können, ist verzerrt: Natürliches Verhalten von Tieren kann man nicht in einer unnatürlichen Umgebung beobachten. Es ist das Bild von der gezähmten – besser: gebrochenen – Natur.

Respekt vor dem nichtmenschlichen Gegenüber? Fehlanzeige. Und auch der Beitrag zum Artenschutz, den die Zoobetreiber so gern vor sich hertragen, ist mehr als umstritten. Gerade Fälle wie der der Kopenhagener Giraffe Marius zeigen: Eher wird im Zoo geschlachtet als ausgewildert. Der Hauptzweck eines Zoos ist und bleibt die Belustigung der Besucher.

Zwei Papageien sitzen in einem Käfig

Über mehrere Wochen habe ich 2011 für die Kontext:Wochenzeitung in der Stuttgarter Wilhelma versucht, das zu dokumentieren, was das Leben der Zoo-Insassen wirklich ausmacht. Grautönige Tristesse und Langeweile statt buntem Kitsch. Stahl, Glas und Beton statt purzelbaumschlagenden Tierbabys. Es war nicht allzu schwer. Sobald man seinen Blick für diese Aspekte öffnet, springen sie einem in jedem Gehege ins Auge. Und loswerden wird man diese Perspektive danach nicht mehr.

Manche mögen mir vorwerfen, „Lebenslänglich“ sei eine sehr subjektive Betrachtung des Themas. Ich werde nicht widersprechen. Jedes Foto ist subjektiv, jeder Fotograf beeinflusst das, was auf seinen Bildern zu sehen ist, wählt eine bestimmte Perspektive, einen Ausschnitt der Wirklichkeit und lässt diesen so erscheinen, wie er ihn wahrgenommen hat oder wahrgenommen sehen will.

Trotzdem wird einem – fast ausschießlich Leuten, denen nicht gefällt, was man erzählt – immer wieder ein Objektivitäts-Dogma, das aus oben genannten Gründen kaum noch ein (Foto-)Journalist für sich beansprucht, unter die Nase gerieben.

Zwei Papageien sitzen in einem Käfig

Ich habe nicht versucht, objektiv zu sein. Im Gegenteil: Ich habe bewusst versucht, den Ausschnitt zu finden, der das subjektive Erleben der Tiere widerspiegelt – ohne die Vermessenheit, zu glauben, dass ich mich wirklich in sie hineinversetzen könnte. Nichts anderes als das, was jeder Kriegsfotograf versucht, bei dem der Anspruch, das Leiden der Zivilbevölkerung im Krieg zu verbildlichen, mehr als schöne Fassade ist: Der Versuch, die Situation des Gegenübers zu verstehen.

Ein Orang-Utan sitzt alleine hinter einer Scheibe

Die Tiere dieser Erde existieren aus ihren eigenen Gründen. Sie wurden nicht für den Menschen gemacht, genauso wenig wie Schwarze für die Weißen gemacht wurden oder Frauen für Männer.

– Alice Walker

Auch die Betrachtung der Zoobesucher, die mit einer Ladung „süßer“, bunter Tierbilder nach Hause gehen, zeigt nur einen kleinen Ausschnitt der Situation. Die Zoobesucher sitzen der Illusion auf, die die Zoo-Industrie ihnen vorsetzt – die Realität und das Erleben des nichtmenschlichen Gegenüber bleibt dabei völlig außen vor. Ich glaube, das politischer Fotojournalismus die Aufgabe hat, solche oberflächlichen Betrachtungen zu hinterfragen und wenn nötig, aufzubrechen.

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