Donbass
Die meisten Bewohner von Donbass sind sich sicher, dass die Fremden, die sie fotografieren, höchstwahrscheinlich vom KGB sind. Dieser Stereotyp entstand dank des sowjetischen Kinos. Deswegen werden die Journalisten immer mit großem Misstrauen oder Angst betrachtet.
Viele Menschen, die ihre Erlaubnis für Fotos gegeben haben, seufzen bitterlich: „Und jetzt? Werde ich morgen abgeholt?“
Ich fing während der Schulzeit schon an zu fotografieren, lange bevor Donbass in allen Nachrichten erschien. Noch heute sind Fotografen hier keine alltägliche Erscheinung und damals waren sie eine große Seltenheit.
In Donbass in der Ukraine – es ist sozuagen ein „Staat im Staat“ – sind die Menschen sehr verschlossen. Es ist eben nicht Südostasien, wo die Hälfte der Bevölkerung Kameras besitzt und die andere Hälfte gern vor diesen posiert.
In den 20 Jahren der Unabhängikeit der Ukraine hat sich in Donbass nichts verändert, hier sieht man noch die Kehrseite der UdSSR. Es ist so, als ob Donbass zementierte sowjetische Realität ist – nicht nur auf den Straßen, in den Wohnungen, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Es kam mir so vor, als erwischte ich diese Realität durch Zufall noch ein bisschen, bevor sie für immer verschwindet.
Es ist sehr wichtig, dass die Leute verstehen, wer Du bist und warum Du sie fotografierst – sie würden nie jemandem vertrauen, der hundert Meilen entfernt lebt. Es war für mich immer leichter, wenn ich Bilder von den Mädchen in Uniformen in der Parade am 9. Mai machte. Ich war eine von denen, die eine Oma mit Akkordeon fotografierte, sie kannte mich und ich begrüßte sie jeden Tag auf dem Weg zur Schule.
Aber manchmal war es auch für mich fast unmöglich, die Wand des Misstrauens zu durchbrechen, jedes Mal musste ich einen neuen, speziellen Weg finden. Es gibt eine riesige Lücke zwischen der alten und der neuen Generation in Donbass, als wären wir in verschiedenen Ländern geboren, mit verschiedenen Ideologien.
Donbass ist ein Industriegebiet in der Steppe, mit den gefährlichsten Arbeitsbedingungen der Welt. Eintritt zu lokalen Fabriken und Bergwerken ist für Unbefugte streng verboten. Eine Bekannte von mir, deren Ehemann sein ganzes Leben in der Fabrik gearbeitet hat, sah meine Fotos und staunte:
Oh mein Gott, ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass das so ist!
Die Fabrikarbeiter sind stolz auf ihre Arbeit und alle mit der Arbeit verbundenen Verletzungen nehmen sie mit Humor – scherzend erzählen sie, wer wo seinen Finger verlor. Viele Generationen arbeiten hier – die Fabrik existiert seit mehr als 112 Jahren.
Kopankas – das sind illegale Bergwerke. Sie sind zwar vom Staat nicht legitimiert, wegen der allgegenwärtigen Korruption in der Ukraine, sie sind aber als geheime Orte geschützt. Sie befinden sich in der Steppe, zwischen kleinen Dörfern, wo neben der Bedarfswirtschaft der Kohlewerkbau die einzige verbleibende Möglichkeit ist, Geld zu verdienen.
Auf dem Weg dorthin, nachdem wir vom asphaltierten Weg abbogen, fuhren wir noch 40 Minuten in die Steppe. Ein paar Meilen vor der Kopanka musste mein Führer einen Anruf tätigen und Bescheid geben, dass der sich nähernde Jeep einer von „ihnen“ ist und es keine Notwendigkeit gibt, wegzulaufen oder sich zu verstecken.
Die einzige Ausrüstung sind Seilwinden von alten sowjetischen Motorrädern oder Autos. Statt „Hunten“ werden gusseiserne Badewannen als Förderwagen benutzt.
Viele Arbeiter legen eine Badewanne in die andere, so wie es auf den Fotos zu sehen ist, weil der Boden durchgerieben ist. Die Arbeiter kommunizieren mit den Bergleuten mittels einer Angelschnur: Zwei Bögen – die Badewanne ist voll – es ist Zeit für eine Raucherpause.
Selbst für mich, die in Donbass aufwuchs, war es sehr schwer, mir vorzustellen, dass die Leute immer noch so wie im vorvorigen Jahrhundert arbeiten. Allerdings erklärten mir die Arbeiter, dass die Arbeit in so einer illegalen Kopanka viel besser ist, als in einem legalen Bergwerk.
Sie sind viel näher an der Oberfläche, das Gehalt wird jeden Tag bezahlt und man muss niemanden bestechen, um einen Arbeitsplatz zu finden. Jedoch wird in den Nachrichten immer wieder berichtet, dass da und dort in einer Kopanka Bergarbeiter verschwinden – sie sind dort verschüttet und niemand holt sie raus, um die Tatsache des illegalen Bergbaus zu verstecken.
Im letzten Sommer hatte ich die Möglichkeit, nach unten, in eines der Bergwerke in der Nähe der Stadt, hinunterzusteigen. Die Kamera durfte ich aber aus Sicherheitsgründen nicht mitnehmen – die Wahrscheinlichkeit einer Methanexplosion ist hoch, sie kommen sehr oft in den Bergwerken vor. Und schließlich war es auch unmöglich, dort zu fotografieren – der einzige Lichtstrahl ist der auf dem Kopfhelm des Bergarbeiters.
Zusammen mit den Bergleuten bin ich über fünf Kilomenter weit durch die dunklen, nassen Tunnel gegangen, um endlich den Ort zu erreichen, an dem sie nach Kohle graben und hoffnungsvoll veraltete Ausrüstung reparieren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es möglich ist, dort jeden Tag zu sein. Bergleute glauben, dass so eine Arbeit besser ist als gar keine: „Wir alle haben Kinder, wir müssen sie ernähren“, erzählen sie mir.
Viele Leute in Donbass leben an der Existenzgrenze. Viele opfern die Gesundheit, arbeiten unter gefährlichen Bedingungen, um wenigstens ein bisschen Stabiltät in der Zukunft zu haben. Zum Beispiel die Arbeiter in der Chemiefabrik: Sie setzen sich der Strahlung aus und atmen Phenoldämpfe ein, in der Hoffnung, eine größere Rente zu bekommen, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass sie so lange überhaupt nicht leben.
Alle Bergleute haben Lungenkrankheiten durch den Kohlestaub. Die Lebensdauer der Arbeiter liegt unter 60 Jahren. Doch nach der Revolution in der Ukraine haben sie Angst, dass das, wofür sie hart gearbeitet haben, verschwindet. Die Menschen haben Angst, dass ihre priviligierte Rente und ihre Sozialleistungen annuliert werden, wenn sie der EU beitreten. In der Region herrschen Widersprüche und die Menschen haben Angst.
Heute, nach der Krim-Annexion, wurde Donbass das nächste Ziel von Putin. Die Mehrheit in Donbass spricht Russisch und schaut das russische Fernsehen. Alle Nachrichtensender in Russland sind zynisch und verdrehen die Fakten, womit sie einen Bürgerkrieg in der Ukraine begünstigen.
Familien und Freunde streiten miteinander, weil sie verschiedene Meinungen dazu haben. Ich bin in einem demokratischen Land aufgewachsen und es ist schwierig und gefährlich für mich, selbst im Bekanntenkreis, meine eigene Meinung zu äußern – man kann Freunde verlieren.
Alles andere ist in den Schlagzeilen der Reportagen aus Slowjanks, Lugansk und Odessa zu sehen.
Dieser Artikel wurde von Agafia Polynchuk für Euch aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt. Danke!