Sanft, zart und mit viel Gefühl
Ich glaube, alles fing damals mit dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ an. Ich war so unglaublich beeindruckt von den Bildern und so verliebt in die Geschichte des Films (und natürlich auch ein kleines bisschen in den Hauptdarsteller).
Die vielen liebevoll zusammengewürfelten Detailaufnahmen hatten es mir damals besonders angetan. Also kaufte ich mir eine billige Digicam und fing an, Selbstportraits zu machen. Andere zu fragen, ob sie nicht Modell vor meiner klapprigen Kamera stehen wollten, kam zunächst nicht in Frage. Zu groß war die eigene Unsicherheit.
Über die Selbstportraits schmiss ich voller Begeisterung gelb-grüne Filter aus kostenlosen und simplen Programmen, um mir meine eigene „fabelhafte Welt“ zu zaubern – mit dem Ergebnis, dass ich heute beim Anschauen der damals entstandenen „Werke“ einen hysterischen Lachanfall bekomme.
Dann lernte ich 2009 Andrea Hübner kennen und durfte als Modell vor ihrer Kamera stehen. Ich war total fasziniert von den damals entstandenen Bildern und dem gesamten Prozess. Außerdem habe ich mir zum ersten Mal selbst auf Bildern gefallen.
„Wow“, dachte ich, „der Wahnsinn. So etwas will ich auch können.“ Also habe ich angefangen, mehr zu fotografieren, Tonnen an Tutorials bei Youtube anzuschauen, bin manchmal nächtelang in Fotocommunitys hängen geblieben und habe vor Frust packungsweise Raffaello gegessen, weil meine Fotos nicht so wurden, wie ich sie im Kopf hatte.
Irgendwann kam der Punkt, an dem ich merkte, dass eine einfache Kamera nicht mehr ausreicht und dass es viel spannender ist, andere Menschen zu fotografieren. Bis ich allerdings endlich das Geld für das nötigste Equipment und den Mut, andere anzusprechen, zusammengespart hatte, sind knapp zwei Jahre vergangen. Aber heute liebe ich es, andere Menschen zu fotografieren.
Ich mag es besonders, den Menschen in seiner Fragilität und seiner Besonderheit zu zeigen. Sanft, zart und mit viel Gefühl. Dabei spielt für mich immer der Blick der Person eine große Rolle. Ich glaube, mir geht es auch oft darum, die abgebildete Person so zu zeigen, wie ich sie sehe – nicht, wie sie sich selbst gern sieht. Ich liebe Detailaufnahmen, die Reduktion auf besondere Handhaltungen, auf die Füße, auf Schmuckstücke, auf Augen oder nur Lippen.
Am liebsten fotografiere ich draußen in der Natur. Ja, gern auch bei Wind, Regen, Schnee und glühender Sommerhitze. Meine Vorgehensweise ist dabei unterschiedlich. Manchmal finde ich es spannend, nach besonderen Orten für Shootings zu suchen.
Manchmal sehe ich ein Kleid, ein Bild im Internet, einen Film oder höre ein bestimmtes Lied, schaue bei einer Zugfahrt aus dem Fenster und entdecke dabei eine tolle Landschaft, lese einen wundervollen Satz auf Twitter und schon habe ich dazu Bilder im Kopf. Inspiration gibt es heutzutage ja genug. Man muss nur mit offenen Augen und Ohren durch den Tag laufen.
Gibt es dann eine konkrete Idee, suche ich mir für meine freien Arbeiten ein passendes Modell. Nicht selten läuft es auch anders herum: Ich sehe ein atemberaubendes Gesicht, das mich absolut umhaut und lasse mir dazu Ideen einfallen. Ab und an fotografiere ich auch im größeren Team, mit zwei Modellen und Visagisten und tausche mich gern mit anderen Fotografen aus.
Manchmal liebe ich es auch, ganz allein mit dem Modell loszuziehen. Häufig fällt es den Menschen dann leichter, sich fallen zu lassen, Sachen auszuprobieren, ohne dass man Angst hat, jemand würde einen auslachen. Für mich ist es auch besonders wichtig, dass sich die fotografierte Person wohlfühlt und dass zwischen mir und dem Modell eine Verbindung entsteht. Nur dann können auch tolle Bilder geschaffen werden.
Nach dem Shooting bearbeite ich die ausgewählten Fotos. Am meisten drehe ich dabei an den Farben, um die gewünschte Stimmung zu erreichen. Dabei nutze ich hauptsächlich Lightroom. Meiner Meinung nach ändere ich recht wenig an meinen Fotos. Bislang faszinierte mich sehr die Natürlichkeit und Einfachheit von Bildern ohne großen Schnickschnack. Vielleicht sieht das in einem Jahr ganz anders aus.
Generell zaubere ich Pickelchen, Äderchen und große Augenringe weg, da diese ja nicht permanent zum Menschen gehören. Muttermale lasse ich da, wo sie sind. Diese kleinen Pünktchen am Körper, die individuellen Landkarten jedes Menschen, sollen meiner Meinung nach nicht retuschiert werden. Gleiches gilt bei Sommersprossen.
Ich glaube, irgendwann fängt jeder, der fotografiert an, alltägliche Dinge ganz anders wahrzunehmen. Man entwickelt mit der Zeit eine Art detaillierten Blick für seine Umwelt, erfreut sich sprichwörtlich an kleinen Dingen und versucht dann, diese festzuhalten.
Ich habe gelernt, viel mehr zu beobachten, mehr auf Körperhaltung und die Mimik zu achten. Ehrlich gesagt habe ich lange Zeit nach etwas gesucht, das mich so sehr interessiert, erfüllt und meine Zeit bis tief in den frühen Morgen raubt. Die Fotografie hat sich genau zu solch einer Leidenschaft entwickelt.
Durch die Fotografie und den Kontakt zu unterschiedlichen, mir zunächst fremden Menschen bin ich mittlerweile ziemlich offen und kontaktfreudig geworden. Heute fällt es mir nicht schwer, auf Menschen zuzugehen und auch mit vollkommen fremden Menschen in der Bahn Gespräche anzufangen.
Es klingt vielleicht unglaublich kitschig, aber durch die Fotografie bin ich erwachsen geworden. Ich habe mir selbst bewiesen, dass man durchaus etwas erreichen kann, solange man es auch wirklich will. Es ist unwichtig, wie viel Zeit, Wutanfälle und Tränen man für manche Dinge braucht. Das Wichtigste ist nur, dass man nicht aufgibt.