Gedanken zu kombinierten Bildern
Manchmal werde ich von großen Ideen erdrückt. Im Kopf gibt es einen Gedankenstrang, der raus will, raus muss, ein Knäuel aus Ideen, das ausgedrückt werden möchte, aber immer wieder habe ich das Gefühl, je komplexer mein Gedankengang ist, desto unmöglicher ist es, den einzelnen roten Faden in einem einzigen Foto auszudrücken. Dann kombiniere ich Bilder.
Nachdem ich mich intensiv mit der Wirkung von Fotografie und Schrift auseinandergesetzt habe, denke ich nun seit längerer Zeit darüber nach, wie Fotos denn eigentlich untereinander wirken. Beeinflussen sie sich gegenseiteig, wenn sie nebeneinander gestellt sind? Gibt es diesen roten Faden, der sich durch beide Bilder windet und vom Betrachter zusammengeknotet werden muss?
a) Peggy Lo: Baby (inhaltlicher Zusammenhang)
Erst einmal ist auffällig, dass sich durch Diptycha meine Aussagkraft verdichtet, denn „aus den zusammengefügten Bildteilen ergibt sich oft irgendein schwer enträtselbarer Sinn, der trotzdem aufrührerisch wirken kann“.1
Frei nach dem Motto „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ ergeben sich durch das Zusammenfügen verschiedener Bildelemente neue Sinnzusammenhänge.
Durch die bewusste oder zufällige Kombination von Fotos können Geschichten in zwei Kapiteln erzählt werden, Abfolgen dargestellt sein, es kann auf Gegensätzlichkeiten oder Gemeinsamkeiten hingewiesen werden.
b) Faber Franco: Kranz (inhaltlicher Zusammenhang)
Formal ist alles denkbar: Hoch-, Quer-, Mittelformat, gedrehte oder richtig ausgerichtete Bilder, unterschiedliche Schärfen, gleiche oder verschiedene Größenverhältnisse. Es müssen nicht einmal zwei Fotos sein, manchmal funktioniert es auch, wenn man Fotos mit Zeichnungen oder Texten kombiniert.
In jedem Fall begründet sich „die Wirkung der Fotoplastik – wie die ersten Montagen und Collagen von den Dadaisten genannt wurden – auf die Durchdringung und Verschmelzung der im Leben nicht immer sichtbaren Zusammenhänge, auf eine bildhafte Erfassung von Simultanität der Ereignisse“.2
c) Herr Benini: Jesus (inhaltlicher Zusammenhang)
Es ist demnach nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, wohin der Fotograf in seinen Fotos möchte, und manchmal auch nicht auf den zweiten. Ab und an habe ich das Gefühl, auch beim zehnten Betrachten des Bildes nicht dahinter zu kommen und dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass eine Erklärung darin versteckt liegt.
Die Kunstwissenschaftler Ganz und Thürlemann schreiben dazu:
Das Zusammensehen von Bildern fordert vom Rezipienten zusätzlich eine Abstraktionsleistung, ein auf Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Bildern hin ausgerichtetes vergleichendes Sehen.3
Es ist also nicht nur Arbeit, Diptycha zu erstellen; sie zu betrachten und zu verstehen, ist auch eine Herausforderung.
d) Snjezana Josipovic: Baumstruktur (formale Gemeinsamkeiten)
Ich beschäftige mich sehr gern theoretisch mit bildnerischen Phänomenen, für mich ist die Kunstwissenschaft eine wichtge Grundlage zum Verständnis meiner Seh- und Denkprozesse und auch für meine eigene künstlerische Arbeit unerlässlich.
Da ich eigentlich Bildhauerei studiere und die Fotografie nur aus Leidenschaft daneben betreibe, gehe ich vielleicht auch einfach strategischer und durch mein langes Studium geprägt wissenschaftlich an Kunst heran.
d) Snjezana Josipovic: Horizont (formale Gemeinsamkeiten)
Da ich mich hier mit diesem Themenkomplex aber nicht nur historisch-theoretisch befassen möchte, versuche ich, Euch drei unterschiedliche Möglichkeiten für Diptycha vorzustellen.
Dafür zeige ich beispielhaft nur ein Bild aus meinen eigenen Händen, aber einige großartige Beispiele von anderen Fotografen und Fotografinnen, die ich für sehr gelungen halte, die mich bei ihrer Entdeckung in Foren und Communities berührt haben und mich intensiver über die Thematik nachdenken ließen.
f) zweifellos mondbetont: Graskamera (formale Gemeinsamkeiten)
Das für mich naheliegendste Diptychon ist eines, das sich durch innere Zusammenhänge erschließt. Es gilt also, inhaltliche Gemeinsamkeiten zu finden und diese narrativ zu verarbeiten. Die kombinierten Bilder sollen eine einheitliche, aber neue Geschichte erzählen, die durch ein einzelnes Foto so nicht darstellbar wäre.
Es geht also um gedankliche Zusammenhänge. Ob dadurch Gleichheit oder Andersartigkeit, Gegenüberstellungen, zeitliche Abfolgen oder Widersprüche gezeigt werden, ist natürlich offen und dem Fotografen oder der Fotografin und seiner oder ihrer Botschaft selbst überlassen. Auch, ob diese Botschaft leicht zu entschlüsseln ist oder wie ein Rästel, das es zu lösen gilt, irgendwo im Kopf versteckt, ist bei jedem Diptychon anders.
a) Peggy Lo – Baby
b) Faber Franco – Kranz
c) Herr Benini – Jesus
Eine weitere Möglichkeit ist das Zusammenfügen aufgrund formaler Gemeinsamkeiten. Bei solchen Diptycha „enstehen aus der Zusammenfügung der fotografischen Elemente mit Linien und anderen Ergänzungen unerwartete Spannungen, die über die Bedeutung der einzelnen Teile weit hinausgehen“.4
g) profan u. morphium: Band (formale Gemeinsamkeiten)
Es werden also bildnerische Elemente in einem Bild gefunden und im nächsten fortgesetzt. Daraus können sich natürlich auch inhaltliche Ideen entwickeln. Die Grenzen zu den Diptycha mit innerem Zusammenhang sind also fließend, doch die Wahl der Fotos erfolgt hier in erster Linie aufgrund formaler Kriterien.
Ob das eine fortgeführte Struktur oder Linie, ein Horizont, Körperteile oder Farben sind, die dadurch im Diptychon zu einer neuen Einheit verschmelzen, hängt natürlich von den jeweiligen Fotos ab.
d) Snjezana Josipovic – Baumstruktur
e) Snjezana Josipovic – Horizont
f) zweifellos mondbetont – Graskamera
g) profan u. morphium – Band
h) Julia Kratz: Gestrüpp (Überlappung)
Eine dritte Möglichkeit, die ich vor allem für meine eigene Arbeit als die spannendste empfinde, sind zufällige Diptycha. Hiermit meine ich, dass bei der analogen Fotografie durch fehlerhaften Filmtransport zwei Negative auf dem Filmstreifen zu einem neuen Bild verschmelzen.
Durch Überlappung verwachsen sie zu einer Einheit. Zosia Krasnowolska5 hat diese in einem früheren Interview als „natürliche Diptycha“ bezeichnet und ich fand diesen Begriff sehr schön und passend, sodass ich ihn hier weiterverwende.
i) Julia Kratz: Weg (Überlappung)
Ob beim Fotografieren geplant oder nicht, gerade die „einfachen bis komplizierten Überlagerung formen sich zu einer merkwürdigen Einheit“6, die manchmal ganz erstaunliche Teil-Doppelbelichtungen ergeben. Die doppeltbelichteten Bereiche sind dabei besonders experimentell und ergeben die merkwürdigsten Mischformen.
Der Zufall als wegweisende Komponente ist hierbei besonders wichtig, was ich wunderbar finde, denn manchmal enstehen so spannende Kombinationen, die man bewusst sicher nie so geplant hätte.
j) Anne Henning: Giacometti (Überlappung)
Diese natürlichen Diptycha erzählen ganz eigene Geschichten, sie verbinden zwei Fotos miteinander, die manchmal nicht mehr gemein haben als ihrr zeitliches Hintereinander auf einem Film und doch entfalten sich dadurch ganz eigene Sinnpotenziale.
h) Julia Kratz – Gestrüpp
i) Julia Kratz – Weg
j) Anne Henning – Giacometti
k) Markus Stöber – Bäume
k) Markus Stöber: Bäume (Überlappung)
Ich hoffe, durch meinen Artikel ein paar Denkanstöße zum Thema geliefert und durch einige inspirierende Beispiele vielleicht Lust auf eigenes Kombinieren geschaffen zu haben. Und ob einfach oder hochkomplex, ob verstrickt oder zugänglich, ob zufällig oder bewusst kombiniert: Diptycha sind eine wunderbare Methode, um Geschichten zu erzählen. Kleine Geschichten in zwei Fotos. Oder wie Snjezana Josipovic in einem Interview sagte:
Oh yes, and about my diptychs, I never really feel constrained with single frame images. At the point when I was making more diptychs it just seemed as if those photos made much more sense together, like putting totally different segments into one story finished them.7
Quellen und Literatur
1 Andreas Haus: Moholy-Nagy, Fotos und Fotogramme; Schirmer/Mosel-Verlag München, 1978, S. 77
2 Andreas Haus: Moholy-Nagy, Fotos und Fotogramme; Schirmer/Mosel-Verlag München, 1978, S. 77
3 David Ganz / Felix Thürlemann: Das Bild im Plural, aus der Einführung, Dietrich Reimer Verlag GmbH Berlin, 2010, S.18
4 Andreas Haus: Moholy-Nagy, Fotos und Fotogramme; Schirmer/Mosel-Verlag München, 1978, S. 77
5 Interview: Als die Kunst nach Abertillery kam
6 Andreas Haus: Moholy-Nagy, Fotos und Fotogramme; Schirmer/Mosel-Verlag München, 1978, S. 77
7 Interview mit Snjezana Josipovic