03. September 2013 Lesezeit: ~10 Minuten

Als die Kunst nach Abertillery kam

Dies ist die Geschichte von Dafydd und Zosia, die sich trauten, einer Idee Raum zu geben und einem kleinen und verschlafenen Ort in Wales etwas Kostbares schenkten.

Im August hatte ich das erste Mal Kontakt mit Dafydd und Zosia. Sie fragten mich, ob ich Lust hätte, vier Bilder meiner Serie „Metamorphose“ in einer kleinen Galerie in Wales zu zeigen.

Nach und nach erfuhr ich immer mehr über die Hintergründe dieser Anfrage und fand allein die Idee und die Energie, die beide in ihr Projekt steckten so wärmend, das ich sie um ein Interview bat, um sie Euch heute hier vorstellen zu können.

aussicht © Kickplate Projekt
eine Stadt mit guter Aussicht

Wer oder was ist das Kickplate-Projekt? Erzählt ein wenig über die Hintergründe.

Wir sind Dafydd und Zosia, autodidaktische Fotografen, die das Kickplate-Projekt im Juli dieses Jahres als Kunstkollektiv gegründet haben.

Wir haben uns vor vier Jahren in Neapel, in Italien getroffen und sind seitdem mindestens ein Dutzend Mal umgezogen. Nachdem wir zwei Jahre in Polen und Italien lebten und rumgereist sind, sind wir nach Abertillery, Dafydds Heimatstadt in den Valleys, einer Region im Süden von Wales, zurückgekehrt.

Aus persönlichen und ökonomischen Gründen waren wir zu dieser Zeit auch ziemlich aufgeschmissen. Das Leben in einer post-industriellen Stadt, die außer schönen Aussichten nicht viel zu bieten hat, kann ziemlich langweilig und überwältigend sein. Wir vermissten die Dinge, die wir so genossen hatten, als wir in den großen Städten gelebt hatten: Zu Ausstellungen gehen und mit anderen Menschen interagieren.

Wir hatten schon immer davon geträumt, eine Kurzzeit-Galerie zu haben, aber wir hatten nie in Erwägung gezogen, sie hier umzusetzen. Und als wir dann eines Tages Ende Juni durch die Stadt gingen, sahen wir es – einen kürzlich aufgegebenen Friseursalon.

So begann das Kickplate-Projekt als Kurzzeit-Galerie in einem ehemaligen Friseursalon in Wales – sie hat ihren Namen von den Metallplatten, die immer noch an ihrem Platz sind und an die Vergangenheit unserer Galerie erinnern.

kickplate

Kickplate: Stoßblech – Substantiv. Eine am unteren Ende von Türen angebrachte Metallplatte gegen Stöße und Kratzer.

Oder: Metallplatten, die an den Wänden von Friseursalons angebracht sind, um zu verhindern, dass ungeduldige Kunden die Wände mit ihren Schuhen zerstören, während sie ihren Haarschnitt bekommen.

Sie dienen auch dazu, Fotos an der Wand unserer Kurzzeit-Galerie aufzureihen.

Unser Ziel ist es, qualitativ hochwertige internationale Fotografie an einen Ort zu bringen, der keine ständige Galerie besitzt. Zu zeigen, dass Kunst nicht einer sozialen Gruppe vorbehalten ist und neue Künstler zu fördern.

Erzählt uns doch auch noch ein wenig mehr über Euch selbst. Wer seid Ihr?

Wir wurden beide an entgegen gesetzten Enden des Jahres 1984 geboren, aber etwa auf dem gleichen Breitengrad.

Dafydd kommt aus Wales und hat als Grafikdesign-Praktikant, Verwalter einer Putzfirma, eines Finanzunternehmens und des Gesundheitsdienstes, sowie als Englischlehrer, Korrekturleser, Hostel-Rezeptionist sowie autodidaktischer, experimenteller Fotograf gearbeitet. Nun ist er nur noch ein experimenteller Fotograf und Kamera-Bauer und hofft, dabei auch zu bleiben. Er hat in Polen und Italien gelebt, ist aber kürzlich in sein Heimatland zurückgekehrt.

Dafydd hat vor ein paar Jahren begonnen, analoge Fotos zu machen und seitdem einige Kameras umgebaut. Etwa hat er eine Holga in eine doppelseitige Kamera mit einer Lochkamera auf der Rückseite verwandelt, zwei Großformat-Fachkameras gebaut und arbeitet an seiner dritten. Er genießt es, neue Techniken auszuprobieren und hat am (vielleicht ersten) Polaroid-Filmtausch mit einem österreichischen Fotografen teilgenommen.

Außerdem hat er an „Pray for Japan by the 101“ teilgenommen, einem Projekt, das Geld für die Tsunami-Opfer in Japan sammelt. Eines seiner visuellen Gedichte war Teil eines Buches von Hanan Kazma. Im Jahr 2012 hat Dafydd sein erstes Buch, „peculiar truths“, veröffentlicht.

z and d © Kickplate Projekt
Dafydd und Zosia

Zosia Krasnowolska kommt aus Polen, ist studierte Kulturwissenschaftlerin, Übersetzerin, Filzerin und lebenslang Kamerasüchtige. Sie arbeitet fast ausschließlich mit abgelaufenem Film oder solchem aus dem Supermarkt und benutzt meistens ihre Lieblingskamera, eine Praktica mtl50.

Zosia dokumentiert leere Räume, das Vergehen der Zeit und den Ausdruck der Persönlichkeit von Menschen in eingeschränkten räumlichen Grenzen. Das Format, das sie dabei bevorzugt, sind „natürliche Diptycha“, also ein Bild, das aus zwei aufeinanderfolgenden Bildern desselben Filmstreifens besteht – manchmal geplant, manchmal zufällig.

Zosia ist besonders interessiert an Feminismus und Frauenrechten. Im letzten Jahr nahm sie an „The Interpersonally Happy“ teil, einem Projekt, das ins Leben gerufen wurde, um das Bewusstsein für häusliche Gewalt zu schärfen

gallery outside © Kickplate Projekt
Blick von der Church Street in die Galerie

Die einzige Galerie in einer Stadt. Wie genau sieht das Konzept des Kickplate-Projekts aus?

Für uns ist das Kickplate-Projekt ein Weg, um gegen die Kleinstadt-Langeweile zu kämpfen, die Zielgruppe von Kunst in Frage zu stellen und dieses Publikum zu erweitern. Kunst direkt in die Leben und Gemeinden der Menschen zu bringen, denen in der Vergangenheit gesagt wurde, dass Kunst nichts für sie ist.

Wir glauben stark an die Wichtigkeit des alltäglichen Kontaktes mit Kunst und glauben, dass es das Leben der Menschen bereichert, ihre Sensibilität schärft und ihnen dabei hilft, unterschiedliche Aspekte der Existenz zu erfahren. Besonders in einer post-industriellen Stadt, der sonst eine ständige Galerie fehlt.

Kunst ist im Vereinigten Königreich sehr elitär geworden. Im Bezug darauf, wer ein Künstler werden kann ebenso wie darauf, für wessen Augen Kunst gemacht ist. Wir denken, das ist falsch und führt nirgendwohin – außer in die Auktionshäuser!

Von Kunstgalerien sollte nicht erwartet werden, Geld zu machen, um öffentlich gefördert zu werden, das widerspricht der ganzen Idee von öffentlicher Förderung. Das ist ein sehr ernstes Problem in einer Zeit, die geprägt ist von einer Sparpolitik, die darauf ausgerichtet ist, die Uhr ein paar hundert Jahre zurückzudrehen.

Was habt Ihr bereits erreicht und was ist in Zukunft geplant?

Bis jetzt haben wir zwei internationale Fotoausstellungen organisiert.

„Visitors“ präsentierte acht Künstler aus Litauen, dem Libanon, Frankreich, Österreich, Ungarn, Polen und Wales, die eine breite Palette von Stilen und Techniken der Fine-Art-Fotografie zeigten.

„behind her ‚I’s“, das wir am 3. August eröffneten, zeigt Bilder von Frauen, aufgenommen von fünf Fotografinnen aus Georgien, dem Libanon, Deutschland und Kaliningrad. Es ist darauf ausgerichtet, der Art, wie Frauen normalerweise in den Medien und Künsten portraitiert werden, etwas entgegenzusetzen.

Wir planen, in diesem Raum mindestens drei weitere Ausstellungen zwischen September und Dezember abzuhalten und versuchen im Moment, dafür eine Finanzierung zu erstellen – bisher haben wir alle Kosten selbst getragen.

visitors panorama © Kickplate Projekt
Panorama der Ausstellung „Visitors“

behind her Is © Kickplate Projekt
Panorama der Ausstellung „behind her ‚I’s“

Wegen des nomadischen Charakters unseres Lebensstils und der relativ zeitgenössischen Natur der Galerie würden wir das Kickplate-Projekt gern auch an andere Orte bringen, wobei Neapel und Warschau die nahegelegendsten Stationen sind – aber wir sind gespannt, Deine Vorschläge zu hören! Wir hoffen, dass das, was wir bisher getan haben, eine nachhaltige Auswirkung auf die lokale Gemeinde sowie die kulturelle Politik hat und dass es ähnliche Initiativen in der Zukunft ermutigen wird.

Wie und wo sucht Ihr nach Künstlern für Eure Galerie?

Wir haben versucht, Leute über Online-Plattformen zu finden, wir haben auch Online-Galerien und Fotoprojekte durchsucht, die wir interessant finden. Wir arbeiten auch mit Mundpropaganda, den Empfehlungen von Künstlern, die wir kennen. Wir mögen es besonders, Künstler zu finden und auszustellen, die anders vielleicht nicht die Chance gehabt hätten, ausgestellt zu werden, weil sie ihre Fotos vielleicht in einer sehr ungewöhnlichen Art herstellen.

Wir versuchen, Künstlern die Möglichkeit zu geben, die Hürde zu umschiffen, dass man „ausgestellt haben muss, um ausgestellt zu werden“, eine wirklich bizarre Schwelle, die die meisten Kunstanstalten aufrecht erhalten.

Besucher © Kickplate Projekt
Neugierde und reges Interesse zeigten die Besucher der Ausstellung.

Wir glauben daran, dass man, um bedeutsame und qualitativ hochwertige Kunst zu machen, nichts Künstlerisches studiert haben muss. Eine Idee, die sich, trotz der Existenz zahlreicher berühmter Gegenbeispiele, immer noch hartnäckig in der Kunstwelt hält.

Aus dem selben Grund sind wir auch keine großen Freunde davon, die Künstler Statements schreiben zu lassen. Wir glauben, dass gute Kunst für sich selbst sprechen kann – außer, ein Kommentar ist Teil des Projektes. Das heißt, wir hören gern zu, aber wir zwingen nicht jeden dazu, einen Kommentar zu seiner ihrer Arbeit abzugeben, wenn er es nicht möchte – das ist doch immer noch die Aufgabe von Kunstkritikern!

Ebenfalls aus diesem Grund denken wir auch nicht, dass Fotos immer in Form von Serien kreiert werden müssen – wir sind vollkommen glücklich damit, Einzelbilder zu betrachten. Wir würden gern Künstler aus Ländern finden, die künstlerisch übersehen werden oder im Westen unterrepräsentiert sind.

Zum Abschluss erzählt uns noch ein wenig über die Resonanz Eurer Besucher. Wie fielen ihre Reaktionen im Speziellen aus?

Die Reaktionen waren überwältigend positiv. Abgesehen von guten Rezensionen haben wir Geschichten über fotografische Erfahrungen, Lieblingskameras und Familienfotos gehört – und wir wurden umarmt! Viele Menschen waren überrascht und sagten, dass es Zeit war, eine Fine-Art-Ausstellung in Abertillery zu sehen.

Die zentrale Lage unserer Galerie macht es der breiten Öffentlichkeit zugänglich und während einige Leute am Anfang scheu waren, wurde ihre Neugier doch bald offensichtlich. Wir haben keine Rezeption, daher war es offensichtlich, dass die Ausstellung kostenlos zu sehen ist und es fühlte sich einfach wie ein weiterer Laden auf der Straße an. Viele Besucher kamen mehr als einmal wieder, um sich ihre Lieblingsfotos anzusehen. Wir waren froh, zu sehen, wie die Menschen auf die sehr unterschiedliche Auswahl der Fotos reagierten, was interessant für beide Seiten war.

opening 7 © Kickplate Projekt

Ich danke Zosia und Dafydd für ihre Zeit und Geduld. Ich hoffe, dass ihr Projekt eine Zukunft hat und andere ermutigt, Ähnliches zu realisieren oder solche Projekte zu unterstützen.

Wer das Kickplate-Projekt unterstützen möchte, ist herzlich eingeladen bei der Kickstarter-Kampagne des Projektes vorbeizuhuschen.

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