Herbstzeit ist Waldzeit
Herbstzeit ist Waldzeit. Der Herbst ist vielleicht der beste Zeitpunkt des Jahres, um mit der Kamera in heimischen Wäldern auf Motivjagd zu gehen. Derzeit begegnen einem bei Besuchen im Wald ständig wechselnde visuelle Eindrücke: Das rasch umschlagende Wetter, morgendliche Nebelstimmungen und durch das bunte Blätterdach einfallendes Licht entführen den Besucher in eine verzauberte Welt.
Es scheint so, als würde der Wald im Herbst ein bisschen mehr zu jenem verwunschenen Sehnsuchtsort werden, den wir aus den Märchen unserer Kindheitstage kennen. Ob „Hänsel und Gretel“ oder „Rotkäppchen“ – die Reihe der Märchen, die im Wald spielen, ist lang. Was ist da verlockender, als selbst mit der Kamera loszuziehen, um sich auf die Suche nach dem herbstlichen Zauber heimischer Waldgebiete zu begeben?
Tatsächlich gibt es im Herbst kaum einen Tag, an dem sich der fotografische Blick in den Wald nicht lohnen würde: An sonnigen Tagen bietet die gelbrote Färbung des Herbstlaubes herrliche Lichtspiele und der sprichwörtliche „goldene Oktober“ lockt die Wanderer in Scharen in die Laubwälder deutscher Mittelgebirge.
Aber gerade auch wenn das Wetter weniger einladend scheint, ist der Wald ein exzellentes Fotorevier. Traumhafte Bedingungen findet man so zum Beispiel nach dem Abklingen nächtlicher Regenfälle, wenn der Himmel zum Tagesanbruch hin aufklart.
Die hohe Luftfeuchtigkeit und die niedriger werdenden Temperaturen führen dann oft zur Bildung von mächtigen Nebelbänken, die selbst alltäglichen Wirtschaftswald in mystisch anmutende Lichtstimmungen entrücken. Wenn der Blick auf den Wetterbericht im Oktober gute Bedingungen für den folgenden Morgen verspricht, erfasst mich bereits am Vorabend das Fotofieber.
Auf morgendlicher Fotopirsch
Zwei Stunden vor Sonnenaufgang klingelt der Wecker. Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigt die erwartet guten Bedingungen: Die Regenfront des Vortrags ist weiter in Richtung Osteuropa abgezogen und unter klarem Himmel liegt der Nebel gleichmäßig verteilt in den Tälern der ostbayerischen Mittelgebirgslandschaft.
Dank des späten Sonnenaufgangs sind die Schlafphasen vor fotografischen Morgenunternehmungen im Herbst zum Glück länger als im Sommer. Dennoch habe ich bereits am Vorabend Ausrüstung und Proviant bereitgelegt – die Kaffeemaschine muss nur noch eingeschaltet werden und im Rückraum des Autos liegt mein Mountainbike, um die Anfahrt auch bei unwegsamem Gelände verkürzen zu können.
In Gedanken habe ich mir einige mögliche Waldpartien zurechtgelegt, die an diesem Morgen das fotografische Ziel sein könnten. Die endgültige Entscheidung fällt erst, nachdem ich vor Ort die Wetterbedingungen eingehend geprüft habe. Gemeinhin denkt man bei Landschaftsfotografie an eher gemächliches Fotografieren – der Herbst im Wald verlangt dahingehend eine vergleichsweise hohe Arbeitsgeschwindigkeit. Doch dazu später mehr.
Zunächst fahre ich mit dem Auto einen Aussichtspunkt an, um mir im weiteren Umkreis ein Bild von der Wetterlage machen zu können. Die genaue Verteilung des Nebels ist relativ schwer vorherzusagen und dennoch ist er eine der wichtigsten Zutaten für beeindruckende herbstliche Waldbilder.
Daher ist es gut, gegebenfalls vorbereitet zu sein und für bessere Bedingungen an eine andere Location ausweichen zu können. Auch die Nebelobergrenze sollte im Blick behalten werden, denn der Übergang von dichtem Nebel zu gleißendem Sonnenlicht verspricht in wenigen Stunden tolle Lichtstimmungen.
Nachdem ich mich für eine Location endgültig entschieden habe und nach mehreren Kilometern Wanderung mein Ziel erreiche, finde ich vor Ort auch tatsächlich eine perfekte herbstliche Morgenstimmung im Wald vor.
Noch ist es relativ dunkel und der dichte Nebel hängt bläulich zwischen den schemenhaften Bäumen. Eine eigenartige Stille liegt über dem Wald und der angenehme Geruch von feuchtem Laub steigt mir in die Nase. Häufig begegnet man zu dieser Uhrzeit Wildtieren – mit Hirschen oder Rehen kommt man fast immer in Kontakt.
Der Nebel scheint den Witterungsradius einzugrenzen und wenn sich Mensch und Tier dann auf kurze Distanz entdecken, sind beide wohl gleichermaßen erschrocken. Respekt habe ich vor Wildschweinrotten, die sich durch ihr Grunzen und den charakteristischen beißenden Geruch aber zum Glück frühzeitig bemerkbar machen.
Und im Wald sind Bäume im Notfall auch nicht so weit weg. Mit einer Telelinse würde man also auch als Naturfotograf auf seine Kosten kommen, aber da ich oft längere Wege zu Fuß oder mit dem Rad vor mir habe, bin ich mit gewichtsreduzierter Ausrüstung unterwegs.
Bereits auf dem Hinweg habe ich schon die eine oder andere Aufnahme des bläulichem Nebels in der Dämmerung gemacht. 40 Minuten vor Sonnenaufgang erreiche ich schließlich mein eigentliches Ziel: Zwischen wie von Titanenhand durcheinander geworfenen Granitfelsen wachsen mächtige Buchen und erschaffen so ein beinahe surreales Szenario.
Vermutlich sind sie aufgrund des unzugänglichen Terrains von der Kettensäge verschont geblieben. Eine dichtes, grün leuchtendes Moos überzieht Buchen und Felsen. Solch einen Platz würde man eher in den bemoosten Wäldern an der nördlichen amerikanischen Pazifikküste vermuten – aber auch alle deutschen Mittelgebirge bieten solche versteckten kleine Paradiese.
Das Gute liegt manchmal näher als man denkt und man hat dadurch den Vorteil, dass man bei optimalen Bedingungen flexibel arbeiten kann.
Bildkomposition im Wald
Unter dem golden schimmernden Blätterdach hält sich noch dichter Nebel, während von weiter oben helleres Licht durchdringt. Das 24mm TSE ist mein Objektiv der Wahl – die Shiftoption ermöglicht nicht nur bei der Architekturfotografie, sondern auch im Wald Kompositionen ohne stürzende Linien, was bei der Bildgestaltung äußerst hilfreich ist.
Überhaupt ist die oft chaotische Struktur von Wäldern eine fotografische Herausforderung. Der Nebel hilft dahingehend, dass er die räumliche Tiefe reduziert und einzelne vordergrundnahe Elemente hervorhebt. Dennoch ist es stets ein kleines Kunststück, überzeugende Kompositionen zu erkennen und festzuhalten.
Man sollte versuchen, die Waldszene nicht räumlich, sondern auf eine zweidimensionale Ebene reduziert wahrzunehmen. Ein Stativ ist essentiell und die Blende sollte bei Beachtung der Hyperfokaldistanz möglichst klein gewählt werden.
Um den Vordergrund zu gestalten, empfehle ich, kleine bis mittelgroße Naturobjekte einzubeziehen. Das kann ein Felsbrocken, ein Farn oder bei entsprechender Perspektive sogar ein Pilz sein. An der Bildgestaltung mit umgestürzten Bäumen scheitere ich selbst regelmäßig, da diese bei Weitwinkelaufnahmen zu einseitig dominanten, führenden Linien werden.
Die fotografischen Protagonisten des mittleren Bereichs sind die Bäume. Eine zentrale Komposition bietet sich nur bei charakervollen, weit ausladenden Baumgestalten an – typisch hierfür sind knorrige Buchen, Bergahorne oder Eichen. Häufiger bietet sich ein Bildaufbau mit zwei ähnlich breiten Baumstämmen als Framing an. Dominante Waldriesen können auch nach der klassischen Drittelregel oder im goldenen Schnitt zur Strukturierung der Aufnahme beitragen.
Für die Hintergrundgestaltung bieten sich Waldwege oder Bachläufe an, um dem Bild Tiefe und Blickführung zu geben. Wenn man nur mit Bäumen arbeitet, ist darauf zu achten, dass selbst winzige Standortveränderungen darüber entscheiden können, ob sich wichtige Bildelemente wie etwa markante Zweige überschneiden oder gegenseitig verdecken. Der LiveView-Modus der Kamera mit seiner Lupenfunktion hilft, dahingehend die Komposition zu perfektionieren.
Hier kommt die Sonne
Plötzlich durchbricht das Licht der aufgehenden Sonne den Nebel. Wenn man ein Freund klassischer, lichtdurchfluteter Waldszenen ist, heißt es, jetzt schnell zu arbeiten: Denn wenn das Sonnenlicht erstmals auf den Nebel trifft, dann bleibt einem oft nur ein Zeifenster von fünf Minuten, um die Lichtstimmung festzuhalten, bevor der sich Nebel auflöst.
Dennoch lohnt sich das beschleunigte Arbeiten: Die Sonnenstrahlen in Kombination mit Nebel wirken wie eine riesige Softbox mit wunderbar weichem Licht. Schnell muss die Entscheidung für optimale Komposition und Blickwinkel gefällt werden, denn das Licht ist selten für mehr als ein halbes Dutzend Auslösungen stabil.
Weiter ist zu beachten, dass das gleißende Sonnenlicht den Kontrastumfang vor Ort stark erhöht. Bei dichtem Nebel reicht meist eine einzelne Aufnahme aus, um gut durchgezeichnete Tiefen und Lichter zu erhalten. Bei sonnendurchflutetem Nebel geraten gegenwärtige Kamerasensoren beim Kontrastumfang dagegen an ihre Grenzen.
Mehrfachbelichtungen können der nötige Puffer sein, um in der Nachbearbeitung auch in Tiefen und Lichtern eine Detaildurchzeichnung zu erzielen. Der Einsatz von Verlaufsfiltern ist dagegen schwierig, da sich selten ein klar abgegrenzter Übergangsbereich zwischen Hell und Dunkel findet.
Prinzipiell ist es gut, zu wissen, aus welcher Richtung das Licht der Herbstsonne zu erwarten ist. Oft ist der Wald noch von Nebel erfüllt, während die Baumkronen bereits vom Sonnenlicht erfasst werden: Durch Lichtungen und Öffnungen im Blätterdach beginnt der Nebel, im weichen Licht strahlend hell zu leuchten.
Die Farben der umgebenden Blätter treten intensiv hervor und die hellen Lichtakzente optimieren die Bildgestaltung. Gerade auch im Hintergrund bieten sich solche lokalen Lichtkonzentrationen als die Bildtiefe vergrößerende Gestaltungselemente an.
Auch das typische, konzentrische Spiel von Sonnenstrahlen im Nebel ist durch Lücken im Blätterdach am eindrucksvollsten. Dennoch sollte man versuchen, zum Beispiel einen Ast bei der Komposition vor die Sonne zu legen, um einerseits den Kontrastumfang zu verringern und andererseits ausgehend von der Silhouette des betreffenden Astes einen schönen Strahlenfall zu erzielen.
Grundlegend ist es so, dass jene Bilder mit Sonneneinfall eher stimmungsvoll sind und solche mit reinem Nebel dagegen eher minimalistisch reduziert. Welchen Stil man bevorzugt, ist vermutlich eine persönliche Geschmacksfrage.
Die Nachbereitung
Spätestens zwei Stunden nach Sonnenaufgang hat sich der Nebel meist komplett aufgelöst und das Licht fällt hart und kontrastreich auf den Waldboden. Es ist Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Zu Hause wartet zunächst eine Tasse heißer Tee, bei der die Ergebnisse des Morgens begutachtet werden.
Ich denke, dass man versuchen sollte, einen eigenständigen Zugang zum Thema Wald in der Bildbearbeitung zu finden. Erst die persönliche Sichtweise auf das Motiv – von der Aufnahme bis hin zur Nachbearbeitung – erschafft meiner Meinung nach authentische Bilderwelten, die den Betrachter faszinieren und in ihren Bann ziehen können.
Ich selbst verfolge bei meinen Waldbildern meist einen eher plakativen Look, mit dem ich versuche, mein subjektives Erleben der Stimmungen vor Ort widerzuspiegeln. Licht, Farben und Bildelemente sind als Grundzutaten bereits in der Aufnahme vorhanden. Durch Kontrast-, Farb- und Helligkeitsanpassungen verändere ich das Foto hingehend meiner Vorstellungen und Erinnerungen an die Lichtstimmung während der Aufnahme.
Das Stichwort Luminanzmasken ist eine gute Grundlage, auf der man einen weitergehenden Bearbeitungsstil aufbauen kann. Da ich relativ komplex farbenfehlsichtig bin und neben der Unterscheidung von rot und grün auch Probleme mit magenta – grau und blau – violett habe, sind meine Aufnahmen immer eine Interpretation der Realität und niemals ein reines Naturdokument.
Meinen Bildstil sehe ich irgendwo zwischen moderner Werbeästhetik und der Tradition deutscher romantischer Malerei im Stile Caspar David Friedrichs angeordnet. Dennoch sollte man immer auch den Blick über den Tellerrand des eigenen Bearbeitungstils wagen: Auch minimalistische Darstellungen mit reduzierten Farben bieten sich bei den von mir beschriebenen Bedingungen an.
Abschließend kann ich nur nochmals empfehlen, mit der Kamera am frühen Morgen ein naheliegendes Waldgebiet aufzusuchen: Neben tollen Fotomotiven wird man von einer faszinierenden Stille und Stimmung umgeben, die meditativ der hektischen Alltagswelt entgegenwirken.