22. Oktober 2013 Lesezeit: ~3 Minuten

Limbo

Wir haben nur zwei Alternativen: Entweder halten wir alles für gesichert und real oder wir tun es nicht. Wenn wir das erstere tun, dann enden wir in tödlicher Langeweile an uns selbst und der Welt. Wenn wir das letztere tun und unsere persönliche Geschichte auslöschen, dann schaffen wir einen Nebel um uns her, einen sehr erregenden und geheimnisvollen Zustand, bei dem niemand weiß, wo der Hase hervorspringen wird.

Tatsächlich halten wir unsere Welt mit unserem inneren Gespräch aufrecht. Die Welt ist so und so, bloß weil wir uns sagen, dass sie so und so ist. Wann immer wir aufhören, mit uns zu sprechen, ist die Welt stets so, wie sie sein sollte.

– Don Juan Matus zu Carlos Castaneda

Limbo © Andrej Glusgold

Limbo © Andrey Glusgold

Wie sieht das Leben nach dem Tod aus? Wie sieht die Erde ohne Leben aus? Wohin fliegt die Seele, wenn sie den Körper verlässt?

Diese Fragen haben mich bewegt, als ich im September 2013 nach Marokko aufbrach, um Landschaften zu finden, die meiner Vision entsprechen könnten. Zu einer kosmischen Szenerie gehören für mich die Sterne, aber nicht die Sonne. Deswegen war es für mich klar, dass ich die Fotos nachts und bei Vollmond machen werde, damit man noch etwas von der Landschaft erkennen kann.

Ich war öfter in Marokko und kenne die Gegend dort relativ gut. Dennoch bin ich erst nach vielen Hunderten Kilometer im Auto (im Westen war es zu wolkig, im Süden gab es einen Sandsturm) letztendlich im Osten, im Gebirge Jebel Saghro fündig geworden. In Begleitung eines Maultiers und eines Maultiertreibers, der leider kaum Französisch sprach, bin ich in die Berge des Antiatlas aufgebrochen. Es wurde zu einem sehr archaischen Erlebnis für mich.

Limbo © Andrej Glusgold

Limbo © Andrej Glusgold

Das tagelange Marschieren auf einsamen Ziegenpfaden durch unwegsames Gelände, die Zubereitung von Essen und das Schlafen unter freiem Himmel ohne WC, Strom und Dusche, die ergangenen und mit den eigenen Knochen „erfühlten“ Kilometer, die Sonne, der Schweiß und die Müdigkeit – all das hat mir noch einmal bewusst gemacht, wie wir Menschen bis vor Kurzem jahrtausendelang gelebt haben. So führte Moses das Volk Israel 40 Jahre lang durch die Wüste, damit es spirituell gereinigt das Heilige Land betreten konnte.

Die Wüste ist eine reduzierte Landschaft, genauso wie das Wandern darin ein auf die Grundbedürfnisse reduziertes Leben darstellt. Es hat etwas Befreiendes, festzustellen, mit wie wenig Dingen man auskommt. Der ununterbrochene Strom aus Bildern, Musik, Mails, Nachrichten, Anrufen fällt auf einmal weg und fehlt einem gar nicht. Nachts wirkte die Wüste von einem eigenartigen, inneren Leben erfüllt.

Limbo © Andrej Glusgold

Limbo © Andrej Glusgold

Ich lief vorsichtig, um nicht abzustürzen, wie ein Schlafwandler mit Kamera und Stativ über die Felsen. Das bläuliche Mondlicht ließ die Landschaft wie unter Wasser aussehen. Es war absolut still. Einmal sah ich einen Kometen mit einem lodernden Feuerschweif irgendwo nicht weit von mir über der Wüste abstürzen.

Die kindliche Vermutung, dass die Welt in ihrem Urkern eine magische ist, kam wieder. Ich dachte an Carlos Castaneda, die Kräfte des Nagual und daran, dass, wenn ich meinen Körper verlasse, ich mir den Weg ins Licht gern wie diese Landschaft vorstellen würde.

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