31. Juli 2013 Lesezeit: ~9 Minuten

The walking series – ein iPhone-Projekt

Die Idee zu diesem Projekt kam mir genau am 19. September 2012, während der Arbeit. Ich bin Angestellte in einem kleinen Büro. Manchmal bin ich eine Weile allei und wenn ich meine Arbeit erledigt habe, schlendere ich mit meinem iPhone in der Hand durch die Büroräume auf der Suche nach Motiven.

Dann fotografiere ich zum Beispiel Büroutensilien wie Stifte, Klammern, Stempel oder auch die Schränke, Teppiche, Fenster, Jalousien, meine Kaffeetasse oder meine im Wartezimmer ausgestellten Fotos. Da das aber mit der Zeit langweilig wird, weil man ja nicht jede Woche neue Büroutensilien oder Mobiliar bekommt, stehe ich auch ganz gern mal am Fenster und beobachte, was draußen auf der Straße passiert.

© Martina Woll

Unser Büro liegt in einer kleinen Seitenstraße parallel zu einer vielbefahrenen Straße, die in die Innenstadt führt. Direkt neben dem Haus ist eine kleine T-Kreuzung, in der Nähe befinden sich Berufsschulen, ein Studentenwohnheim, ein TÜV, ein Erotikdiscounter, der Drogenstrich und um drei Ecken auch der Hauptbahnhof. Es ist also eigentlich immer was los und es laufen die unterschiedlichsten Typen Mensch vorbei.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich ein Renovierungsdiscounter. Vom Bürofenster meines Chefs aus kann ich die seitliche Hauswand des Discounters sehen, davor die Straße mit Bürgersteig, auf dem die Menschen vorbei gehen. Die Wand des Discounters ist mit Aluminium-Wellblech und einem kleinen Anbau versehen, was eine schöne grafische Wirkung hat, wie ich finde.

Dazu steht vor dem Fenster des Büros ein großer Baum, dessen Äste und Blätter ins Bild hineinragen und ihm einen ansprechenden Rahmen geben. So stand ich also an jenem Septembertag am Fenster im Büro meines Chefs und beobachtete das Treiben vor dem Haus. Das geht natürlich nur, wenn mein Chef nicht da ist, was aber meistens vormittags der Fall ist.

© Martina Woll

Ich fotografierte wieder einmal die Fassade, als eine Person durchs Bild lief. Da traf es mich wie ein Blitz und mir kam die Idee, doch einfach die Menschen, die an dieser Fassade vorbei gehen, zu fotografieren und gleich eine Serie daraus zu machen. Ein wahrer Geistesblitz und das nach sieben(!) Jahren, die ich bis dahin in diesem Büro arbeitete.

Zunächst hatte ich mich nicht wirklich auf einen bestimmten Bildschnitt festgelegt und habe die Leute immer grade da fotografiert, wo ich sie entdeckte. Die Idee, nur einen ganz speziellen Bildausschnitt zu verwenden, kam mir erst nach einer Weile, als ich einen gewissen Blick für die Szenerie entwickelt hatte.

Der Titel der Serie ist eigentlich auch nicht ganz richtig. Wollte ich anfangs nur die Menschen fotografieren, die durchs Bild gingen, wurde mir schnell klar, dass ich doch gern alles, was in diesem Bildausschnitt passiert, für die Serie festhalten wollte, also auch Radfahrer, Autos, LKWs, Tiere. Der Grundgedanke war aber, die vorbeigehenden Menschen zu fotografieren, weshalb ich den Namen „the walking series“ beibehalten werde.

© Martina Woll

Nach einer kleinen Weile entschied ich mich also für einen Bildausschnitt vom Lüftungsschacht links neben dem Anbau bis hin zu diesem Fleck in der Fassade rechts im Bild, um eine Konstante reinzubringen. Das gelingt natürlich nicht immer, weil die Kamera vielleicht nicht schnell genug scharf stellt oder die Person zu schnell durchs Bild läuft.

Generell ist alles, was schneller als Schrittgeschwindigkeit ist, eine Herausforderung, denn meine Sicht aus dem Fenster ist begrenzt und ich sehe nicht wirklich, was von links oder rechts angerauscht kommt. Ich habe nur einen Bruchteil einer Sekunde Zeit, das Bild zu machen.

Dann gibt es auch ganz unglückliche Momente, wenn ich etwa die Kamera kurz herunter nehme, weil mir der Arm vom minutenlangen Hochhalten – um nichts zu verpassen – weh tut und just in diesem Moment etwas passiert. So rollte kürzlich ein Junge auf einem Skateboard vorbei, gerade als ich die Kamera vom Fenster wegnahm und nicht mehr schnell genug reagieren konnte.

© Martina Woll

Sehr ärgerlich, denn einen Skateboarder habe ich noch nicht in meiner Serie! Ich möchte nämlich gern alles Mögliche in meiner Serie vereinen. Ein schickes Auto, ein interessanter Fußgänger, Radfahrer, LKW-Fahrer, die Müllmänner, den Postboten, Schulkinder, Rentner, Gassi-Geher, die „Prostituierte von nebenan“ … einfach von allem etwas.

Es gehört sehr viel Glück dazu, gerade in dem Moment am Fenster zu stehen, in dem etwas Interessantes passiert. Und natürlich stehe ich nicht den ganzen Tag am Fenster, ein wenig arbeiten muss ich „zwischendurch“ ja auch noch. Es sind vielleicht ein paar Minuten am Stück, manchmal auch mehrere Male über den Tag verteilt, die ich am Fenster auf Motive warte.

Wer weiß, was ich alles verpasse, wenn ich an meinem eigenen Schreibtisch sitze, mit wunderschönem Panoramablick auf unseren Aktenschrank. Ich hatte schon überlegt, meinen Chef zu fragen, ob wir die Büros tauschen, aber dann arbeite ich womöglich gar nicht mehr.

Ganz hibbelig werde ich, wenn mich mein Chef zu sich ins Büro zitiert und ich dann mit Blick zum Fenster vor seinem Schreibtisch stehe. In einem solchen Moment habe ich dann natürlich kein iPhone in der Hand und wie das Leben so spielt, passiert oft ausgerechnet dann etwas Sehenswertes.

© Martina Woll

Anderseits könnte ich meinem Chef auch von der Serie erzählen. Ich denke nicht, dass er ein Problem damit hätte, wenn ich während der Besprechung dann mal kurz ans Fenster springe und ein Foto mache.

Aber zurück zur Serie. An sich mag ich es am liebsten, wenn es bewölkt ist, dann sind die Lichter und Schatten im Bild nicht zu hart und man kann sich ganz der Person oder dem Geschehen im Bild widmen. Aber auch Sonnenschein und der dadurch entstehende Schatten des Baumes an der Fassade haben durchaus ihren Reiz! Man kann dann schöne „Such-Bilder“ zaubern.

Die Bildqualität des iPhones ist leider nicht so optimal, erst recht nicht, weil ich für den gewünschten Bildschnitt ein wenig Zoomen muss. Bei Sonnenschein oder bewölktem Himmel geht es noch, schlimm wird es schlechten Lichtverhältnissen wie etwa bei Regen oder frühabendlicher Dämmerung in den Wintermonaten.

© Martina Woll

Da muss ich dann leider mit einem Qualitätsverlust leben. Die Schärfe verrutscht auch des Öfteren mal, weil die Kamera gern auf den ins Bild ragenden Ast scharf stellt, statt auf die Fassade dahinter. Manch einer wird sich jetzt sicher fragen, warum ich dann nicht einfach auf eine „richtige“ Kamera zurückgreife, die qualitativ hochwertige Bilder macht.

Ist ja auch nicht so, als hätte ich nicht genug davon. Nun, ich habe natürlich schon darüber nachgedacht, mehrmals sogar, und war auch schon kurz davor, die Kamera zu wechseln, aber ich habe die Serie als iPhone-Fotoprojekt gestartet und so möchte ich sie auch weiter- und irgendwann zu Ende führen. Außerdem liebe ich es, trotz diverser Schwächen, mit dem iPhone zu fotografieren.

Es hat den Vorteil, dass ich die geschossenen Bilder gleich bearbeiten und bei Instagram und Tumblr hochladen kann. Mit einer „richtigen“ Kamera müsste ich die Bilder erst auf den PC laden, dort bearbeiten und wieder auf’s iPhone packen, um sie dann von dort hochladen zu können. Das ist mir zu umständlich und langwierig. Da verzichte ich lieber auf etwas Bildqualität, zumal ich sie ja eh nie großformatig drucken lassen oder ausstellen werde.

© Martina Woll

An Bildbearbeitung mache ich übrigens gar nicht so viel. Ich nehme die Bilder im Querformat auf, schneide sie mit einer Bildbearbeitungs-App meiner Wahl (VSCOcam, Afterlight) quadratisch und stelle höchstens die Helligkeit ein und aktiviere die Funktion „Fade“, womit sich die Schatten etwas aufhellen lassen.

Die Bilder sind natürlich alle „ungestellt“, aber ein paar inszenierte Aufnahmen musste ich dann doch machen. So habe ich zum Beispiel meinem Mann die Kamera in die Hand gedrückt, bin selber mal durchs Bild gelaufen und habe im Gegenzug natürlich auch meinen Mann fotografiert.

Oder ich habe ihn gebeten, mit Herbie vorbei zu fahren, damit auch er, also Herbie, ein Teil der Serie wird. Einige Freunde haben auch schon angedroht, vorbeizukommen und durch’s Bild zu laufen. Vielleicht mache ich daraus dann ein kleines Special, wenn sich genug Leute finden.

© Martina Woll

Meine Serie wird nun bald ein Jahr alt und zum Jubiläum möchte ich einen kleinen Bildband herausbringen. Wer diesbezüglich auf dem Laufenden bleiben möchte, der darf mir gern bei Instagram, Tumblr oder Facebook folgen, dort werde ich alles Entsprechende verkünden.

27 Kommentare

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  1. Ich finde die Idee und die Story dazu großartig.
    Vor allen Dingen aber dieses „heimliche“ Fotografieren im Büro des Chefs geben den Fotos meiner Meinung nach noch einen ganz eigenen Charakter. Könntest ja auch eine Kamera fest installieren und alle 60 Sekunden ein Foto machen lassen … das wäre aber total langweilig! So fühlt man sich wie ein Spion, der per Zufall eine bestimmte Situation erlebt.
    Der Bildband ist eine sehr gute Idee und hiermit auf meinem Wunschzettel! ;-)

    • danke :) man fühlt sich tatsächlich wie ein kleiner spion, der nicht entdeckt werden darf ;)

      mit dem bildband werde ich in den nächsten tagen anfangen, weiß allerdings noch nicht so recht, wie ich ihn aufbauen werde und welche bilder rein kommen. sind so viele :D

  2. Weniger tolle Büroaussicht, aber die Geschichte mit den Fotos finde ich super schön. Ich kann mir ein Büchlein mit der Geschichte gut vorstellen.

  3. Sorry, die Serie zu schießen hat Dir sicherlich Spaß gemacht, aber ich persönlich finde sie weder ästhetisch ansprechend noch als Serie herausragend.

    Die guten Serien, die ich bisher gesehen habe, stellen üblicherweise die Hauptszenerie in Beziehung zu variablen Menschen oder Dingen.
    z.B. eine fiktive Serie „Der Baum“, Bild 1: Kind klettert drauf rum, Bild 2: Hund pinkelt dran etc., Bild 3: Im Schnee versunken etc. Oder – ganz abgegriffen – ein Plakatmotiv/Denkmal, dass mit Menschen davor irgendwie eine lustig Beziehung hat.
    Die hier gezeigte Szenerie „Hauswand“ ist an sich ja langweilig, und die Motive davor interagieren auch nicht damit. Ein vorbeifahrendes Auto oder ein paar gelangweilt latschende Fußgänger sind für mich auch nicht wirklich spannend.

    Aus meiner Sicht hätte man also auch einfach ein paar mal mit dem Smartphone auf die Straße halten können und dann mit Photoshop einen einheitliche Hintergrund enretouchieren können. Ich sehe da keinen Mehrwert.

    • also ich finde es durchaus spannend, vorbei gehende, ganz unterschiedliche menschen zu beobachten. ich frage mich dann immer, welche geschichte wohl hinter jedem einzelnen steckt. wo kommt er her, wo geht er hin, wie war sein tag bisher … manche dagegen finden einen vollgepinkelten baum spannender, ist auch in ordnung.

      deinen letzten absatz versteh ich allerdings nicht ganz. warum sollte ich mit photoshop einen einheitlichen hintergrund einarbeiten (und mir dadurch unnötige mehrarbeit aufhalsen), wenn ich schon einen einheitlichen hintergrund habe? oder meinst du einen „interessanteren“ hintergrund einarbeiten? aber was ist interessant? eine wunderschöne naturlandschaft? die hochhäuser von new york?! würde wohl kaum mehr zur geschichte passen, oder?!

      • Ich denke, mein Punkt ist nicht rübergekommen. Für mich bestehen gute Fotoserien aus der Spannung zwischen dem, was über die Bilder bewusst gleich bleibt und den Teilen, die halt pro Bild anders sind. In diesem Fall sind beide langweilig, sowohl die Wand als auch die – freundlich gesagt – wenig inspirierenden Szenen davor. Ich streite nicht ab, dass Du alles aus der Häuserwand rausgeholt hast was ging, aber spannend ist sie nicht find ich.

        Und das mit dem Photoshop-Hintergrund war in die Richtung: Man könnte auch einfach mal mit dem Smartphone vor die Tür gehen und ein paar belanglose Fußgänger und Autos fotografieren, die dann in Photoshop freistellen und irgendeinen langweiligen Hintergrund einmontieren. Das wäre dann etwa genauso spannend und interaktiv wie eine immer gleich aussehende Häuserwand.
        Ich könnte auch genauso gut mit meinem Smartphone z.B. meine Füße an unterschiedlichen Arbeitstagen auf unterschiedlichen Fußböden und Schuhen ablichten oder so was. Da käme eine langweilige Serie, aber keine berührenden Bilder heraus (bei meinem Büroalltag ;-).

        Das könnte ich aber vielleicht als „Kunst“ titulieren und wären dann automatisch über jeden Zweifel erhaben ;-)

    • Die »Hauswand« ist nicht »an sich langweilig«, sondern sie ist das, was da ist. Dessen Dauerbeobachtung ein autonomer Akt der Poesie ist, der sich nicht fragen lassen muss, ob er Spannungs- oder Unterhaltungsbedürfnisse des Betrachters bedient. Gescheiter wäre es, der Betrachter würde sich der Dauerbeobachtung anschließen und den Akt der Poesie damit erweitern.

      Eines der stärksten Bilder finde ich z. B. das mit den Demonstranten (oder Streikenden?). Sie sind sozusagen Fleisch gewordener Missmut mit infantilen Kappen. Und: sie sind auch einfach das, was da ist. Als Hintergrund zum Vorbeidefilieren ist die Fassade insofern perfekt. Von mangelnder Interaktion kann hier keine Rede sein, nur weil die Leute keine Faxen machen.

  4. Tolle Serie, trotz (oder gerade wegen) der sehr einfachen Mittel und der „Wiederholungen“ total wirkungsvoll, interessant und auch schön anzusehen!
    Sowas würd ich mir hier öfters wünschen!

  5. Mir gefällt die Idee, das Dahinter, der Prozess der in dir abläuft, damit die Reihe so wird wie du es dir vorstellst.
    Ich mag diese „Langeweile“ in den Bildern, aus meiner Sicht interagieren die Elemente sehr wohl miteinander. Es sind ganz kleine Gesten, kleine Details des Alltags, zudem ein Abbild (Fassade) dessen was uns umgibt. Das ist eben sehr oft langweilig.
    „Spannende“ Bilder überzeugen mich ebensowenig wie ebensoviel, als “ langweilige“.
    Das wäre mir viel zu pauschal.
    Ich würde jedoch Ausreißer ( unscharf, falscher Fokus etc.) gnadenlos rauswerfen, vielleicht sonst zu beliebig?!

    • danke! auch für die verlinkung im blog.

      wegen der „ausreißer“. natürlich sind nicht alle bilder, die ich mache, brauchbar wegen der erwähnten schwächen des iphones oder der verwackler, falscher schärfe etc… und werden dann auch gelöscht. bei dem gezeigten bild von dem mann mit schirm habe ich allerdings absichtlich die schärfe aufs fenster gelegt, um damit die ganze szenerie dahinter unscharf zu zeigen, weil ich gern nur die silhouette einer person mit schirm haben wollte. ;)

  6. Blogartikel dazu: Woanders – diesmal mit Obdachlosigkeit, einer Lehrerin, einer Zeitschriftenverkäuferin und anderem | Herzdamengeschichten

  7. Blogartikel dazu: browserFruits November #1 › kwerfeldein - Fotografie Magazin