Istanbul
2012 war für mich ein sehr spannendes Jahr, unter anderem weil ich im Sommer beruflich drei Monate in Istanbul verbracht habe. Ich hatte dort in meiner Freizeit natürlich fast immer die Kamera dabei und war begeistert von den fotografischen Möglichkeiten der Stadt.
Aus den Bildern ist eine Serie entstanden, mit der ich zeigen möchte, wie die Stadt auf mich gewirkt hat. Wie es mich dorthin verschlagen hat und warum die Serie so ist, wie sie ist, möchte ich in einer kleinen Geschichte erzählen.
Historische Straßenbahn in der Istiklal Caddesi
Ich sitze nichtsahnend im Büro und der Chef kommt vorbei, um ein paar Worte unter vier Augen zu wechseln. Ob ich im Sommer schon was vor hätte, fragt er. Und ob ich nicht schon immer mal ins Ausland wollte. Habe ich nicht und wollte ich schon immer.
Und so kommt es, dass ich kaum vier Monate später nach zahlreichen abenteuerlichen Besuchen in einer total verrückten Botschaft und ein paar interessanten weiteren Formalitäten im Flugzeug sitze und mich auf einen zwölfwöchigen Arbeitseinsatz in der Türkei, genauer in Istanbul, eingelassen habe.
15 bis 20 Millionen Menschen, so genau weiß das keiner, leben auf einer Fläche, die sechs Mal so groß wie Berlin ist. Was das bedeutet, ahne ich erst ansatzweise, als ich im Taxi vom Flughafen zum Taksim fahre, für das ich den Dummkopf-Aufschlag von 100% löhne. Die Fahrt dauert 40 Minuten, obwohl wir nicht einmal ein Viertel des auf etwa 100 km langgezogenen Stadtgebietes durchkreuzen.
Blick auf die Galata-Brücke Richtung Goldenes Horn
Meine Reise beginnt direkt am Taksim, dem modernen Zentrum von Istanbul, wo ich für die ersten Tage ein sehr hübsches Hotel direkt neben einer nicht so hübschen Großbaustelle beziehe. Das riesige Panoramafenster bietet mir einen traumhaften Blick auf den Bosporus und das Goldene Horn.
Abends schlendere ich noch ein wenig durch die angrenzende Istiklal Cd, um mir etwas Essbares zu suchen und die Stadt ein bisschen auf mich wirken zu lassen. Überall tummeln sich Menschen, die gesehen werden wollen und zeigen, was sie zu zeigen haben.
An jeder Ecke wird irgendetwas verkauft: Maronen, Wasserpfeifen, Sonnenbrillen, Handys, Klamotten. Und zwischendrin immer mal wieder gemütliche Lokantas, die mehrstöckigen türkischen Restaurants, mit teils tollen Dachterrassen und leckerem Essen.
Es herrschen 35 °C im Schatten und es ist so viel los, dass ich ständig fremden Schweiß auf meinen Armen spüre, aber obwohl mich die ersten Eindrücke ziemlich überfordern, fühlt sich alles irgendwie entspannt an.
Hoffnungslos überfüllte Verkehrsmittel sind in Istanbul die Regel
Istiklal Caddesi – die beeindruckendste Flaniermeile in Istanbul
An den folgenden Tagen verbringe ich viel Zeit damit, eine Wohnung für die kommenden drei Monate zu finden, was sich als gar nicht so einfach erweist, denn wir sind reichlich spät dran. Aber die netten Menschen von der „Relocation Agency“, die mich quer durch die ganze Stadt fahren, haben dann doch noch ein paar Unterkünfte in petto.
Und weil ich keine große Lust habe, im 17. Stock mit Blick auf eine Baustelle zu wohnen, nehme ich die schnuckelige Dreizimmerwohnung im sehr zentralen Besiktas mit traumhafter Aussicht auf Bosporus und Asien. Ein paar Tage später ist dann auch hier eine Baustelle nebenan. Naja.
Die Bevölkerung wird aus Tarlabasi an den Stadtrand verdrängt, um hier ein modernes Nobelviertel im Zentrum zu errichten
Die Stadt hat vieles zu bieten, im positiven wie im negativen Sinn. Es gibt viel zu entdecken und ich denke, wenn man nur ein paar Tage in Istanbul ist, kann man sich zwar die wichtigsten Sehenswürdigkeiten anschauen, aber das wahre Istanbul entgeht einem vermutlich.
Es ist die Stadt der Gegensätze und bevor ich hier war, hatte ich nicht den blassesten Hauch einer Ahnung, wie gegensätzlich ein Ort sein kann. Es gibt sehr gruselige, heruntergekommene Viertel, in denen sich der Müll stapelt und dunkle Gestalten sehr komisch gucken, wenn jemand mit einer Spiegelreflexkamera in der Hand an ihnen vorbeiläuft.
Es gibt aber auch enorm schicke Shoppingtempel mit Ferraris vor der Haustür und mondäne Villengegenden direkt am Bosporus mit Anlegern für die standesgemäße Yacht. Teilweise muss man keine fünf Kilometer gehen, um beide Welten zu sehen.
Dabei muss ich sagen, dass ich mich in Istanbul praktisch nie unsicher gefühlt habe. Die Kriminalitätsrate ist für eine derartige Mega-Metropole ohnehin verschwindend gering.
Nach ein paar Wochen in der Stadt kam ich auf die Idee, eine Bilderserie aus quadratischen Schwarzweiß-Fotos anzufertigen. Ich hatte bis dahin ein Gefühl für die Stadt entwickelt, hin und her gerissen zwischen Abscheu und Hingabe, mit einer Prise Respekt und etwas Demut.
Schwarzweiß musste einfach sein, das war sofort klar. Farben lenken nur ab. Das Quadrat unterstreicht noch einmal, dass mir der Inhalt wichtig ist, weil es sehr schlicht ist und ebenfalls keine Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Die Bilder sollen für sich wirken, ganz schnörkellos. Alle Bilder sind in Lightroom entwickelt, wobei ich eine gehörige Portion Drama in die meisten Bilder gepackt habe, um die Stimmung zu vermitteln, die ich dort hatte.
Istanbul hat etwas leicht Melancholisches, ist aber keinesfalls träge, sondern sehr dynamisch. Es ist eine romantische Stadt, mit jeder Menge Inspiration und Gefühl. Ich habe versucht, das zu transportieren.
Maroni-Verkäufer bei der Arbeit
Die Stadt hat so viele magische Orte zu bieten und zu jeder Tages- und Nachtzeit fantastisches Licht. Es gibt fast jeden Tag Sonnenauf- und -untergänge, bei denen einem der Atem stockt. An jeder Straßenecke sind unglaublich nette und fotogene Menschen, denen es völlig egal ist, wenn man sie fotografiert.
Die Sehenswürdigkeiten sind mit die beeindruckendsten, die mir bisher untergekommen sind. Kurz gesagt: Für Fotografen, Städtefans, Geschichts- und Architektur-Junkies und überhaupt für jeden, der offen für Anderes ist, bietet Istanbul unvergessliche Momente. Man sollte sich allerdings auch darauf einstellen, dass nicht immer alles so läuft wie geplant.