Im Gespräch mit Anja Millen
Anja Millen ist eine Geschichtenerzählerin. Beim Betrachten ihrer Bilder fühle ich mich wieder selbst wie ein Kind, das am Lagerfeuer sitzt und ihren Worten lauscht. Nur, dass es eben keine Worte sind, sondern Bilder, die direkt durch mich hindurch gehen.
Dass aber nicht die Fotografie, sondern die Bildbearbeitung ihre Passion ist und ihre Welten somit in der digitalen Dunkelkammer entstehen, hat mich veranlasst, ein bisschen nachzufragen, um mehr über sie und ihre Bilder zu erfahren.
Lieben Dank, dass Du Dich zu einem Interview bereit erklärst. Du hast mir geschrieben, dass Du weniger Fotograf als viel mehr Pixelschieber bist. Aber bevor wir dort anknüpfen, erzähl uns doch ein wenig über Dich. Wer bist Du und was machst Du?
Wer ich bin, frage ich mich manchmal selbst. Manchmal verliere ich mich ganz in meinen Bildern und ein anderes Mal verlieren sich die Bilder in mir. In erster Linie bin ich wohl Mensch, das kann ich nicht ändern, auch wenn der Gedanke durchaus reizvoll wäre. Aber die Realität in Bildern und auf Bildern kann ich ändern, neu erschaffen oder aber Träumen ein Gesicht geben.
Ich liebe alle Arten von künstlerischen Tätigkeiten, die traditionelle Kunst, das Schreiben vor allem von Lyrik und Prosa, ebenso wie das Fotografieren oder mein mich am meisten einnehmender Part, das Manipulieren und digitale Neuerschaffen.
Natürlich würde ich viele Bilder mit entsprechendem Equipment und Crew auch rein fotografisch annähernd so darstellen können – allein: Weder Zeit- noch Geldaufwand wären erschwinglich. Ich liebe Ruhe und Stille und arbeite nachts am kreativsten und am Tag leide ich unter meinen durchwachten Bilderwelten, wenn ich meinen Beschäftigungen nachgehe.
Ich komme aus einem Elternhaus, in dem Kunst nicht wirklich eine Rolle spielte und auch nicht entsprechend gefördert wurde. Ich gehöre noch zu der Generation, die „etwas Anständiges lernen“ und arbeiten musste. Also wurde ich Köchin und beendete diese unerwünschte „Karriere“, nachdem ich länger in Südfrankreich arbeitete.
Dann, inzwischen selbst Mutter zweier, mittlerweile erwachsener, Töchter, machte ich mein Abitur nach, besuchte die Fachoberschule für Gestaltung, begann ein Studium und verbrachte einige Zeit an der hier ansässigen Europäischen Kunstakademie.
Ich habe irgendwann die Fotografie und digitale Kunst für mich entdeckt und bin dabei geblieben, auch wenn mich sehr viele andere Bereiche der Kunst und des Designs interessieren und ich am liebsten ein Tausendsassa wäre.
So bearbeite ich seit nunmehr 15 Jahren Bilder digital, zeichne und manipuliere, zum Teil mit eigenen Fotografien, aber auch sehr viel basierend auf Stockbildern. Da es nicht wirklich genug Anfragen oder Nachfrage gibt, betreibe ich dies weitestgehend als Hobby und freue mich daran, wenn Menschen für einen Moment in meiner Kunst abtauchen und auf eine Reise aus dem Alltag gehen können.
Was inspiriert und motiviert Dich, diese anderen Welten zu erschaffen und wie gehst Du dabei vor?
Ich werde durch alles beeinflusst: Bewusst Gesehenes, Errochenes, Gelesenes, Gehörtes, beiläufig Wahrgenommenes, Erlebtes.
Kurzum, das Leben, die Natur und die Umwelt sind die Künstler, die mich ständig beeinflussen. Wann ich das verarbeite, kann ich nicht steuern; ich gehe ohne Vorhaben an ein Bild heran.
Stockbilder inspirieren mich häufig, ich sehe ein Foto einer Fliege und denke: Ooh, die würde sich gut auf einem Auge machen. Ob ich sie letztendlich dorthin setze oder am Ende gar nicht mehr in das Bild integriere, weiß ich im Voraus nicht.
Ein Bild zu machen ist bei mir ein völlig freier Verlauf und ja, da kann es passieren, dass ich nach Stunden einfach auf den kleinen Papierkorb klicke und alles lösche, weil das Bild mir nichts mehr gibt.
Ich brauche keine Motivation, ich fühle mich wie ein Silo, aufgefüllt mit unzähligen irrealen Bildern, die alle herauswollen, als sei ich nur das Werkzeug, um sie aus mir zu entlassen. Würde ich keine Bilder mehr machen, würde ich wohl irgendwann implodieren oder verrückt werden oder beides.
Einzig wenn ich kleinere Serien mache, folge ich ein Thema oder einem Bearbeitungsstil und weiß bereits zu Beginn, wohin die Manipulationsreise mich führen wird.
Du hast Eingangs erwähnt, dass Du zeitweise auch fotografierst. Das ist sicher ein ganz anderes Arbeiten, weil Du dann auch Kontakt mit dem Mensch vor Deiner Kamera aufnimmst. Sehe ich das richtig?
Natürlich ist ein direkter Kontakt mit Menschen immer anders und da ich mich nicht als Profi sehe, ist auch ein bisschen Nervosität dabei. Allerdings ist mein Arbeiten auch dort nicht viel anders als am Computer oder auf der Leinwand. Ich bin keine Dienstleisterin, sprich, ich mache selten „Wunscherfüllung“.
Das ist nicht mein Job, dazu sind entsprechende Fotografen da. Somit „schiebe“ ich statt Pixeln halt den Menschen über meine Leinwand, bis ich die Positionen, Mimik oder Szenerien eingefangen habe, die ich mag.
Ich habe einige Bilder in meinem Portfolio, die nicht manipulierte Arbeiten sind, liebe es aber, diese Welten zu erschaffen, zu denen mir die Mittel fehlen, sie durch reine Fotografie zu kreieren. Somit wird die Fotografie dann für mich lediglich Mittel zum Zweck, der abgelichtete Mensch erkennt sich häufig danach nicht einmal mehr selbst.
Wo andere Fotografen die Visagisten bereithalten, bitte ich das Modell, ungeschminkt zu kommen, das verunsichert manchmal. Auch die Bitte um ungewohnte Bewegungen oder schlicht Ausdruckslosigkeit, fernab des typischen Posings, ist für manche gewöhnungsbedürftig.
Von daher ist es für mich schon anstrengender, da ich nicht der geduldigste Mensch bin und auch nicht gern Überredungsarbeit leiste. Sprich: Wer es wirklich wagt, sich vor meine kleine Canon zu stellen, sollte funktionieren und sich keine Gedanken machen, ob er noch „schön“ genug aussieht, wenn er den Mund aufreißen soll.
Bildbearbeitung und Fotografie. Wieviel ist erlaubt? Hier scheiden sich immer wieder die Geister. Bildmanipulation als eigenes Medium, abgekoppelt von Malerei und Fotografie oder Verbindung beider Genres?
Zur Frage, wieviel erlaubt ist: Fragt man sich das auch bei einem Maler, Zeichner oder Bildhauer?
Ich sehe die Fotografie als meine „Ölfarbe“ und Photoshop als meinen Pinsel oder als meinen Marmorstein und Meißel. Ein Zuviel gibt es schlicht nicht in meiner Art der Kunst, eher ein Zuwenig, denn dann würde ich ja „nur“ noch ein Foto etwas aufpimpen. Ich möchte eine komplett neue Welt erschaffen, in der man am besten die fotografischen Einzelteile als solche nicht mehr erkennt.
Manipulationen und Kompositionen wurden solange von verängstigten und auch verärgerten Fotografen verschrien und erst in den letzten ein, zwei Jahren mehr und mehr anerkannt. Bei vielen entstand es vor allem aus der Angst heraus, dass die Wertigkeit der Fotografie leidet und auch aus der Scheu, sich mit Produkten wie Photoshop auseinanderzusetzen. Für mich persönlich leidet die Fotografie nur unter der Bearbeitung, wenn jemand, der sein Werkzeug nicht beherrscht, sich daran versucht, z.B. an übertriebenen Beautyretuschen und ähnlichem und das machen besagte Fotografen leider meist selbst.
Ja, ich bin für Bildmanipulationen natürlich vom Bild als Basis abhängig, jedoch nicht für digitale Kunst zwangsläufig, da ich auch digital zeichne, male, rendere. Fotografie ist ein eigenständiges Genre, ebenso wie die darauf basierende künstleriche Verarbeitung.
Wir haben jetzt viel über Bildmanipulation gesprochen und darüber, dass der Computer Dein Werkzeug ist. Wie aber verhält es sich mit der Präsentation Deiner Bilder? Reicht Dir dafür das Netz oder möchtest Du auch eine haptische Erfahrung?
Ich würde gern auch Ausstellungen meiner Bilder oder Installationen verschiedener Ideen machen, Angebote habe ich durchaus, national wie auch international. Der springende Punkt ist, dass dies sehr viel Geld erfordert. Abgesehen vom reinen Drucken, den Rahmen, Materialien und auch Anreisen und Transport.
Das klingt nun vielleicht etwas merkwürdig, ist aber tatsächlich der Hauptgrund, wieso ich das Netz als meine Galerie bevorzuge. Mäzene laufen einem nicht die Tür ein. Ich habe auch bereits als Book on Demand ein Buch gemacht und plane dahingehend durchaus mehr.
So sehr das Internet auch ein Segen für die Verbreitung und Betrachtung von Kunst ist, so sehr können sich die Leute heute daran sattsehen, um danach auf ihre nackten Wände zu schauen, ohne sich Kunst „erarbeiten“ zu müssen, gleich in welcher Form: Durch den Gang zur Galerie, ins Museeum, in den Buchhandel oder durch entsprechende Bilder an eigenen Wänden.
Mit diesem letzten Satz möchte ich das Interview gern beenden. Es lässt Raum für eigene Gedanken.
Vielen Dank für den Einblick in Deine Welt. Es hat auch bei mir einiges umgeworfen und ich konnte einige meiner Vorurteile, dank Deiner Ansichten, etwas geraderücken.
Wer nun mehr von Anja Millen sehen möchte, der schaut bei Facebook vorbei. Dort gibt es immer die neuesten Bilder zu bewundern.