Schuss ins Graue
Bauhaus oder Baustofflager? Für mich eine einfache Entscheidung. Statt Postkartenmotiven suche ich lieber das Abseitige. Denn Häfen, Gewerbe- und Industriegebiete sind fotogener, als man zunächst glauben mag.
Seit Jahren fahre ich mit der S-Bahn zur Arbeit. Immer dieselbe Strecke, vorbei an den endlosen Hafenanlagen links und rechts des Rheins. Meine routinierten Mitpendler lässt das Industriepanorama kalt. Ich hingegen drücke mir die Nase an der Scheibe platt, wenn ISO-Container und Schüttgutsilos in der Abendsonne leuchten.
Irgendwann habe ich mir Kamera und Stativ gegriffen und bin hier mal ausgestiegen. Besser gesagt: „gelandet“. Denn das riesige Areal wirkt wie ein fremder Planet.
Was hier errichtet wurde, unterliegt ausschließlich funktionalistischen Ansprüchen. Nichts davon ist gemacht, um zu gefallen. Keine Erker, keine Bäume, keine Türmchen und keine Glasfassaden. Stattdessen stählerne Exoskelette, Betonmonolithen, Dreck, Rauch und Dampf.
Auf manche Menschen wirkt das abstoßend, die meisten nehmen es gar nicht wahr. Ich finde es großartig. Denn hier, wo alles auf Zweckmäßigkeit getrimmt ist, wimmelt es geradezu vor spannenden Motiven. Mal sind es abstrakte Strukturen, mal sind es die reduzierten Formen und Farben der Industriearchitektur.
Und zwischendurch entdeckt man immer wieder überraschende Stillleben. So wie den Tanklastwagen, der vor den drei Tannen wie drapiert wirkt – ein fotografischer Glücksfall, dem lediglich ein bisschen Sonnenlicht fehlte.
Beim Fotografieren konzentriere ich mich gern auf das Wesentliche. Ich wähle meine Bildausschnitte so, dass das Motiv möglichst isoliert steht. Details werden aus ihrem landschaftlichen Kontext gerissen und zum – Achtung, großes Wort – „Kunstwerk“ erhoben. Dazu gehört natürlich auch das entsprechende Licht.
Ich fotografiere vorzugsweise in den Morgen- oder Abendstunden, an sonnigen, leicht bewölkten Tagen. Das tief einfallende Licht macht Details noch plastischer, hebt Strukturen hervor und wirft oftmals bemerkenswerte Schatten. Vermeintlich unspektakuläre Objekte werden so zu spannenden Motiven.
Anschließend verbringe ich nochmals diverse Abende vor dem PC, um die fotografische Ausbeute zu selektieren und nachzubearbeiten. Dabei gilt das gleiche Prinzip, wie schon beim Fotografieren: Inszenieren statt dokumentieren.
Natürliche Farben interessieren mich nicht. Stattdessen drehe ich schwungvoll an den Reglern für Tonwert, Weißabgleich und Gradiationskurven. Je artifizieller, desto besser.
All das tue ich aus Spaß an der Fotografie. Ohne professionellen Anspruch, ohne professionelle Kamera, aber immer mit einem klaren Ziel: Ich möchte den Blick auf die Dinge lenken, die normalerweise übersehen werden. Und mit jedem Foto zeigen, dass es sich lohnt, genauer hinzusehen – sogar im Baustofflager.