Im Gespräch mit Kim Thue
Kim Thue arbeitet als Fotograf in London und hat anfang des Jahres sein erstes Buch herausgebracht. Im Interview verrät er etwas über die Entstehung des Buches und seine Reise nach Sierra Leone, wo er für den Bildband 10 Monate gelebt hat.
Hallo Kim. Vielen Dank, dass Du Dir für das Interview Zeit nimmst. Auf Deiner Homepage erfährt man nur wenig über Dich, kannst Du kurz etwas über Dich erzählen?
Ich bin ein 31-jähriger, dänischer Fotograf, der seit 1998 in England lebt. Ich habe mein Studium 2006 beendet, aber mein Diplom tatsächlich nie erhalten, da ich der Universität noch Geld schulde. Ich habe ein Faible für Sludge Metal, Lakritz-Toffees und bunte Turnschuhe. In meiner Freizeit laufe ich viel.
Dein erstes Buch „Dead Traffic“, das Bilder aus Sierra Leone zeigt, wurde Anfang des Jahres von dienacht Publishing veröffentlicht. Warum hast du dich für diesen neuen, unabhängigen Herausgeber entschieden?
Auf dem Weg dorthin hatte ich auch Gespräche mit einem renomierten und sehr viel etablierteren Verlagshaus in London. Zu dieser Zeit dachte ich, dass es die offensichtlich beste Wahl wäre, aber es wurde bald deutlich, dass ich damit total falsch lag. Zunächst hatten sie auch großes Interesse an meinem Projekt bekundet, aber aus irgendeinem Grund gaben sie mir immer weiter das Gefühl, dass ich sie bedrängen würde und zu einem gewissen Maß auch eine hochnäsige Haltung mit wechselnd warmer und kalter Behandlung mir gegenüber.
Es fühlte sich fast so an als würden sie sicherstellen wollen, dass mir klar war, was für einen großen Gefallen sie mir da taten, da sie ein großes Verlagshaus waren und ich nur ein weitgehend unbekannter Fotograf. Ich erinnere mich auch daran, dass sie für meinen Geschmack zu stark den Inhalt zuschneiden wollten und besorgt waren über die Zielgruppen; befürchteten, es würde nicht genug verkauft werden. Wir waren nie auf der gleichen Wellenlänge und ich beschloss, weiter zu ziehen.
Ein paar Wochen später kontaktierte mich Calin Kruse von dienacht und schlug vor, mein Buch zu veröffentlichen. Er hatte zuvor schon eine Auswahl einer früheren Version in seinem Magazin veröffentlicht, sodass ich wusste, dass er das Projekt mochte. Ich habe sofort eingewilligt und es nie bereut. Es war eine absolute Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er hat eine wahrhaft unendliche Liebe für Bücher und lässt viel Arbeit in auch die kleinsten Details fließen.
Wie hast Du Dein Projekt finanziert?
Geld ist natürlich immer ein Thema, wenn man so etwas plant, aber wir waren nie wirklich besorgt, ob das Buch finanziell erfolgreich sein würde oder nicht. Ich arbeitete während des gesammten Prozesses auch in meinem Hauptberuf, um Essen auf den Tisch zu bekommen.
Wir hatten auch keine Sponsoren oder Ähnliches, aber wir schafften es, einen großen Teil der Produktionskosten zu decken, indem wir signierte Exemplare im Vorverkauf anboten, bevor es überhaupt gedruckt wurde. Die wirklich gute Nachricht ist, dass ich jetzt, wenige Monate, nachdem es offiziell veröffentlicht wurde, nicht so finanziell ruiniert dastehe, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Ein weiterer Weg, um aus einem Buch Geld zu machen, ist natürlich die Möglichkeit des Vertriebs von Drucken. Also biete ich seit Kurzem Original-Editionen der Abzüge von bestimmten Bildern an, um etwas mehr Einkommen zu generieren.
Allgemein kann ich sagen, dass obwohl ich nicht denke, dass Fotobücher zu machen ein gerissener Businessplan ist, für mich trotzdem das riesige Gefühl von Erfolg dabei ist. Für mich ist es nicht sehr befriedigend, mir im Internet Fotos anzusehen und im digitalen Zeitalter ist es großartig, endlich etwas Greifbares zu haben, das in der realen Welt existiert. Etwas, das die Menschen tatsächlich fühlen, anfassen und riechen können.
Wie wurde Dein Buch denn von den Menschen aufgenommen?
Ehrlich gesagt, war die Reaktion überwältigend und der Vertrieb läuft viel besser, als ich zu hoffen gewagt hatte. Was ich trotzdem am meisten genieße, sind aber die ganzen E-Mails und Nachrichten, die ich von Menschen auf der ganzen Welt bekomme und die mir sagen, dass sie mein Buch mögen. Dies verspricht Gutes für die Zukunft und gibt mir viel Selbstvertrauen darin, mehr Bücher zu produzieren.
Du hast für deine Bilder fast ein Jahr in Freetown gelebt. Wie hast du dich in dieser Zeit dort gefühlt?
Ja, die Reise sollte man nicht unterschätzen und das alte Klischee eines Marathons, nicht eines Sprints, ist eines, das ich mit offenen Armen begrüße. Trotzdem fühlt sich Fotografieren für mich meist wie eine einsame Jagd an und ich würde lügen, wenn ich sagte, dass meine zehn Monate in Freetown mich nicht zuweilen auf eine harte Probe gestellt hätten. Ich wurde dort ernsthaft krank, verlor viel Gewicht und kämpfte oft mit dem unvermeindlichen Gefühl, ein ständiger Außenseiter zu sein.
Der Großteil meiner Zeit dort war aber auch sehr befreiend, da ich froh war, in einer Welt zu leben, in der es keinen Druck im Bezug auf meine Arbeit, die Erwartungen anderer oder Abgabetermine gab. Ich kämpfte einfach so gut es ging, behielt mein Bewusstsein im Hier und Jetzt und versuchte, so tief in mein Thema zu dringen, wie es nur ging.
Haben sich Deine Bilder im Laufe der Zeit in Sierra Leone verändert?
Ich bin mir nicht sicher, denn die Themen, die ich suche, bleiben in der Regel dieselben. Außerdem wurde alles mit analoger Ausrüstung aufgenommen, weshalb es schwierig für mich war, genau zu wissen, wohin ich wollte. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass meine Bilder interessanter wurden, nachdem ich den Punkt erreicht hatte, an dem ich realisierte, dass ich keine Geschichte erzählen würde.
Ich begann, meinem Bauchgefühl zu vertrauen und hörte auf, mich mit Geschichten zu beschäftigen. Es hat lange gedauert, aber schließlich gelang es mir, meinen eigenen Rhythmus zu finden und gab mich all den aufgebrochenen Bildsequenzen in meinem Kopf hin, die ich noch nicht richtig sehen konnte.
Deine Bilder zeigen oft Portraits von Menschen, die viel erlebt haben. Viele tragen sichtbare Narben und sehen ernst in die Kamera. Wie bist Du in Kontakt mit den Menschen gekommen?
Diese Frage wurde mir schon ziemlich oft gestellt, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich die Antwort kenne. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich nie der Typ Fotograf war, der einfach irgendwo aufschlagen und die Filmrollen direkt eine nach der anderen durchschießen kann.
Ich denke, dass ich für eine Art der Dokumentarfotografie einstehe, in der es für mich wichtig ist, zumindest zu versuchen, zuerst eine Art Verbindung aufzubauen. Den Großteil meiner Zeit in Freetown verbrachte ich mit meiner Kamera fest in ihrer Tasche, nichts weiter tuend als rumhängen, ein bisschen Gras rauchen und mit Leuten sprechen. Das waren Elemente ihrer täglichen Routine und ich war nicht dort, um das zu ändern, sondern um daran beteiligt zu sein.
Außerdem reise ich auch nicht, um „Berichte“ zu machen. Ich reise, weil ich einen unerklärbaren Drang habe, Fremde kennenzulernen. Ich denke, dass ich mit einigen Menschen im Buch eine Art gemeinsame Basis aufbauen konnte, unserer offensichtlich kulturellen und wirtschafltichen Unterschiede zum Trotz. Ich fühlte, dass ich eine ganz einfache, grundlegende Form der menschenlichen Akzeptanz erreicht hatte.
Wie haben sie auf Deine Kamera reagiert?
Nunja, im Allgemeinen habe ich herausgefunden, dass die Menschen in Freetown sehr viel mehr im Hier und Jetzt leben als ich es normalerweise tue. Es gab keine Paranoia, die mit der Fotografie verbunden wird und niemand war besorgt, dass es ein unvorteilhaftes Foto mit seinem Tag auf Facebook geben würde. Stattdessen schienen sie den Vorgang des Bildermachens beinahe zu zelebrieren, was ich als wirklich erfrischend und als Privileg empfand, dort als Fotograf anwesend zu sein.
Bist Du auch mal in Schwierigkeiten geraten?
Ein paar Mal musste ich ziemlich schnell weg, wenn ich mich selbst in Situationen wiedergefunden habe, in denen ich nicht willkommen war und ein bisschen Geld wurde mir gestohlen, aber nichts wirklich Ernstes.
Das Frustrierendste war es für mich, als meine Anwesenheit als einziger weißer Typ begann, meinem Assistenten, einem Straßenjungen aus der Gegend, Probleme zu bereiten. Die Polizei hatte uns in der Stadt zusammen herumlaufen gesehen und fing an, ihn ohne einen Grund festzunehmen.
Sie wussten, dass er für mich und mein Projekt wichtig war, dass ich etwas Geld hatte und es nur eine Frage der Zeit war, bis ich auf der Polizeistation auftauchen und ihn freikaufen würde. Ich musste das also vier oder fünf Mal machen, es wurde ein wirklich dummes Spiel, wobei der Preis für die Freilassung natürlich mit jedem Mal größer wurde. Also, keine wirklichen Schwierigkeiten – nur ein paar wirklich korrupe Polizisten!
Im Buch gibt es Bilder, die man von einem Land erwarten würde, das vom Bürgerkrieg gezeichnet ist und der Großteil ist auch sehr dunkel gehalten. Warum hast du dich dazu entschieden, die Bilder so einseitig zu halten?
Ich denke nicht unbedingt, dass die Bilder einseitig sind, aber ich stimme zu, dass es da vielleicht eine gewisste Stimmung oder ein Gefühl gibt, das das ganze Ding zusammenhält. Es ist schwer zu erklären, warum man von bestimmten Dingen angezogen wird und ich denke, dass gerade diese Bilder genauso viel über meine eigene Psyche verraten wie über die Menschen, die ich portraitiert habe oder die Realität dieses Ortes.
Nun, da Dein Buch draußen ist, was kommt als Nächstes für Dich? Ich habe gesehen, dass du Mitglied bei der italienischen Fotojournalismus-Agentur Prospekt geworden bist. Gibt es ein paar Projekte in der Zukunft, über die Du schon ein bisschen was verraten kannst?
Ja, Prospekt ist eine großartige Plattform, um meine Arbeiten auszustellen, aber eigentlich versuche ich recht verzweifelt, dieses „Fotojournalist“-Etikett loszuwerden, dass ich mir scheinbar irgendwann erworben habe. Im Moment arbeite ich an einem anderen, ziemlich abstrakten Buchvorschlag, der hauptsächlich in London fotografiert wird.
Es ist ein Projekt, das ich anfing, bevor ich nach Afrika ging und es ist auf eine Art sehr herausfordernd, aber ich bin entschlossen, es fertigzustellen. Ich habe noch keinen Verleger dafür und in diesem Stadium kann ich noch nicht viel darüber sagen, außer dass ich mir vorstelle, dass es so eine Art Hommage an die Gemütsart eines verstorbenen Freundes von mir ist. Es ist noch viel Arbeit, aber ich kann eine kleine Vorschau geben, für die die interessiert sind.
Vielen Dank für das Interview, Kim.
Gern geschehen, es war mir ein Vergnügen. Ich danke Dir.
~
Wer Interesse an Kims Buch hat, kann es im dienacht-Shop erwerben.
„DEAD TRAFFIC“ von Kim Thue
Hardcover, Leineneinband
Offset-Druck, 18 x 24 cm
96 Seiten + 12 Seiten mit einem ausführlichen Interview auf Englisch
Auflage: 1000 (nummeriert)
Preis: 24,90 Euro