21. Juni 2012 Lesezeit: ~3 Minuten

Inessa träumt

Die Bilder von Inessa Dolinskaia sind wie ein Zerrbild der Wirklichkeit. Verschleiert und überlagert sind die Schwarzweißwelten, in die sie uns mitnimmt. Träumerisch und melancholisch ist die Stimmung, die sie hinterlassen wollen.

Geboren wurde Inessa Dolinskaja in Saratov in Russland und studierte an der Neuen Schule für Fotografie in Berlin. Seit 2006 lebt und arbeitet sie als freie Fotografin ebenda, in Berlin.

Ihre Serien heißen „Wunderland“, „Geflüster“ oder einfach „Florenz“. Sie ist eine Poetin und setzt Gefühle und Stimmungen in Bilder um.

In ihrer Diplomarbeit „Wunderland“ lässt sie uns auf Berlin blicken, aber es könnte auch irgendeine andere Großstadt sein, in der die Menschen wohnen, arbeiten, trauern und lieben oder stumm die Welt betrachten. Ihre Bilder bleiben dabei zwischenweltlich, sie zeigen keine raue Realität, wollen nur den Augenblick dokumentieren, der immer schon verschwunden ist, wenn unser Blick ihn festhalten will.

Wunderland #1, 2009 © Inessa Dolinskaia, Galerie Hilaneh von Kories

Zwischen Wachsein und Schlaf taumelt eine Wirklichkeit, die sich erst noch behaupten muss. Ihre Bilder flackern, erinnern mich an die Bilder unseres alten Fernsehers aus den 1960er Jahren, bei dem man noch das Bild mit einem Drehknopf einstellen musste.

Plötzlich sehen wir eine schemenhafte Gestalt mit erhobenen Armen, als würde sie sich gleich emporheben. Und sie nimmt uns mit an Orte, die wir doch eigentlich nicht sehen können, weil wir noch schlafen.

Inessa Dolinskaia selbst schreibt:

… ich ziehe mich an, mache das Fenster auf. Wichtig ist es dabei, keinen zu wecken, sonst werden Fragen gestellt, auf die man keine Antwort hat. Waren Sie schon um 5 Uhr morgens in Berlin spazieren? Es ist wunderschön. Und da ich nicht laufen mag, fliege ich. Ich liebe Berlin morgens, wo noch alle schlafen und die wenigen, die von der oder zur Arbeit eilen, schauen nicht nach oben, also bewege ich mich die meiste Zeit in stolzer Einsamkeit, abgesehen von ein paar verschlafenen Vögeln.

Wunderland #13, 2011 © Inessa Dolinskaia, Galerie Hilaneh von Kories

Wir fliegen mit ihr, über die Dächer, Bäume und schauen in und aus Fenstern hinaus. Wir kennen diesen Zustand kurz vor dem Aufwachen, wenn noch Traumgespinste an uns hängen und unser Geist langsam in die sonnendurchflutete Wirklichkeit hineingleitet.

Ich sehe Hinterhäuser mit verstaubten Fenstern, die eine andere Wirklichkeit widerspiegeln. Dächer mit unzähligen Antennen, die tagsüber außerirdische Schatten werfen, aber in dieser Morgenstunde wie aus einem Märchenbuch entsprungen wirken. Ich mag große Kreuzungen mit noch blinzelnden einäugigen Ampeln, wo die einzigen Fußgänger Tauben und Spatzen sind. Die Bäume fühlen sich im Morgengrauen auch noch unbeobachtet und flüstern miteinander. Ein Spielplatz. Umgewühlter Sandkasten, man kann noch die Stimmung vom vorigen Tage fühlen. Die aufgemalte Sonne auf dem Asphalt lächelt mich an. Ich setze mich auf eine Bank und mache die Augen zu. Es klingelt.

Wunderland #2, 2009, © Inessa Dolinskaia, Galerie Hilaneh von Kories

Durch Unschärfen und Überlagerungen schafft sie einen surrealen Raum, in dem nichts wirklich greifbar oder echt ist, sondern nur ein flackerndes Bild, das beim nächsten Augenaufschlag verschwunden ist.

~

Ihre Serie „Страна чудес – Wunderland“ zeigt nun die Galerie Hilaneh von Kories vom 8. Juni bis 27. Juli 30. August 2012 (verlängert!) in Hamburg. Die Ausstellung gehört zur Reihe „Next Generation“, in der jungen Künstlern seit 2010 ein Forum geboten wird.

17 Kommentare

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  1. Wenn ich mir den Artikel von gestern anschaue stelle ich fest …. Kwerfeldein bietet schon ein kontrastreiches Programm :). Nichts könnte gegensätzlicher sein, meine ich.

    Ich mag diese Art von Fotos wie Inessa sie macht, oder besser gesagt, wie sie die Welt sieht. Ein bisschen träumerisch und ein bisschen düster, wie wie ich finde.
    Übrings kann man auf der o.g. Homepage der Galerie noch viel mehr Fotos aus der Serien sehen. Die Serie habe ich dort mit Freude gesehen.

  2. Hi

    Diesmal war die Photoscala etwas schneller ;-)

    http://www.photoscala.de/Artikel/Wunderland

    Zwei Kommentare von dort passen aber immer wieder:

    (Gast): Wieso werden einem immer mal wieder unscharfe Bildchen als Kunst präsentiert? Kunst kommt von können und nicht von wollen, denn sonst hieße sie ja Wunst.

    (JJ) Vielleicht, weil mehr und mehr satt sind vom Pixelpeeping in unsäglichen Kindergartenforen und Communities? HDRs/DRIs, dass einem von den Bonbonfarben die Augen tränen oder alternativ technisch perfekte, farbsaumfreie, knallscharfe aber todlaaaaaaaaaaangweilige Bildchen…

    Ralf (JJ ;-)

    PS.: So wie Inessa zu fotografieren, das muss man erst mal draufhaben. Es geht je nicht drum mit der Kamera ein bisschen rumzuwackeln, falsch zu belichten und die Entfernung falsch einzustellen…

    • Kunst sagt nichts über den Künstler, sondern alles über den Betrachter. Und wenn jemand mit diesem Kunst/Wunst-Wortspiel aus Heinz Erhardt Zeiten daherkommt, dann entsteht schon ein Eindrück über die Kreativität und Auffassungsgabe eines solchen Rezipienten.

  3. „Wunderland“ hattet ihr schon mal gefeatured, weis allerdings nicht mehr ob das „nur“ in der browserfruits war. Jedenfalls bin ich da über euch schon vor längerer Zeit drauf gestossen und war damals schon sehr angetan.
    Nachwievor sehr tolle Arbeiten von Inessa. Schön zu sehen das sie in Hamburg ausstellt.

  4. Ob nun scharf oder unscharf, ob besondere Aufnahmetechnik oder einfach nur Unvermögen… Wer entscheidet, was Kunst ist? Wenn es Kunst ist, bin ich einmal mehr Kunstbanause. Wenn nicht – ich kann trotzdem nichts mit den Bildern anfangen. Da reicht wohl einfach die Phantasie nicht aus… ;-)

  5. Ob Kunst oder nicht, ein kurzer Artikel mit Hinweis auf eine interessante Arbeit. Auch, weil ich erkenne, dass die gezeigten Arbeiten nicht das sind, was ich mit Fotografie verbinde. Auf der Heimseite von Inessa Dolinskaja befinden sich aber durchaus auch Fotos, die mich ansprechen und berühren, von daher hat der Blick gelohnt.

  6. Mir gefallen die Bilder ausgesprochen gut!!!
    Besonders das letzte mit den Häusern finde ich toll.

    Nur bei solchen und den aus dem letzten Artikel, wo auch schöne dabei waren, ist es glaube ich bei extremen Stilrichtungen immer ein Problem, dass man sich nach 5000 solcher Bilder irgend wann an ihnen satt gesehen hat. Das ist bei vielen Dingen des täglichen Lebens so, es will auch niemand sich nur von Rumpsteaks ernähren aber hin und wieder eins kommt gut.

    Gruß
    Oli

  7. Ich war selten so ratlos wie hier, das geht ganz weit über meinen Horizont hinaus, selbst unter grösster Anstregung gelingt es mir nicht, auch nur irgendetwas mitzunehmen oder zu verstehen, was ich hier sehe….