30. Dezember 2011 Lesezeit: ~3 Minuten

Bildvorstellung: nass sein

Zum Fotografieren bleibt mir seitdem ich studiere leider fast keine Zeit mehr. Jede freie Minute muss also genutzt werden – wenn das Wetter mitspielt.

Es ist einer dieser seltenen Sonntagmittage: Der Akku geladen, das Stativ steht, meine Kamera verlangt nach mir. Dass meine Schwester mir nachruft, dass es nach Regen aussieht, höre ich nur mit einem Ohr. Außerdem strahlt der Himmel in wunderschön konstantem Einheitsgrau. Nein, es wird nicht regnen.

Fünfzehn Fahrradminuten später – gerade habe ich das Stativ aufgebaut – fallen die ersten dicken Tropfen. Das ist dann der Moment, in dem ich mich entscheiden kann, ob ich im Regen nach Hause radle oder einfach so tue als gäbe es den Regen gar nicht. Ich überlege nicht lange.

Also volle Konzentration auf das Bild.

Die Geschichten meiner Bilder sollen nie Exaktes abbilden. Viel mehr soll das Bild den Betrachter anregen, seine eigene Geschichte zu erfinden. Mir war es wichtig, eine ‚sprechende Stille’ zu erzeugen. Durch die Blickrichtung und die Handhaltung, den blickführenden Weg und den aufgefächerten Rock.

Es soll nicht surreal sein, aber trotzdem ein wenig verwundern. Dazu fand ich es genügend, das Mädchen in der Mitte eines Weges sitzen zu lassen und ihre Arm- und Handhaltung ungewöhnlich zu gestalten.

Doch jeder soll sich selbst überlegen, ob sie eine Tänzerin ist, die an der frischen Luft geübt hat und sich gerade ausruht oder ob sie nur ein Mädchen ist, das gerade spazieren ging, der Platz sie zum verweilen einlud und der Regen ihr nichts ausmachte. Deshalb hat das Mädchen auch kein Gesicht, sondern nur einen Rücken. Ohne Gesicht gibt es mehr Eigene-Geschichte-Spielraum.

Um nicht komplett im Nassen zu sitzen habe ich mir dann einen gemütlichen Haufen aus etwas trockenerem Laub gebaut, auch um darauf fokussieren zu können.

Nur noch das umliegende Laub entfernen, die Kamera platzieren, den Selbstauslöser einschalten und dann zehn Sekunden ab jetzt: Gezielt auf den Laubhaufen setzen, den Rock zurecht legen, Kopf drehen, Handhaltu…- ‚klack’. Das erste Bild sieht dann noch so aus:

Die Perspektive gefällt mir, aber die Person ist noch zu klein und außerdem nicht perfekt scharf, vom Timing ganz zu schweigen.

Aber schon zwei ‚Klacks’ später bin ich zufrieden.

Zuhause habe ich dann die störenden Schilder wegretuschiert (Ausbessern-Werkzeug), den Weg betont (Abwedler-Werkzeug) und ein paar Kontrast- und Farbeinstellungen später (grün und rot betonen) ist das Bild fertig.

Ich bin froh, dass ich mich nicht in die Flucht habe schlagen lassen. Der Regen tut meinem Bild gut. Die Ruhe der Pose scheint durch die fallenden Tropfen fast greifbar. Durch die Handhaltung scheint es fast, als würde sie den Regen genießen. Das Nasswerden hat sich also gelohnt, aber jetzt habe ich mir erst mal eine heiße Dusche verdient.

Fast mehr als der Regen irritiert es mich übrigens, wenn ich gerade vor der Kamera im Nassen auf der Straße sitze oder eingerollt im nassen Gras liege und auf einmal kommt ein Spaziergänger mit Hund oder eine Joggerin vorbei. Beide peinlich berührt, auf der Suche nach der angebrachten Reaktion.

Ich lächle in mich hinein und denke gleichzeitig mit ihnen: Wer macht denn sowas?

20 Kommentare

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  1. Gerne würde ich auch so auf den Regen pfeifen, aber besonders jetzt, zu dieser Jahreszeit wo noch Kälte und Wind dazu kommt, werde ich sehr schnell krank :/ Und es ist ja nicht einmal mit einem Foto in der Nässe getan, dann muss man ja auch irgendwie nach Hause kommen und das ist wieder entsprechend weit.

    Das Ergebnis finde ich aber sehr gut! Dass du alles Laub aus dem Weg geräumt hast, beeindruckt mich irgendwie. Meistens nehme ich alles wie es kommt, die Idee, so etwas zu tun ist mir bisher noch nicht gekommen.

    Der Point.

  2. Wie Du über Deine Herangehensweise schreibst, gefällt mir sehr. Die existentielle Seite der Fotografie wird so sehr sichtbar. Ich meine damit, dass Du Deine Bilder aus einem starken inneren Drang heraus erschaffst.
    Der letzte Part Deiner Geschichte ist für mich besonders plastisch. Da trifft die Art, wie Bilder manchmal entstehen, auf die Normalität und beeinflusst sich wechselseitig.
    Mich erinnert es an Gefühle, die ich bei ähnlichen Aktionen oft habe. Ich bin ganz in eine Sache vertieft und vergesse alles um mich herum. Plötzlich steht da jemand und schaut entsetzt, irritiert, fassungslos, beschämt. …Ich werde durch diesen Blick zurück geholt in die Normalität. Gleichzeitig belustigt mich das Aueinanderprallen dieser Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.
    Da wo das Ringen um Anpassung oberstes Gebot ist, hat Individualität nur noch wenige Platz und wirkt vielleicht im ersten Moment auch bedrohlich.
    Lieben Gruß Lis

  3. sehr schöner artikel! wegen deiner kurzbeschreibung habe ich mir den artikel durchgelesen, da ich auch architektur studiere.
    gefällt mir gut. vor allem der letzte abschnitt macht den artikel umglaublich sympathisch.
    auch die restlichen bilder auf flickr gefallen mir.
    könnte sein, dass ich die demnächst mal aufm blog vorstelle ;)

  4. „Wer macht denn sowas?“ Leider viel zu wenige!
    Die Bilder zaubern eine wunderbare Atmosphäre, die durch die textlichen Erläuterungen noch unterstrichen wird!
    Schade, dass Persönlichkeiten, die „sowas machen“, nur selten für Fotos von Dritten zu gewinnen sind! Vielen Dank für den Einblick in dein Schaffen! Das letzte Bild mag ich besonders gern!
    Alles Gute für 2012 wünscht
    Frank

    http://www.fotocommunity.de/pc/pc/mypics/1648992

  5. Ein wunderbarer Gastartikel!
    Ich schaue mir schon seit längerer Zeit regelmässig Lauras Arbeiten an, und ich bin von allen stark begeistert!

    Die Heransgehnsweise und diese emotionalen Aufnahmen sind einfach wunderbar. Gerade weil du es schafst diese Leidenschaft total gut in den Bildern zu zeigen. Bin sehr gespannt was du nächstes Jahr noch so machst! :)

  6. Hey Laura, schön wieder was von dir zu lesen…ich mag deine Fotos einfach. Viele Sachen erinnern mich an meine herangehensweise, ich hoffe einfach mal das wir trotz deines Studiums noch viele schöne Fotos von dir sehen werden…wer macht denn sowas…super^^

    LG Normen

  7. Es ist schön zu sehen wie viele Leute sich an dieser Aufnahme erfreuen, ich persönlich kann dem Bild leider nicht viel abgewinnen. Weder fotografisch noch gefühlsmäßig.

  8. Immer wieder lustig sich in die Situation Außenstehender hineinzudenken. Wenn man schon ein wenig Fotografie praktiziert hat versteht man natürlich schon was der/diejenige da drüben für „komische Sachen“ treibt.
    Ich bin mir aber relativ sicher, dass wir wiederum als Außenstehende bei anderen Kunstarten (die wir nicht näher kennen) uns genauso verhalten würden, eben mit einem großen Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. :)