Im Gespräch mit Hannes Caspar
Ich sitze bereits vor dem ausgemachten Treffpunkt, einem kleinen Lokal in Berlin-Mitte und warte auf Hannes Caspar. Einigen vielleicht schon vom Projekt Facity bekannt, dessen Mitbegründer er ist.
Wartend lese noch in meinem Buch „Just Kids“ von Patty Smith, um die Anspannung ein bisschen loszuwerden, als ich merke, wie jemand Hochgewachsenes an mir vorbeiläuft und gerade das Cafe betreten möchte. Ich rufe seinen Namen und er dreht sich um. Wunderbar.
Wir suchen uns einen gemütlichen Platz ganz hinten im Cafe, bestellen frischen Pfefferminztee und unterhalten uns erst einmal über Dinge, die wir in diesem Moment um uns herum wahrnehmen. Ich packe das Aufnahmegerät aus und drücke auf das Mikrosymbol. Wir machen einen Aufnahme-Test und er liest mir folgendes aus „Just Kids“ vor:
„[…] Am Ende wird man die Wahrheit in seinem Werk finden, der eigentlichen Verkörperung des Künstlers. Sein Werk wird nicht vergehen. Es entzieht sich dem menschlichen Urteil. Denn die Kunst besingt Gott und ist letzlich sein.“
Hannes, erzähl uns doch erst einmal ein bisschen was von Dir.
Ich bin 1979 in Berlin geboren und habe schon früh angefangen, visuell zu denken und Dinge zu bewerten, vielleicht so mit 12 bis 13 Jahren kann ich mich bewusst daran erinnern. Anfangs über Filme, mir fielen Details auf, oft grafischer Natur. Mich interessierten auch die Kameraeinstellung, wie etwas aufgenommen wurde und dann auf mich wirkte.
Bevor ich zur Fotografie kam, habe ich viel mit Musik gemacht, Musik war und ist für mich essentieller als Fotografie. Ich habe 15 Jahre lang Klavier gespielt und wäre ich nicht Fotograf geworden, wäre ich jetzt sicher Musiker.
Wann hast Du dann bewusst angefangen, zu fotografieren?
Weihnachten 2005 habe ich meine erste DSLR bekommen, eine Canon 350D. Damit fing es dann langsam an. Ich habe sehr viel damit ausprobiert. Anfangs eher Abstraktes und Grafisches, dann Freunde fotografiert und dokumentiert.
Damals waren diverse Fotoforen sehr wichtig für mich. Ich war unsicher und hatte immer wieder Zweifel. Dort gab es Feedback auf meine Fotos und und das half mir damals sehr. Aber auch heute noch habe ich einen hohen Anspruch an mich, kritisiere mich selbst und zweifle manchmal.
Was kritisierst und zweifelst Du an?
Die Fotografie ist allgegenwärtig. Überall wo wir hinschauen, werden Fotos hochgeladen, ob in sozialen Netzwerken oder Fotoforen. Jeder Klick ein Foto. Ich habe das Gefühl, mit jedem weiteren Foto wird das Foto selbst entwertet. Ich finde die Fotografie verhält sich hier inflationär.
Es gibt kaum noch Neues, es ist ein Wiederkäuen von Bildinhalten. Ich habe den Anspruch an mich, in meinen Arbeiten einen neuen Aspekt aufzuzeigen, mich auch abzugrenzen gegen die Bilderflut. Ich möchte nicht grundsätzlich etwas Neues erschaffen, aber ein Detail, eine Nuance die anders ist, vielleicht sogar provokant sein kann.
Was zeichnet Deine Arbeiten grundsätzlich aus?
Ich ästhetisiere meine Bilder. Das ist mein eigener Anspruch. Ich denke und sehe grafisch, was in der Menschenfotografie erstmal komisch erscheint. Aber es passt. Der Mensch ist für mich nicht austauschbar. Mit ihm und meiner ästhetisierten Sicht auf ihn entsteht das Bild.
Außerdem ist die Reduktion in meinen Bildern allgegenwärtig. Ich versuche, alles aus dem Bild herauszunehmen, was den Mensch verschleiern oder verstecken könnte. Ich möchte ihn so zeigen wie er dort ist. Nicht mit Schminke oder Kostümen vollpacken. Ästhetik und Reduktion sind die beiden Schlüsselwörter.
Was ist wichtig beim Fotografieren von Menschen?
Kommunikation und Austausch, wie auch überall sonst im Leben. Nur so kann ich einem Menschen näher kommen, ihn verstehen. Ich möchte, dass sich der Mensch in meinem Umfeld wohl fühlt, ihm Sicherheit geben, die Unsicherheit nehmen und nur so kann ich ihn dann auch fotografieren.
Das bringt uns zu einem Deiner Projekte, Facity, da hast Du ja mit vielen Menschen zu tun. Kannst Du uns etwas mehr zur Entstehungsgeschichte erzählen?
Die Initialzündung kam durch ein Theaterprojekt. Ich sollte einheitliche Portraits von Schauspielern für ein Theaterstück anfertigen und das natürlich mit einfachen Mitteln und ohne großen Aufwand. Ich überlegte mir also, alle Portraits mit Tageslicht zu machen und die Gesichter frontal zu fotografieren. Übrigens das Erfolgsrezept von Facity, diese Methode ist eine todsichere Sache, da kann eigentlich nichts schiefgehen.
Da ich Haare ebenfalls als zu ablenkend und wertend empfand, fotografierte ich den Mensch so, dass der obere Abschluss des Bildes direkt durch die Mitte der Stirn geht. Ohne Haare ist der Mensch plötzlich einfach nur Mensch. Ob Mann oder Frau, das wird unwichtig.
Um die Serialität aufzuzeigen, ordnete ich die Portraits der Schauspieler alle auf einem Bild an und zeigte diese dann einem Freund, den ich schon ewig kenne und der selbst aus der Medienecke kommt. Er fand das so super, dass er meinte, wir müssten daraus was machen. So kamen wir auf die Idee, Berliner zu fotografieren. Der Anfang von Facity.
Während des Gesprächs über Facity und dem Folgeprojekt CACHU, fiel uns auf, dass es darüber eine Menge zu sagen gibt und der Inhalt der Sache die Länge des Interviews sprengen würde. Den Projekten Facity und CACHU werden wir uns demnächst also noch einmal gesondert widmen.
Neben Facity findet man auf Deiner Seite auch noch andere Projekte. Du machst auch kleine Filme. Ein neuer Weg?
Ja, die kleinen Filme sind ein weiterer Schritt, ein Bild weiter auszubauen. Mit den Filmen habe ich die Möglichkeit, eine größere emotionale Wirkung zu erzielen. Ich habe nicht nur einfach ein Bild, sondern pro Sekunde 24 Bilder. Es sind Geschichten ohne Worte.
Mit welcher Kamera arbeitest Du dabei?
Ich habe sie mit der Canon 5DMark II aufgenommen, die letzten jedoch mit einer Red One.
Als du letztens unseren ersten Interview-Termin absagtest, waren der Grund zwei kleine Filme, auf die Du Dich vorbereiten wolltest. Erzählst Du uns mehr davon?
Genau, ich habe am Wochenende zusammen mit einem Freund zwei kleine Filme gedreht, die mit größerem Aufwand verbunden waren als sonst. Der erste Film hat einen erzählerischen Aspekt, während der zweite eine träumerische Stimmung transportiert. Es gab ein kleines Team, bestehend aus zwölf Leuten.
Eine ungewohnte, aber spannende Erfahrung, die mich für weitere Fimprojekte inspiriert hat. In Zukunft möchte ich allerdings Filme mit Ton, also gesprochenen Dialog machen. Bilder mit Musik allein reichen mir nicht mehr. Deswegen arbeite ich gerade intensiv an einem Drehbuch für einen Spielfilm.
Das ist eine ganz andere Art der Kreativität. Während bei den Fotos ein Augenblick zählt, der Zufall mein Freund ist, kann ich hier nun wirklich eine Geschichte erzählen und bin gefordert, das dann auch so umzusetzen. Das ist auf einmal ein ganz anderer Anspruch.
Klingt so, als hätte Dich die Sache ganz schon gepackt. Es wird also in dieser Richtung weitergehen?
Ja, auf jeden Fall. Es eröffnet einem ganz andere Möglichkeiten und es macht Spaß!
Die Vielgestaltigkeit Deiner Projekte und Arbeiten finde ich aufregend und inspirierend und kann die KWERFELDEIN-Leser nur dazu aufrufen, sich mit Deinen Arbeiten auseinander zu setzen, sofern sie diese nicht schon längst kennen. Ich bin außerdem gespannt auf die zukünftigen Filme, die Du drehen wirst.
“ Ich habe das Gefühl, mit jedem weiteren Foto wird das Foto selbst entwertet. Ich finde die Fotografie verhält sich hier inflationär.
Es gibt kaum noch Neues, es ist ein Wiederkäuen von Bildinhalten. Ich habe den Anspruch an mich, in meinen Arbeiten einen neuen Aspekt aufzuzeigen, mich auch abzugrenzen gegen die Bilderflut.“
Ich finde solche Ansichten nicht wirklich glücklich. Natürlich wollen wir „neues“ schaffen, uns von anderen abgrenzen.
Aber, frage ich einen 80 Jährigen, dann sagt der mir: „alles schon mal da gewesen“. Schaue ich selbst auf meine Schulzeit zurück und sehe, was die Jugendlichen -z.B. bei der Schülerzeitung- so umtreibt, dann denke ich auch: haben wir doch auch alles genau so oder ähnlich schon durchgekaut.
Ich will damit sagen: natürlich ist es extrem schwer, wirklich „Neues“ zu kreieren. Das sollte aber nicht primäres Ziel sein. Sondern es sollte ‚für einen selbst‘ etwas Neues sein. Man soll sich in seinem Tun wiederfinden. Nur dann wird es zu einer befriedigenden Sache.
Und wenn dann, zufällig, andere auch noch Gefallen daran finden…. um so besser. Vielleicht entdeckt ja auch „die Welt“ da draußen Neues. Toll!
Aber den Anspruch, von vornherein etwas noch nie Dagewesenes machen zu wollen… ich befürchte, das kann sehr frustrierend werden!
Ganz richtig!
Alles wiederholt sich, aber in einer allen wohl bekannten Spirale. Es mag eine zu sehr stilisierte Darstellung zu sein, aber spiegelt die Grundidee sehr gut wieder. Man hat immer wieder die gleichen Konturen, aber jedes Mal mit einem „Kick“, mit einem Schuss vom Neuen. Für diesen Schuss allein lohnt es sich zu kämpfen, dieser Schuss macht keine „Entwertung“ sondern Aufwertung der Fotografie. Und was wirklich etwas Neues zu kreieren/entdecken gelingt nur sehr wenigen. Denn das sind die Grundsteine für die ganze Richtungen, Philosophien und Bewegungen, eigene Spiralen, die dann im Weiteren wiederholt werden. Und wir wissen ja, dass die meisten Entdeckungen per Zufall geschehen, also es wäre uneffizient das als Hauptzweck zu erklären.
Die Bilder finde ich dennoch (warum eigentlich dennoch?) großartig, besonders das erste Bild hat mich in seiner melancholischen Wirkung so sehr fasziniert. Und danke Marit für ein sehr interessantes Interview!
VG
VT
@FINNY: Sehr gut ausgedrückt. Werde mir an dem Gedanken ein Beispiel nehmen.
Mich wunderte beim lesen der nachfolgende Satz: „Ich möchte nicht grundsätzlich etwas Neues erschaffen, aber ein Detail, eine Nuance die anders ist, vielleicht sogar provokant sein kann.“
Das passte für mich nicht zu vorangegangenen Aussage. Alles ist in Nuancen anders.
Hallo André, bei Interviews die von Angesicht zu Angesicht gegeben werden, da kommen solch kleine Widersprüche schon einmal vor. Ich denke, das sollte man nicht auf die Goldwaage legen. Es passiert doch oft, das man zuvor einen Gedanken rauslässt und ihn nachfolgend noch einmal spezifiziert.
http://tagohneschatten.blogspot.com/2011/12/hannes-caspar.html
Schöne Lektüre zum morgendlichen Kaffee!
Danke für das schöne Interview.
Ich sehe das genauso wie Finny. Ich kann dieser Ansicht, immer etwas Neues machen zu müssen schon lange nichts mehr abgewinnen. Für sich den Anspruch zu erheben, etwas Anderes/Neues zu schaffen, sich abzugrenzen gegen die Bilderflut, heisst nichts weiter, als sich selbst zu beschränken und sich nach dem zu richten, was andere tun.
Ein Gepräch mit einem Fotokollegen vor ein paar Tagen:
„Andreas, was Du da Dir da als Dein Genre ausgesucht hast, ist von dem Fotograf XYZ schon sehr gut umgesetzt worden und er ist damit bekannt geworden.
Darauf ich: Aber ich mache es doch ganz anders wie er und ich will abgesehen davon auch keinen Durchbruch damit schaffen, ich mache es, weil es mir Spass macht.
Er: Die Bilder sind aber zu ähnlich, es wird immer wie eine Kopie von XYZ aussehen…
Das war wieder einmal der Punkt, an dem ich anfing, an mir zu zweifeln, mich nur noch als zweitklassig zu sehen. So macht das keinen Spass. Es macht mich noch zorniger weil ich damals, als ich mit „meinem“ Projekt begann, noch gar nichts von XYZ gehört hatte und nun damit aufhören soll, weil XYZ es schon macht!! Sch…drauf. Die einzige logische Konsequenz heisst für mich, sich einfach nicht mehr darum kümmern was Andere machen!
Sollte man nun erwähnen, das Caspar´s Facity-Projekt leider nicht neu ist, sondern schon von XYZ hervorragend umgesetzt wurde (ok. es waren keine Berliner)? Hört Caspar dann damit auf? Versteht Ihr was ich meine? Caspar ist in meinen Augen ein Guter, er transportiert Gefühle in dem, was er macht. Vielleicht würde er noch besser, wenn er seine Ansprüche an sich nicht nach dem ausrichtet, was andere tun oder nicht tun?
Hey Andreas, zu dieser Thematik fällt mir die sehr richtige Rede „Helsinki Bus Station Theory“ von Arno Rafael Minkkinen ein. In diesem Stinne: „Stay on the f*cking bus!“
yeah, ich liebe diese theory…..stay on the fucking bus. damit fährt es sich bestens.
Ein toller Link, danke! Die Metapher von Minkkinen kannte ich noch nicht und sie brachte mich zum permanenten Schmunzeln wärend des Lesens. Die Theorie hat viele Stärken, besonders wenn man sie aus der Perspektive eines Fotografers betrachtet. Doch aus Perspektive eines gewöhnlichen Kunst- un Kulturbanausen (und das sind nun mal ca. 95% der Erdbevölkerung) verzweigen sich die Buslinien heutzutage kaum noch. Die Endhaltestellen sind nur paar Meter von einander entfernt, und diese Entfernung macht für die meisten kein Unterschied mehr aus. Solche Pattsituationen sind eigentlich meistens Vorläufe einer dekadenten Verfallsentwicklung…
Lieber Hannes,
es mag schon zutreffen, dass die Fotografie sich inflationär erscheint oder dies einem zumindest so vorkommt.
Dennoch, die eigenen Bilder sind es sicherlich nicht – und Deine schon gar nicht… ;-)
Viele Grüße
Sascha
huiuiuiui… auf der webseite sind schöne sachen zu sehen… vor allem actors I – III
sehr tiefgängiges interview..gefällt mir.. und ob nun inflationär oder nicht ist mir persönlich egal denn es ist wie das große zitat von
karl valentin „es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“
und demnach könnten wir auch alle still sein, sind wir aber nicht. im grunde verstehe ich was du damit sagen möchtest und bin da auch ganz auf deiner seite. ich hoffe noch viel von dir zu sehen.
hach watt ein inspirierendes interview. nun habe ich einen wunsch an euch kwerfeldein..ein buch mit den besten interviews die ihr geführt habt. das würde ich mir wünschen..danke
Ja, inflationär oder nicht… Damit hast Du bestimmt völlig Recht. Aber gerade das Hochladen von doch sehr vielen Fotos ist ja gerade dass was auch für den Lernprozess des Fotografierenden so hilfreich ist. Die ganzen Feedbacks und Kritiken sind einfach mal wichtig. Ich nutze auch eine Fotoplattform als eine Art Fotozirkel oder Ausstellung wo man nur durch das stetige Tun irgendwann seinen Stil findet. Neulich hatte ich an einem Fotostammtisch meinem Nachbarn erzählt dass ich im Moment alte Bauruinen vordergründiger beim Wickel habe und versuche so gut es geht zu ästhetisieren. Da musste ich ein wenig schmunzeln als er mir sagte dass das schon so viele machen. Stimmt ja auch. Dabei dachte ich mir was ist denn mit den ganzen Porträt-, Landschafts-, Tier- und Sonstwasfotografen? Sich neu zu erfinden ist schwierig wenn überhaupt nötig. Dennoch denke ich dass man mit der Zeit doch seinen Stil findet. Besser noch mehrere Stile zwischen denen man sich bewegen kann um nicht festzufahren. Jeder hat Marotten mit denen er sich ausdrückt. Einer fotografiert kitschiger, ein anderer ernster. Was bei einem mit harten Kanten und Linien ausfällt drückt ein anderer wieder mit Unschärfen aus und und und…
So, genug geschrieben. Jetzt muss ich wieder Bilder machen :)
Es grüßt Reinhard
Man kann das Rad nicht neue erfinden, aber das Design neu gestalten.
Ein Interview, was ja mal fällig war! ;) So wie jeder Mensch verschieden ist, so verschieden werden auch die Bilder sein, die er produziert, wenn er es schafft seinen Charakter in den Fotos zu transportieren. Das nennt man dann wohl „Skill“ und der braucht Zeit! Die Diskussion über diesen einen Satz finde ich wirklich bizarr! Es stecken viele Gedanken in dem Interview, die mich zum Denken anregen, tolles Interview!
Und danke auch für die Helsinki-Bus-Theorie! :)