Menschen in fremden Kulturen fotografieren
Ich hatte gerade die Schule verlassen, in welcher der Genozid von Rwanda keine 15 Jahre vorher unglaubliche Schrecken hinterlassen hatte. Ich war bewegt und in tiefen Gedanken als ich diesen Jungen erreichte, der am Wegesrand stand. Seine Augen hatten sofort meine Aufmerksamkeit und ich wusste sofort, dass ich ihn fotografieren wollte.
Er wirkte selbstsicher und gleichzeitig sehr ernst, sich bewusst, was dieser Ort bedeutete. Vielleicht hat er sogar Teile seiner Familie hier verloren, dachte ich. Ich konnte es nie herausfinden. Er sprach kein Englisch, aber das war nicht wichtig in diesem Moment. Unsere Augen sprachen miteinander. Wir grüßten uns. Es brauchte ein paar Minuten, aber als ich meine Kamera hob, schaute er mich mit tiefem und ehrlichen Blick an.
Ich habe nie seine Geschichte gehört durch die Sprachbarriere, aber er teilte ein Teil von ihr mit mir mit seinen Augen. Kommunikation braucht nicht immer Worte. Über die Jahre habe ich in vielen verschiedenen Kulturen Menschen fotografiert. Als ich mit diesem Artikel anfing, dachte ich nur an zwei Worte, die für mich das Fotografieren von Fremden (eigentlich egal in welchem Kulturraum) ausmachen, besonders, wenn wir nicht ihre Sprache sprechen. Diese Worte sind: Interesse und Respekt.
Aber natürlich ist da mehr als das. Und selbst wenn viele der im Folgenden beschriebenen Erfahrungen von fotografieren anderer Kulturen und teilweise sehr harten, schwierigen Zusammenhängen kommen, kann es denke ich in vielerlei Hinsicht auch auf unseren Kulturraum übertragen werden. Die folgenden elf Tips helfen mir, den Menschen nahe zu kommen. Vieles mag sich sehr grundsätzlich und trivial anhören, aber vielleicht ist es am Ende auch genau das.
Nicht schüchtern sein.
Ich weiß, dass für viele einer der Hauptgründe, mit einem Tele zu fotografieren ist , dass sie Menschen nicht direkt anzusprechen wollen. Und es ist auch nie einfach, wird auch mit der Zeit nicht einfacher, zumindest für mich nicht. Aber es gibt ein paar Tricks, die es manchmal einfacher machen, wenn man nicht in der Stimmung ist, einfach hinzugehen und zu fragen.
Es ist manchmal etwas wie ein Spiel. Ein „auf-beiden-Seiten-Aufmerksamkeit-erregen-Spiel“. Aber normalerweise empfehle ich einfach die Kamera in die Tasche zu packen oder locker umzuhängen und die Person anzusprechen. Am Ende willigen doch meiner Erfahrung nach 90% ein und viele mögen es sogar sehr am Ende.
Seid interessiert.
Ernsthaft, das ist wichtiger als alles andere, denke ich. Vergesst eure Kameras für den Moment. Ich gehe nur sehr selten auf Menschen direkt mit meiner Kamera in der Hand zu. Ich habe einen Grund, warum ich eine Person fotografieren will, da ist etwas, was mich an ihr interessiert. Also packe ich die Kamera erstmal weg, um etwas darüber heraus zu finden, was mich an ihnen interessiert. Und nach etwas Zeit denke ich wieder ans Fotografieren.
Zeigt Respekt.
Ihr betretet privaten Raum, vergesst das niemals. Das Portrait von jemandem zu machen ist etwas sehr Privates und Intimes. Sensibel mit dem Gegenüber umzugehen ist deshalb Pflicht. Besonders, wenn ihr es von Menschen in sehr schwierigen Umständen macht. Es ist ein großes Geschenk, dass sie euch erlauben, in ihr Leben zu treten und einen Teil davon mit euch teilen. Die kleinste Sache, die ihr tun könnt, ist Respekt zu zeigen für ihre Situation und Lebensumstände und alles tun, um zu verstehen – oder mindestens ernsthaft sich darüber Gedanken zu machen.
Seid ehrlich.
Seid klar über eure Gründe. Es gibt nichts, was falscher ist, als eine erfundene Geschichte zu erzählen, warum man ein Foto machen will. Erzählt eure Gründe und warum es wichtig für euch ist. Ich verspreche, dass hilft sehr. Nichts zerstört die Atmosphäre mehr, als nicht zu wissen, was die wahren Gründe des anderen sind. Ihr wollt, dass sie ehrlich sind, wenn ihr das Bild von ihnen macht. Dann seid es auch.
Seid offen.
Umso offener ihr seid in eurer Art, wie ihr auf sie zugeht, umso mehr gebt ihr Menschen die Möglichkeit, zu verstehen wer ihr seid. Umso mehr wird es euch helfen, Vertrauen aufzubauen – manchmal schon nach Sekunden. Und nur wenn sie euch vertrauen werden sie euch wirklich nah heranlassen. Menschen spüren das.
Kommuniziert.
Selbst wenn ihr nicht die gleiche Sprache sprecht: Es gibt tausend andere Wege zu kommunizieren, als Worte. Augenkontakt ist wichtig, Körpersprache und ein Lächeln geht einen weiten Weg.
Teilt.
Der vielleicht einfachste Weg, das Eis zu brechen, ist die Bilder, die man macht, zu teilen. Zeigt die Bilder auf eurem Display. Besonders, wenn ihr nicht die Sprache sprecht. In dem Moment, in dem ihr Fotos mit ihnen teilt, nehmt ihr ihnen nichts mehr weg, aber habt etwas mit ihnen gemeinsam. Und etwas zu teilen ist immer ein guter Anfang für jede Form von Beziehung. Lasst sie auch ein paar Bilder machen.
Meine Kamera ist vor allem ein Mittel mit den Menschen zu kommunizieren, nicht um etwas von ihnen zu nehmen.
Nehmt euch Zeit.
Ich habe oft die Kamera in der Tasche oder locker umhängen, wenn ich auf Menschen zugehe, die ich fotografieren will. Ich versuche mein eigenes und ihr Interesse zu wecken. Und auch, wenn ihr Bilder macht, nehmt euch Zeit, wenn ihr sie habt. Versucht alles, dass sie sich gut fühlen und die Kamera vergessen. Aber es ist gleichzeitig gut zu wissen, wann es genug ist und dafür ein Gefühl zu entwickeln.
Vergesst Stereotype.
Wenn eure einzige Motivation ist, etwas exotisches zu fotografieren, geht weiter, ernsthaft.
Es ist ok, wenn eine der Motivationen für das Bild die Exotik ist, aber wenn es der einzige Grund ist, warum du das Foto von einer Person machen willst, wirst du nie nah ran kommen. Erstens, weil die Person nur ein Bild in deinem Kopf repräsentiert, was du bereits im Kopf hast, aber auch, weil Menschen das spüren. Es hat viel mit dem ersten Punkt zu tun: Sei interessiert. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, wo Menschen sich gut fühlten, wie Kunstobjekte behandelt zu werden (mal von Karneval mit wahnsinnigen Kostümen abgesehen).
Gebt eure Bilder.
Ich habe eigentlich immer einen Polaroid Pogo, einen kleinen Taschenprinter mit Batterie dabei. Es ist meine Möglichkeit, wirklich etwas zurückzugeben. Ich kann direkt vor Ort Bilder ausdrucken. Viele der Menschen, die ich fotografiere, haben weder eine Email-Adresse oder andere Wege, einfach ihnen später Bilder zukommen zu lassen.
Und es gibt nichts besseres als die leuchtenden Augen eines Kindes, was soeben das erste Bild seines Lebens von sich selbst bekommen hat.
Und wenn ich den Drucker nicht dabei habe, versuche ich später wieder zu kommen. Als ich einmal an einer Reportage über Straßenkinder in einem Ort in Rwanda gearbeitet habe, war ich für längere Zeit in der Region. So bin ich nach einigen Tagen mit meinem Laptop zurück und hab ihnen die Ergebnisse gezeigt und ihnen dann die Bilder ausgedruckt, was vermutlich für manche etwas magisches hatte. Und wir hatten eine großartige Zeit zusammen.
Ein Nein ist ein Nein.
Es ist gut, sich das immer wieder in Erinnerung zu rufen, auch wenn es selbstverständlich sein sollte. Ich habe leider oft genug gesehen, wie Leute Bilder heimlich gemacht haben, nachdem sie vorher es verweigert bekommen haben. Das ist wahrscheinlich das Respektloseste, was man machen kann in so einer Situation. Und ich denke, niemand von uns würde gerne so behandelt werden.
Wie ich vorher schon gesagt habe, all das ist ziemlich grundsätzlich und sollte normal sein, aber manches ist leicht zu vergessen. Diese Gedanken, die ich erwähnt habe, helfen mir, wenn ich Menschen fotografiere und ich hoffe, sie sind auch für euch zumindest eine Anregung. Wenn ihr etwas hinzuzufügen habt oder mit Dingen nicht einverstanden seid:
Ich freue mich, wenn ihr es in den Kommentaren schreibt, auch weil ich glaube, dass es wichtig ist, eine offene Diskussion darüber zu führen. Danke fürs Lesen.