23. Mai 2022 Lesezeit: ~8 Minuten

New Topography. Damals, heute und meine Interpretation davon

Ich bin vor einiger Zeit über Instagram auf den Begriff New Topography bzw. New Topographic Movement aufmerksam geworden. Bis dahin war mir das kein Begriff und vermutlich hat es sich auch nie richtig als eigenes Sujet etabliert, da es viele Überschneidungen zur Straßen- und Architekturfotografie gibt.

Jedenfalls hatte ich mich ein wenig darüber schlau gemacht und festgestellt, dass ich – ohne es zu wissen – schon eine ganze Weile in dieser Art fotografiere: Finding beauty in the banal.

New Topography – Damals

Aber was genau ist denn diese New Topography? Dazu gucken wir erst einmal bei Wikipedia vorbei und finden heraus, dass das alles gar nicht so neu ist:

Das New Topographic Movement ist eine zeitgenössische Stilrichtung der Fotografie, die in den USA während der 1970er Jahre entstand. Die Bezeichnung leitet sich ab von der 1975 im George Eastman House in Rochester, New York durchgeführten Ausstellung mit dem Titel „New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape“ („Neue Topografien: Fotografien der vom Menschen veränderten Landschaft“).

Somit kann man – ganz trocken formuliert – New Topography wie folgt beschreiben: Die Darstellung geografischer Örtlichkeiten durch Fotografie. Die geografischen Örtlichkeiten sind in unserem Fall aber nicht Landschaft im eigentlichen Sinne, sondern vom Menschen erschaffene „Landschaft“: Landschaften aus Gebäuden. Urbane Landschaften. So wie in „Betonwüste“ oder „Großstadtdschungel“.

Das offensichtlichste Stilmittel dieses Genres ist die möglichst nüchterne, distanzierte Darstellung von scheinbar banalen Örtlichkeiten. Oftmals kann man eine gewisse Ironie in den Szenen finden.

Die Aufnahmen waren sehr nüchtern und reduziert auf einen rein topografischen Zustand. Sie übermittelten im Wesentlichen visuelle Information, klammerten aber Schönheit vollkommen aus. (William Jenkins)

Das könnte man auch als dokumentarisch bezeichnen. Trifft es aber nicht so richtig, denn Dokumentarfotografie möchte ja unbedingt auch eine Geschichte erzählen und dramatisiert daher oft in den Bildern. Außerdem finden in der Dokumentarfotografie natürlich auch sehr oft Menschen statt. Etwas, das dem New Topographic Movement komplett fehlt.

Es geht nicht um den Menschen, es geht um das, was der Mensch erschaffen hat und hinterlässt. Denn oftmals ist genau das die Ironie, die in den Bildern liegt. Der Mensch, der im 20. Jahrhundert durch Wissenschaft und Technik eigentlich alle Möglichkeiten hat, aber dennoch kläglich scheitert. Dieses Scheitern wird oft in den Randgebieten größerer Städte sehr deutlich.

Industriegebiete, Tankstellen, große Parkplätze vor Shopping Malls. Banalitäten halt. Gleichzeitig soll dieses Scheitern aber auch gar nicht verurteilt werden. Es soll vielmehr akzeptiert werden. Es soll angenommen werden. Es soll darüber geschmunzelt werden. Es kann vor allem als schön angesehen werden. Nicht supergeil. Nicht durchgestylt. Einfach schön. Schön banal. Beauty in the banal.

Interessant ist, dass in der das Genre definierenden Ausstellung fast ausschließlich schwarzweiße Fotografien gezeigt wurden. Es wäre natürlich anmaßend zu behaupten, dass das so ja nicht ganz richtig sein könnte. Schließlich war nun einmal diese Ausstellung namensgebend. Aber erstens waren es nicht nur Schwarzweißfotografien, wie beispielsweise bei Fotos von Stephen Shore zu sehen ist. Zweitens entwickeln sich Genres ja auch weiter. Wer definiert schon Genres? Die Grenzen sind da immer etwas schwimmend. Das ist in der Fotografie nicht anders als etwa in der Musik.

Straße

New Topography – Heute

Für mich ist Farbe elementar wichtig. Damit wären wir jetzt bei der heutigen „New Topography“. Auch wenn für mich Instagram gleichzeitig Fluch und Segen ist, kann man über eine Hashtag-Suche gut erkennen, dass das Thema immer noch Relevanz hat.

Für mich ist aus heutiger Sicht Farbe so wichtig, weil damit auch eine ganz spezielle Ästhetik erreicht werden kann. Das Schwarzweiße ist mir schon wieder viel zu weit weg von der Realität. Fotografie bildet ja nie wirklich die Realität ab, es ist immer eine Interpretation der Realität. Farbe ist aber näher an der Realität als schwarzweiß. Gerade New Topography will einfach nur trocken und nüchtern zeigen, was ist.

Durch die Entstehung in den USA der 1970er Jahre lebt das Ganze natürlich sehr von der amerikanisch geprägten Ästhetik. Da schwingen Roadmovies, White Trash und auch ein Amerika mit, das es wahrscheinlich so nur noch selten zu finden gibt. Alles Dinge, die ich persönlich sehr mag. Ja, ich mag Amerika. Immer noch. Das gute Amerika.

Nicht das Kapitalismus-im-Endstadium-Amerika, das Auswüchse wie den letzten amerikanischen Präsidenten hervorgebracht hat. Das Amerika aus Filmen wie „Three Billboards Outside Ebbing Missouri“, „Little Miss Sunshine“ oder zuletzt „Home“ von Franka Potente (nur als Empfehlung nebenher).

Garagen

New Topography – Meine Interpretation

Damit kommen wir jetzt zu meiner Interpretation des New Topographic Movements. Die gerade beschriebene amerikanische Ästhetik lässt sich genauso gut auf andere Länder übertragen. Das Scheitern der Zivilisation kann man überall beobachten. Bei uns kann man noch ganz wunderbar das „Deutschtum“ auf die Schippe nehmen. Das Wort Zweckbau gibt es mit Sicherheit nur in unserer Sprache und das nicht ohne Grund. Wenn man einmal durch Städte wie etwa Wesseling fährt, kann man sich vor Banalitäten kaum retten. No offense, falls hier jemand aus Wesseling mitliest.

Aber diese ganzen Banalitäten sind eigentlich überall zu finden. Man muss sie nur sehen wollen. Auch wenn man die Beschreibung des Genres so verstehen könnte, dass eigentlich alles ein Foto wert ist und man nur „New Topography“ dranschreiben müsste, wäre das natürlich viel zu einfach gedacht. Gerade durch die banalen Motive ist es umso wichtiger, eine gute Bildkomposition zu finden.

Erst dadurch bekommen die Bilder für mich eine Daseinsberechtigung. Am besten gefallen mir die Bilder, auf denen kein Gegenstand zu sehen ist, den man einer bestimmten Zeit zuordnen kann. Oder zumindest nicht den letzten Jahren. Dadurch bekommen die Bilder etwas Zeitloses. Würde vor den Garagentoren einer dieser nervigen Elektroroller herumstehen, hätte das sicherlich auch eine gewisse Ironie, man würde das Bild aber sofort zeitlich in der Gegenwart einordnen.

Ich gebe zu, ich drehe immer ein bisschen an der Farbkorrektur, so als wären meine Fotos irgendwann in den 70er oder 80er Jahren fotografiert worden. Das wirkt dann vielleicht nicht mehr ganz so zeitlos, passt aber meiner Meinung nach sehr gut zum Thema. So schlage ich optisch wieder die Brücke zu den Anfängen der Bewegung. Außerdem gefällt mir der Look. Aber das ist ja alles Geschmacksache.

Seitdem ich mir dieser Stilrichtung bewusst bin, merke ich ganz deutlich, wie sich mein Sehverhalten komplett verändert hat. Durch die konsequente Ausrichtung auf eben solche banalen Situationen und Örtlichkeiten sehe ich auch automatisch mehr davon. Natürlich fallen mir auch immer noch andere „Fotomöglichkeiten“ bei Spaziergängen auf. Das kennen sicher alle Fotograf*innen. Aber die lass’ ich tatsächlich mittlerweile links liegen, wenn sie nicht zu meinen anderen Fotos passen.

Neulich bin ich zum Beispiel durch Duisburg gefahren. Ich möchte hier wirklich niemandem zu nahe treten, aber man würde Duisburg jetzt nicht unbedingt als pittoreske Stadt bezeichnen. (Jaja, der Hafen, den haben sie wirklich toll gemacht – schnarch.) Im Gegenteil: Duisburg ist wunderbar banal und versucht auch gar nicht erst, irgendwie schön zu sein. Total ungeschminkt. Bis auf den Hafen. Jedenfalls saß ich im Auto und dachte an jeder Ecke: „Hier muss ich aber unbedingt mal in Ruhe hin. Das sieht ja alles total geil aus hier.“

Straße

Das soll jetzt aber auch reichen, was meine Fotos zum Thema angeht. Es würde mich freuen, wenn ich manche auf neue Ideen gebracht habe. Ich empfinde diese Art Fotos gerade heute, da alles so auf Hochglanz, Perfektion und Drama getrimmt ist, als sehr angenehm und sogar beruhigend. Für alle, die sich weiter mit dem Thema beschäftigen möchten, liste ich noch ein paar gute Artikel und Bilder zum Thema auf.

Weiterführende Links

• Sehr gut kuratierter Instagram-Account zum Thema. → ansehen

• Toller Artikel über die Ausstellung 1975. → ansehen

• Im Museum für Photographie, Braunschweig gab es 2015 eine Ausstellung über den transnationalen Einfluss der New Topographics. → ansehen

• Who Killed Romanticism in Photography? Stephen Shore and the Rise of the New Topographics. → ansehen

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