Zenica
Als ich die Bekanntgabe der Nominierten des Deutschen Jugendfotopreis gelesen habe, bin ich bei den Bildern von Lasse Branding lange hängen geblieben. Sie zeigen eine Stadt, die um ein Stahlwerk errichtet wurde. Die Bilder wirken vertraut auf mich – und gleichzeitig doch fremd.
Vielleicht liegt das daran, dass ich selbst in einem großen Plattenbaugebiet in der DDR aufgewachsen bin. Ich wollte das Gefühl besser verstehen und herausfinden, was hinter der Reportage steckt. Deshalb habe ich Lasse um ein Interview gebeten.
Hallo Lasse und herzlichen Glückwunsch zur prämierten Serie beim Deutschen Jugendfotopreis.
Danke.
Welchen Platz Du gemacht hast, weiß Du noch nicht, oder?
Nein, das wird glaube ich erst bei der Preisverleihung am 22. Mai 2022 im MAKK in Köln bekanntgegeben.
Deine Serie ist benannt nach der viertgrößten Stadt in Bosnien und Herzegowina. Zenica ist bekannt für seine großen Plattenbauten und das Stahlwerk. Hast Du einen persönlichen Bezug zur Stadt?
Zu der Stadt selbst nicht. Ich bin nach Bosnien gereist, weil mein Vater dort geboren wurde und ich selbst noch nie vor Ort war. Ich wollte schauen, wo mein Vater herkommt und das Land bereisen. Ich bin von Sarajewo aus in den Norden gefahren und dabei durch Zenica gekommen. Da habe ich das erste Mal die große Stahlfabrik und die Hochhäuser gesehen und war direkt beeindruckt.
Während meiner Reise habe ich „Die Reise nach Alaska“ von Bora Ćosić gelesen. Darin macht der Autor einen Roadtrip durch das frühere Jugoslawien, fährt ebenfalls durch Zenica und beschreibt die Stadt als Moloch: Eine raue Arbeiterstadt, die als zentrales Element diese Fabrik beherbergt. Er beschreibt eine Ambivalenz, die ich sehr spannend fand.
Nachdem ich den Geburtsort meines Vaters besucht hatte, beschloss ich deshalb, noch einmal in diese Stadt zu fahren.
Von welcher Ambivalenz sprichst Du da genau?
Die Stahlfabrik wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut. Davor war Zenica ein kleines Dorf, umgeben von Obstbäumen und sehr pittoresk. Die Stadt ist erst durch die Fabrik gewachsen. Sie war ein wichtiges Wirtschaftszentrum für Kohle und Stahl, wodurch es der Stadt zunächst sehr gut ging. Früher haben dort 12.000 Menschen gearbeitet.
Mit dem Ende Jugoslawiens ist jedoch alles eingebrochen. Mittlerweile arbeiten nur noch 2.000 Menschen im Werk und es gibt immer mehr Beschwerden wegen der Abgase. Viele Leute erkranken, haben Atembeschwerden und die Krebszahlen sind sehr hoch.
Das meine ich mit Ambivalenz. Ohne die Fabrik würde es die Stadt nicht geben, sie ist nach wie vor der größte Arbeitgeber in der Region, macht aber die Menschen krank.
Wenn die Zahl der Arbeitsplätze von 12.000 auf heute nur noch 2.000 gesunken ist, herrscht sicher auch eine große Arbeitslosigkeit.
Ja, genau. Die Arbeitslosenzahlen sind in Bosnien generell sehr hoch. Viele Menschen wandern aus, viele auch nach Deutschland. Ich war in der letzten Woche tatsächlich noch einmal vor Ort, habe die Serie weitergeführt und mit den Menschen gesprochen. Viele Leute sehen keine Perspektive im Land. Früher hat in jeder Familie mindestens eine Person in der Fabrik gearbeitet.
Vor Deiner Reise hattest Du wahrscheinlich schon ein Bild von der Stadt durch Deinen Vater und das Buch. Wie gehst Du dennoch neutral an eine solche Serie heran?
Mein Vater hat mir tatsächlich gar nicht so viel von diesem Land erzählt. Ich kannte Bosnien durch die Nachrichten und historisch durch den Krieg. Ich wusste, dass man die Vergangenheit spürt, wenn man durchs Land fährt. Aber ich bin sonst ohne konkrete Vorstellungen dorthin gefahren und wollte mich überraschen lassen.
Ich habe versucht, nicht nach Zenica zu fahren und zu zeigen: Hier ist alles dreckig und versmogt und die Leute werden krank von der Fabrik. Stattdessen wollte ich mehr dieser Ambivalenz zeigen. Es ist nicht schwarz und weiß. Als ich jetzt noch einmal da war, habe ich den Fokus auch mehr auf die Alltagsmomente gelegt: Zeigen, wie die Leute dort leben und was sie an der Stadt auch wertschätzen. Die Menschen wollen auch gar nicht, dass die Fabrik schließt, aber ihnen ist wichtig, dass Filteranlagen eingebaut werden.
Ich finde, dass man diese Ambivalenz auch gut in der Bildbearbeitung sieht. In Deiner Serie arbeitest Du mit sehr zarten Farben und die Linien der Hochhäuser wirken fast wie Bleistiftzeichnungen. Ein starker Kontrast zum unwirtlich wirkenden Ort.
Ja, ich habe auch eine Faszination für solche Industrieorte. Ich bin selbst in der Nähe des Ruhrgebiets aufgewachsen, meine Eltern wohnen in Duisburg und ich bin in Düsseldorf zur Schule gegangen. Den Anblick riesiger Fabriken bin ich gewohnt. Wenn ich über die Darstellung von Industrie und Umweltverschmutzung nachdenke, finde ich diese Art von Bearbeitung passend, weil es nicht überdramatisiert. Ich versuche, subtile Bilder zu schaffen, die vielleicht auch erst auf den zweiten Blick entschlüsselt werden.
Wie hast Du den Ort für Dich entdeckt? Sprichst Du Bosnisch und konntest mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen?
Nein, ich bin nicht zweisprachig aufgewachsen. Mit vielen Menschen habe ich vor Ort Englisch gesprochen und mit den meisten sogar Deutsch. Viele waren während des Kriegs in Deutschland oder haben noch Familie in Deutschland. Ich habe in der letzten Woche auch mit Studierenden gesprochen, die drei Monate des Jahres in Deutschland bei der Post arbeiten. Wenn man in Bosnien eine Gruppe von vier Leuten trifft, spricht mindestens eine Person davon Deutsch.
In Deinen bisherigen Bildern sieht man nur wenig von den Menschen. Ändert sich das noch?
Die sechs Bilder, die ich beim Deutschen Jugendfotopreis eingereicht habe, waren nur eine Art Skizze, das Grundgerüst für die Serie. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt noch einmal nach Zenica gefahren bin und mit Leuten unterwegs war. Ich hatte nach der ersten Reise nun einen konkreten Plan, welche Geschichten und Orte ich für meine Serie noch brauche.
Ich habe mich mit Betroffenen der Umweltverschmutzung getroffen, mit Menschen, die aus der Stadt wegwollen und ich war in der Fabrik und der alten Kohlemine.
Die bisherigen Bilder sind auch alle im Winter entstanden. Ich kann mir vorstellen, dass der Ort jetzt im Frühling auch noch einmal ganz anders wirkt.
Auf jeden Fall. Im Winter wirkt alles sehr bedrückend, aber jetzt im Frühling ist mir aufgefallen, wie grün die Stadt doch ist. Es gibt viele Parkanlagen und in den umliegenden Regionen wird Obst und Gemüse angebaut.
Was mir noch aufgefallen ist: Es gibt zwei Versionen eines Bildes, das für mich auch eins der stärksten Deiner Arbeit ist. Auf beiden sieht man eine Plattenbausiedlung vor Gleisen und am unteren linken Bildrand ist ein Mann mit seinen Hunden zu sehen. Das erste Bild ist auf Deiner Webseite und das zweite war Teil der sechs Bilder für den Deutschen Jugendfotopreis. Ich nehme an, die Bilder sind kurz nacheinander aufgenommen worden. Wie entscheidest Du, welche Version Du wo nutzt?
Ja, das ist eine schwierige Entscheidung. Das Bild auf meiner Webseite ist so ein typisches Foto, das man an den Anfang einer Serie setzt. Beim Deutschen Jugendfotopreis habe ich jedoch als Startbild das Foto mit den Abgasen ausgewählt. Es zeigt die Fabrik, die sich gefühlt in Rauch auflöst. Im Anschluss passt das Bild, auf dem der Zug einfährt, meiner Meinung nach nicht mehr so gut, weshalb ich das andere genommen habe. Es zeigt für mich diese Endlosigkeit der Kohlezüge in die Fabrik und die Teilung zwischen Mensch und Fabrik.
Du studierst zurzeit noch in Hannover Fotojournalismus. Ist die Serie Teil Deiner Abschlussarbeit?
Nein, ich studiere erst im vierten Semester. Die Arbeit ist frei entstanden, aber natürlich spreche ich mit meinen Kommiliton*innen darüber, bekomme Tipps und Feedback.
Dann bin ich sehr gespannt, was Du in Zukunft noch machst und wie sich die Serie weiterentwickelt. Vielen Dank für das Gespräch!