11. März 2022 Lesezeit: ~6 Minuten

Wer war Oscar Gustav Rejlander?

Der Schwede Oscar Gustav Rejlander war ein Pionier der künstlerischen Fotografie. Während andere darum stritten, ob Fotografie mehr als nur die Reproduktion der Welt bieten kann und an ihrem Kunstanspruch zweifelten, erschuf er das wohl aufwändigste und gleichzeitig umstrittenste Bild des 19. Jahrhunderts.

Seine Aufnahme „Two Ways of Life“ ist eine Allegorie der Wahl zwischen Laster und Tugend. In der Mitte sieht man einen alten bärtigen Mann, der zwei junge Männer auf die Bühne des Lebens führt. Der links stehende symbolisiert die rebellische Jugend und lässt sich zu den ausschweifenden Vergnügungen der Lust und des Glücksspiels hinziehen, während sein Gegenstück den rechten und damit rechtschaffenen Weg der Religion, Ehe und Arbeit wählt.

Das Bild entstand 1857 und war nur als Fotomontage umsetzbar. Durch das aufwändige Bühnenbild mit über 25 Charakteren konnte Rejlander seine Vision nicht in einem einzelnen Foto festhalten. Kein Studio der damaligen Zeit wäre groß genug gewesen, noch hätte man eine so große Bühne für eine Fotografie ausreichend ausleuchten können. Deshalb fotografierte er jede Szene einzeln. Das Bild entstand aus insgesamt 32 Negativen, die er in sechswöchiger Arbeit akribisch zu einem einzigen großen Abzug kombinierte.

Eine Analyse von Roy Hawthorne und David Kingston, wie Rejlander bei der Erstellung der Allegorie vorgegangen sein könnte.

Die dargestellte Szene ist dabei unglaublich moralisch. Umso verwunderlicher ist es für uns heute, dass die Aufnahme bei der Präsentation der „Art Treasures Exhibition“ 1857 in Manchester einen Eklat auslöste. Während es in der Malerei selbstverständlich war, dass nackte Figuren als Motive dienten, war es in der Fotografie noch ein Skandal. Die Menschen sahen einen Unterschied darin, ob man nackte Menschen ablichtete oder sie malte.

Sicher spielt in diesen Gedanken die damalige Vorstellung mit herein, dass die Fotografie nur dazu diene, die Realität abzubilden und noch nicht als eigenständige Kunstform angesehen wurde. Doch obwohl es viel Kritik gegen Rejlander und seine Arbeit gab, gelang es ihm, sein Werk zu verkaufen. Unter anderem auch an Königin Victoria, was seinen Ruf rettete.

Zwei nackte Frauen

Szene aus „Two Ways of Life“ © Oscar Gustav Rejlander

Dennoch blieb es noch lange umstritten und ein Jahr später bei einer Ausstellung in Edinburgh blieb die linke, anstößige Bildseite verhüllt. Reylander ging die Kritik nahe und er versuchte alles, um sein Werk zu rechtfertigen. Vor der Londoner Gesellschaft hielt er einen langen Vortrag, in dem er jedes kleine Detail und die verwendete Technik erklärte. Doch auch diese rein wissenschaftliche Annäherung konnte die Stimmung gegen ihn nicht beruhigen.

Dieses eine Bild überschattete sein ganzes Werk und man übersah dabei, was für ein großartiger Portraitfotograf er war. Besonders eindrücklich zeigt dies das Paarportrait „Mr. and Miss Constable“. Das verwendete Streiflich, die gemeinsame Pose und die Blicke zur Seite, die eine ganz eigene Geschichte erzählen und nicht zuletzt der Verzicht auf dekorative Elemente erinnert eher an Modefotografien der 1920er Jahre, als an typische Portraitaufnahmen des 19. Jahrhunderts.

Portrait eines Paares, das gespannt zur Seite schaut

„Mr. and Miss Constable“ © Oscar Gustav Rejlander

Tatsächlich kam Rejlander wie viele andere Fotograf*innen der Zeit aus der Malerei. Er wurde um 1813 in Schweden geboren und studierte zunächst in Rom Kunst. Dort kam er auch das erste Mal mit der Fotografie in Kontakt, die ihn so beeindruckte, dass er bald die Malerei aufgab und in England ein Fotostudio eröffnete.

1850 lernte er die neuen fotografischen Verfahren wie die Kollodium-Nassplatte und die Kalotypie kennen und begann, mehr und mehr mit ihnen zu experimentieren. Dabei entdeckte er die Möglichkeiten der Fotomontage und Retusche, die er bald in seinen Portraits anwendete.

Seine Modelle waren dabei teilweise sehr jung, was aus heutiger Sicht auch im Zusammenhang mit Pädophilie diskutiert werden muss. Gleichzeitig darf man diese Art der Bilder nicht aus dem Kontext der damaligen Zeit reißen. Das Foto „Mother’s Clothes“ von 1861 stammt zum Beispiel aus seiner Serie mit Charlotte Baker und zeigt ein junges Mädchen, irgendwo zwischen Kind- und Teenageralter, nur mit weißen Strümpfen bekleidet. Der Titel impliziert, dass sie sich als ihre Mutter verkleidet.

Diese Darstellung von Kindern war damals nicht ungewöhnlich. Kinder wurden als unschuldig und ursprünglich wahrgenommen. Sie dienten als Aktmodelle bei renommierten Maler*innen oder wurden vielfach auch halbnackt fotografiert. Der berühmteste Vertreter dieser Fotografien war Lewis Carroll, der das Kinderbuch „Alice im Wunderland“ schrieb. Er war mit Rejlander befreundet und sammelte seine frühen Aufnahmen. Eines der bekanntesten Portraits des Autors stammt ebenfalls von Rejlander.

Mit dem wachsenden Erfolg verlegte Rejlander 1862 sein Studio nach London und heiratete Mary Bull, die eines seiner früheren Aktmodelle war und seine Geschäftspartnerin wurde. Er arbeite mit den großen Namen der damaligen Zeit zusammen, korrespondierte nicht nur mit Lewis Carroll, sondern auch mit Julia Margaret Cameron und illustrierte Darwins klassische Abhandlung „The Expression of the Emotions in Man and Animals“. Viele seiner Fotografien dienten namhaften viktorianischen Maler*innen als Vorlage.

Lewis Carroll, 1863 © Oscar Gustav Rejlander

In seinen Werken ist der Einfluss seines Kunststudiums deutlich sichtbar. So setzte er in einigen Arbeiten typische Motive aus der Kunst mit Hilfe der Fotografie um, wie in „Study of the Head of John the Baptist in a Charger“. Gleichzeitig zeigte er durch Retuschen und Montagen, wie viel mehr die Fotografie kann, als nur abzubilden, was man in der realen Welt sieht. Seine Arbeiten zeigten den Menschen, dass die Fotografie eine eigenständige Kunstform sein konnte. Oscar Gustav Rejlander gilt als „Vater der Kunstfotografie.“

„Study of the Head of John the Baptist in a Charger“ © Oscar Gustav Rejlander

Reich wurde er mit seinem Werk jedoch nicht. Nach einer schweren Erkrankung starb er 1875. Um seine Schulden und die Kosten des Begräbnisses zu verringern, übergab die „Edinburgh Photographic Society“ seiner Witwe Spenden und half mit, den „Rejlander Memorial Fund“ zu begründen.

Quellen

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