17. Januar 2022 Lesezeit: ~7 Minuten

Aus einem Fehler wurde Kunst

Als Neunjähriger bekam ich meine erste Kamera. Dann passierte etwas und mein Interesse an der Fotografie war geweckt. Als Kind bin ich oft mit meinen Eltern – um die Welt – gereist und habe Kunstmuseen besucht. Mich hat fasziniert, wie große Meister wie Picasso, Chagall, Matisse und Monet so gekonnt etwas ganz anderes geschaffen haben als eine reine Abbildung der Wirklichkeit.

Wir gingen auch oft zu verschiedenen Kreativen nach Hause, die in Schweden arbeiteten. Ich werde nie vergessen, als wir den schwedischen Künstler Lindorm Liljefors besuchten, der direkt neben seinem Haus hinter einem Zaun einen lebenden Luchs hatte. Von unserem Platz am Küchentisch konnten wir die prächtige Katze beobachten. Ich war damals ungefähr zehn Jahre alt und die Erinnerung an den Luchs, den exzentrischen Künstler und seine Bilder werden immer in meinem Kopf bleiben.

Surreale Landschaft in Schwarzweiß

Schwarzweißbild eines Vulkanausbruchs

Mit meiner kleinen analogen Kompaktkamera habe ich meine ersten fotografischen Versuche unternommen. Unter anderem habe ich meine Wasserschildkröte durch die Glasscheibe des Aquariums fotografiert. Seltsamerweise wurde ich nie müde. Ich war fasziniert von Kameras und Bildern. Einige Jahre später schenkten mir meine Eltern eine gelbe Kompaktkamera, die man unter Wasser verwenden konnte. Was für eine Freude! Mit Wasser bis zu den Ellenbogen konnte ich die Wasserschildkröte nun ohne störende Glasscheibe davor fotografieren.

Viele Jahre später begann ich, für eine Werbeagentur zu arbeiten. Ich hatte eine Nikon F3 – Anfang der 90er Jahre eine solche Kamera zu besitzen, war nicht jedermanns Sache. Durch die Firma konnte ich ein sehr schönes Objektiv bekommen, ein 85 mm f/1.4. Ein damals sehr teures Objektiv. Diese Kamera war viele Jahre mein treuer Diener und ich war so stolz, als ich sie über den Schultern trug. Meine damaligen Bilder waren allerdings recht ausdruckslos, wenn ich das so sagen darf. Auf keinen Fall schlecht, aber die Bilder waren meistens reine Abbildungen der Realität.

In der Werbeagentur, bei der ich arbeitete, wurden vor allem Naturbilder verkauft. Hunderte von Bildern berühmter schwedischer Naturfotograf*innen habe ich gesehen, als wir Kalender für verschiedene Forstbetriebe produzierten. Nur die traditionellen, hochklassigen Naturfotografien schafften es im Schnitt. Sicherlich beeinflussten diese Jahre in der Agentur meine eigene Bildgestaltung, aber seltsamerweise sahen meine Bilder nie so aus wie viele dieser berühmten schwedischen Naturfotografien.

Surreales Bild eines Pferdes als Scherenschnitt

Wasserfall

Der Start in die digitale Fotografie

Irgendwann Ende der 90er Jahre habe ich angefangen, digital zu fotografieren. Die Qualität der Kameras war miserabel, aber die digitale Technik war wichtig für meine Entwicklung als Bildgestalter. Jetzt konnte ich experimentieren und die Ergebnisse direkt sehen, was Möglichkeiten für neue kreative Lösungen und Ausdrucksformen eröffnete. Aber es sollte viele Jahre dauern, bis die Digitalkameras so gut waren, dass sie mit der analogen Technik mithalten konnten. Meine erste gute Digitalkamera kaufte ich 2006 – eine Nikon D200. Seit diesem Tag ging meine Fotografie ganz andere Wege. Ich fing an, einen Stil zu finden, der sich ein bisschen mehr wie mein eigener anfühlte.

2009 war das Jahr, in dem ich das Gefühl hatte, endlich ein Zuhause gefunden zu haben. Ich habe zwei Fotografiekurse in kreativer Naturfotografie belegt und dann einen Workshop mit dem berühmten schwedischen Fotografen Anders Petersen besucht. Er hat viel zu meiner Entwicklung beigetragen und mich ermutigt, noch mehr zu fotografieren. Schließlich begann ich, zu sehen, dass meine Bilder mich widerspiegelten. Meine Bilder enthielten meine Fingerabdrücke. 2009 war auch das Jahr, in dem ich mein erstes Fotobuch „Årstiderna“ („Die Jahreszeiten“) veröffentlichte.

Ich war inspiriert von Fotograf*innen, die alles außer der traditionellen Naturfotografie machten. Stattdessen wandte ich mich Kunstfotograf*innen wie Michael Ackerman, Sally Mann, Arno Rafael Minkkinen, Anders Petersen und anderen zu.

Surreales schwarzweißbild

surreales Schwarzweißbild

Aus einem Fehler wurde Kunst

Das Erstellen meiner „gemalten“ Bilder begann als Fehler. Ich war an einem dunklen Wintertag mehrere Stunden lang im Wald unterwegs und konnte nicht wirklich die Inspiration finden, Bilder zu machen. Ich hatte nicht viele Fotos auf der Speicherkarte, über die ich mich gefreut habe. Langsam lief ich zurück zu meinem Auto, die Kamera hing vor meiner Brust. Mir war langweilig und beim Gehen drückte ich ab und zu auf den Auslöser, ohne die Kamera ans Auge zu heben. Die Kamera war auf eine lange Verschlusszeit eingestellt, aber ich habe mir damals keine darüber Gedanken gemacht.

Als ich beim Auto ankam, schaute ich mir die Bilder auf dem Display an – und zu meiner Überraschung gab es ein paar Bilder, die fast wie impressionistische Gemälde aussahen. Erstaunt schaute ich mir an, wie die Kamera eingestellt war und versuchte zu wiederholen, was ich zufällig gemacht hatte. So begann ich bereits 2009, immer mehr sogenannte ICM-Bilder zu erstellen – ein Konzept, das ich damals unter diesem Namen noch nicht kannte.

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob damals jemand ähnliche Bilder gemacht hatte. Was ich zuvor gesehen hatte, waren die gemalten Bilder von Ernst Haas, der bereits in den 1950er Jahren mit langen Verschlusszeiten laufende Pferde und Stierkämpfe fotografierte. Diese Bilder waren eher eine Kombination aus Schwenks und Kamerabewegungen. Aber zweifellos fantastische Bilder!

Bis 2012 habe ich meine Technik weiterentwickelt und dann das Buch „Fotografi“ („Fotografie“) veröffentlicht, bei dem die meisten Bilder Einzelbelichtungen mit Kamerabewegung waren. Außerdem waren die Bilder in Farbe. Der Titel „Fotografi“ kam natürlich daher, denn das Wort bedeutet ja „mit Licht malen“.

Bär

Motive finden ist wichtiger als die Kameratechnik

Ich persönlich bezeichne mich nicht gern als Naturfotograf. Ich bin ein Bildgestalter. Kunstfotografie liegt mir am Herzen. Das Kunstinteresse meiner Eltern hat natürlich auch auf mich abgefärbt. Ich möchte mich nicht in meiner Fotografie beschränken. Ich würde mich deshalb eher als Kunstfotograf bezeichnen, der die Motive oft in der Natur findet.

Ich sehe überall Bilder. Fotografie hat für mich immer weniger mit Technik zu tun. Wenn ich die Motive nicht finden und sehen kann, spielt es keine Rolle, ob ich alle Arten von Techniken gut beherrsche. Für mich ist das Erstellen eines Bildes mit Doppelbelichtung in der Kamera im Grunde dasselbe wie das Abdecken des Objektivs und das Bewegen der Kamera nach einer Belichtung mit langer Verschlusszeit.

Für mich ist das Wichtigste, dass ein Bild ein Gefühl vermittelt. Am liebsten die Stimmung, in der ich war, als ich das Bild erstellte. In all meinen Jahren als Kunstfotograf habe ich sowohl Freude als auch Trauer genutzt, um Bilder zu schaffen. Meistens habe ich die stärksten Bilder in Zeiten geschaffen, in denen es mir schwer fiel.

Dieser Artikel wurde für Euch von Herausgeberin Katja Kemnitz aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

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