Kleiderordnung
Manchmal frage ich mich, wo Ideen anfangen und wo sie wieder aufhören und vor allem, zu welchem Zeitpunkt sie eigentlich in meinen Kopf gelangt sind. Wenn ich mir diese Fragen in Bezug auf „Kleiderordnung“ stelle, dann erinnere ich mich vor allem an die Zeit im letzten Sommer zurück.
Es war ein seltsamer Sommer, irgendwie anders als die anderen, und aufgrund der Regelungen, die im Zuge der Corona-Pandemie galten, ein Sommer, der eher nach innen als nach außen gekehrt wirkte und sich nur in Gesellschaft der engsten Menschen abspielte. Es war um eben diese Zeit herum, als mein Partner begann, meine Kleider anzuziehen.
Ich denke, wir wissen beide nicht mehr genau, wie es überhaupt dazu kam, aber ich weiß noch genau, welche Freude ihm die fließenden Stoffe bereiteten und der Sinn von Freiheit – nicht nur an den Beinen, sondern in dem Gefühl, durch das Tragen eines Kleides einem femininen Teil von sich Ausdruck zu verleihen, für dessen Ausleben es vorher gesellschaftlich keinen Raum gab.
Die Erfahrung machte die Runde und bald schon trugen bei Zusammenkünften auch andere Freunde von uns Kleider. Eigentlich war nicht viel dabei, aber doch wurde es zu einer Art von besonderem Ereignis, bei dem wir uns austauschten und darüber staunten, wie fantastisch alle in Kleidern aussahen.
Auch wunderten wir uns, dass es doch ein seltener Anblick ist. Innerhalb unseres Safe Spaces zuhause hatten alle eine große Freude daran, sich einzukleiden und durch die Kleider anders zu erfahren. Trugen wir jedoch unsere Welt nach außen, kam es teilweise zu seltsam heftigen Reaktionen von Menschen, für die der Anblick einer für sie männlich gelesenen Person im Kleid ihr gesamtes Weltbild zu erschüttern schien.
Das Beobachten meiner Freunde, wie sie ihre feminine Seite durch Kleidung erkundeten und Kleider für sich entdeckten, gepaart mit der Resonanz aus der Öffentlichkeit, brachte mich zum Nachdenken. Ein Kleid ist ein Kleid, aber doch auch viel mehr als das. Es symbolisiert eine Rolle, die sich durch das lange vorherrschende, hierarchisch strukturierte Zweigeschlechtermodell in unseren Köpfen festgesetzt hat. Es scheinen ungeschriebene Regeln zu gelten, darüber, wer was zu tragen hat; Regeln, die wiederum aus vorherigen Regeln erwachsen sind – Denkordnungen, die sich im Verborgenen entwickelt haben.
Mit „Kleiderordnung“ wollte ich Bilder schaffen, die Räume bilden, in denen diese Symbole losgelöst von ihrer gesellschaftlichen Bedeutung atmen können, um so mit traditionellen Seh- und Denkgewohnheiten zu brechen. Ich denke, dass wir kollektiv umdenken können und müssen: Für eine Kleiderordnung wider die herrschende Denkordnung!
Informationen zum Buch
„Kleiderordnung“ von Isabel Spantzel
Einband: softcover
Seiten: 79
Maße: 21 cm x 29,7 cm
Verlag: Eigenverlag
Preis: 24 €