Pfeile des Lebens
Das Lachen schwebt davon, es hat sich gelöst von dem sonnendurchtränkten Körper, von dem entspannten Gesicht, von den Gedanken an ein Morgen. Es ist der Moment, der zählt, in seiner ganzen Schönheit, seiner ganzen Klarheit. Ein nicht enden wollender Sommer, in dem alles möglich ist. In dem das Jetzt zu einem allumfassenden Glanz aufsteigt, weil es sich ausdehnt in die Unendlichkeit.
Es ist die Idee einer Zeit, in der das Reale greifbar ist, in der es kein Abbild davon gibt. Es ist die Idee einer Unmittelbarkeit, die sich nicht auf Hörensagen verlässt, sondern selbst Erfahrungen sammelt.
Sven Jacobsens Bilder von Youngstern, die sich ausprobieren, mit Überschwang ins Wasser springen, auf Zäunen, Pfählen und Dünen herumturnen, albern sind, sich küssen, Skateboard fahren oder einfach im hohen Gras liegen, erinnern mich an eine vor-digitale Welt. Niemand schaut auf das Handy, niemand macht ein Selfie, niemand daddelt auf einer Spielkonsole. Coming-of-Age, wie es auch vor zwanzig, dreißig Jahren hätte stattfinden können – die Bilder der Natur, die im Wechsel zu sehen sind, das Meer, die Wolken, der Strand, geben wenig Rückschlüsse auf das Jahrzehnt.
Innen ist mal ein Verstärker zu sehen, der mich an meinen erinnert, den ich in den 1980ern hatte. Die Kids tragen Jeans, T-Shirt, Turnschuhe. Und Skateboard fuhr man damals auch. Ich rätsele, wo sich der Badesee befinden könnte. Oder ob ich die Dünenlandschaft kenne. Aber um eine Verortung geht es nicht. Die Seen, die ich sehe, sind stellvertretend für alle Badeseen. Die Situationen, denen ich verträumt folge, bilden ein Band der Emotionen für alle Menschen. Und dass einige der Protagonist*innen die Kinder des Fotografen sind, wusste ich anfangs gar nicht.
In einem Gespräch erzählt mir Sven Jacobsen von seinen Erfahrungen beim Surfen. Von der Kraft des Wassers, von dem Auf und Ab der Wellen, und dass man sich dieser Energie hingeben müsse. Ihr vertrauen. Die ganze Welt liege dann in diesen Wellen. Alles sei eins. Wir sprechen von der philosophischen Idee, dass das große Ganze sich in jedem einzelnen Ding zeigt. Eine Essenz des Seins. Vielleicht auch der Schönheit. Und Sven Jacobsen sagt, dass es ihm beim Fotografieren genau darum gehen würde, um diesen Fluss der Schönheit, und darum, diesen in einem Einzelbild einzufangen. Zurückzukommen zu einer Einfachheit, die auf sich selbst zurückgeworfen sei.
Es ist nur konsequent, dass Sven Jacobsen daher stilistisch auch mit einfachsten Mitteln arbeitet. Er bevorzugt Tageslicht, höchstens einen Aufsteckblitz, er lässt sich, auch bei kommerziellen Arbeiten, lieber von seiner Intuition leiten als von vorgefertigten Konzepten. Man müsse ihn frei lassen, sagt er, dann sei er gut. Mit diesem Ansatz bewegt sich Sven Jacobsen in der Tradition einer narrativen Fotografie, die ihren Subjekten folgt und auf die Kraft des Ausdrucks vertraut.
Handlung und Erzählung fallen in eins, die Bildkomposition erscheint als syntaktische Einheit und erfüllt die metaphorische Kraft des Motivs mit Energie. Was vordergründig wie ein unbeschwerter Sommer-Schnappschuss aussieht, mag urplötzlich tiefere Schichten des Unterbewusstseins anrühren.
Der Philosoph Roland Barthes hat in seinem Essay La Chambre claire (1980) dafür den Begriff des „punctum“ geprägt: „Das Element selbst schießt wie ein Pfeil aus seinem Zusammenhang hervor, um mich zu durchbohren. (…) punctum, das bedeutet auch: Stich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt – und Wurf der Würfel. Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft).“1
„Like Birds“ hat Sven Jacobsen diese Sammlung genannt. Wie ein Song klingt das, von Musik lässt sich der Fotograf auch am liebsten inspirieren. Der Titel Like Birds benennt das Flüggewerden, die Lust am Fliegen, das Schweben durch den Tag, durch das Leben.
Aber er benennt auch die Zerbrechlichkeit, die Traurigkeit als andere Seite der Medaille. Wir haben lange über das Bild der toten Taube diskutiert. Ich fand, dass sie den Flow der eher positiv konnotierten Fotos unterbrechen würde. Letztlich gehört sie aber natürlich dazu. Das verstehe ich jetzt. Ihre Wunde trifft, wie das unbeschwerte Lachen trifft.
Informationen zum Buch:
„Like Birds“ von Sven Jacobsen
Sprache: Deutsch / Englisch
Einband: Hardcover
Seiten: 208
Maße: ca. 24 x 30 cm
Verlag: Hatje Cantz
Preis: 48 €
1 Aus: Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, übersetzt von Dietrich Leube, Suhrkamp, Frankfurt 1989, S. 35 f.
Der Text stammt aus dem Vorwort zum Buch. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Fotografen.