Speckgürtel – Ein Blick auf die Nachbarschaft
Eigentlich war das klar, aber mir ist es nie so bewusst geworden wie jetzt: Ich lebe fast mein ganzes Leben in einem Speckgürtel. Es waren zwar unterschiedliche Orte, mal Städte, aktuell eine Gemeinde, aber es waren immer Vororte einer größeren Stadt. Es war mir nie so bewusst, weil das einfach ein ganz normaler Teil meines Lebens war und ist. Man macht sich auch selten Gedanken über die Luft, die man atmet. Ich habe mir über dieses Habitat noch nie ernsthaft fotografische Gedanken gemacht, weil es für mich vollkommen gewöhnlich und langweilig war.
Für diejenigen, die nichts mit dem Begriff „Speckgürtel“ anfangen können: Dabei handelt es sich um kleinere Städte oder Dörfer, die sich um eine größere Stadt herum gruppieren. Manchmal sind es ganz neue Ortschaften, manchmal ist einfach ein alter Ortskern mit alten und neuen Baugebieten umbaut worden. Diese Orte verfügen meist nur über Wohnsiedlungen und ein paar Discounter am Ortsrand, haben sonst aber wenig Infrastruktur oder Kultur.
Viele der hier Wohnenden gehören zur gehobenen Mittelschicht und pendeln zur Arbeit in die große Stadt in der Nähe. Manche davon haben früher sogar in dieser Großstadt gewohnt, sind aber wegen der ruhigeren Lage oder schlicht wegen der Immobilienpreise rausgezogen. Und als ich nach diesen Begriffen in Bildersuchen recherchiert habe, war ich doch verwundert, dass man kaum Fotos zu diesem speziellen Mikrokosmos findet. Fotografisch unerforschtes Land sozusagen.
Ich war schon immer gern im Freien unterwegs, auch und vor allem während der Pandemiezeit. In dieser Zeit war man teilweise doch recht eingeschränkt in seinem Bewegungsradius. Ich war sehr oft spazieren. Irgendwann ist man jede Straße schon zig mal entlang gelaufen und kennt alles in- und auswendig. Nach und nach fielen mir aber verschiedene Szenen und Details auf, denn Menschen traf man eher selten an und wenn doch, musste man Abstand halten.
Menschen wären bei einem solchen Thema normalerweise das Hauptmotiv. Ich zeige Menschen nicht direkt, sondern spiele quasi über Bande. Ich zeige „Spuren“, die die Menschen hinterlassen haben. Dabei wähle ich den Ausschnitt meist relativ eng, weil ich nicht zeigen will, wo das Bild genau entstanden ist, denn das halte ich in diesem Projekt nicht für relevant. Die Bilder wirken dadurch teilweise wie Tatortfotos. Und die Fantasie der Betrachtenden muss dann Detektivarbeit übernehmen und sich dazu passende Geschichten ausdenken. Was sind das für Leute, die hier wohnen? Warum ist der Gegenstand hier? Was ist hier passiert?
Ich habe überhaupt nichts gegen gestellte Bilder oder Bildbearbeitung. Ich nutze diese Werkzeuge selbst gern. Doch in diesem Fall beschränke ich mich auf Beschnitt und den üblichen Feinschliff. Die Bilder sind nicht arrangiert, es wurde nichts hinzugefügt oder entfernt. Bei manchen Bildern mag man das gar nicht glauben, denn das geht teilweise von spießig oder banal über kitschig bis hin zu skurril. So finde ich immer wieder Schilder, die alles andere als einladend sind, akkurat in Figuren geschnittene Pflanzen, Hundekot oder nicht wirklich passende Deko-Figuren.
Das mag sich auf den ersten Blick alles eher negativ anhören, aber ich denke, dass das eine Frage der Perspektive ist. Daher war es mir wichtig zu sagen, dass ich nichts arrangiert habe. Ich habe alles so fotografiert, wie ich es vorgefunden habe. Das bedeutet, dass die Leute es genauso wollten. Wie man diese Dinge bewertet, hängt also vom eigenen Geschmack ab. Und wenn sich die Menschen so wohl fühlen, hey, warum nicht?
Es sind Orte, an denen man ruhig und halbwegs sicher leben kann. Sie sind prädestiniert, um Kinder großzuziehen. Alles hat seine Ordnung. Das ist für viele Menschen sehr attraktiv. Aufgrund der derzeitigen Lage ist schwer abzusehen, wie sich das Projekt weiter entwickeln wird. Mich persönlich würde zum Beispiel interessieren, ob es bei den Speckgürteln regionale Unterschiede gibt. Ich hoffe, ich kann dem irgendwann auf den Grund gehen.