Slow Photography – Versuch einer Beschreibung
Ich betreibe die Fotografie seit vielen Jahren und würde mich als jemanden bezeichnen, der dieser Beschäftigung als Amateur mit einer sehr hohen Leidenschaft nachgeht. Fotografie fasziniert mich seit meiner Jugend einerseits in der Ausübung und andererseits beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit den Werken zahlreicher Fotograf*innen in unterschiedlichen Genres, wo ich mir Inspiration und Faszination für dieses Medium hole.
Meine persönliche fotografische Reise in den letzten Jahren würde ich mit dem Überbegriff „Slow Photography“ versehen. „Slow“ im Zusammenhang mit der Fotografie ergibt für mich einen Begriff, der meines Erachtens schwierig zu definieren ist.
Ich möchte mich aber an eine Beschreibung heranwagen und auch auf die positiven Aspekte, gerade weil sie aus meiner Sicht gut in die aktuelle Zeit passen, eingehen. Wikipedia definiert „Slow photography“ (Stand 12/20) wie folgt:
Langsame Fotografie ist ein Begriff, der eine Tendenz in der zeitgenössischen Fotografie und Kunst beschreibt. Als Reaktion auf die Verbreitung der digitalen Fotografie und den Schnappschuss verwenden Künstler*innen und Fotograf*innen manuelle Techniken und Arbeitsmethoden, um langsamer, manuell und im ständigen Dialog mit den physischen Materialien der Bilder zu arbeiten. Es kann sich auch auf die fortgesetzte Dokumentation beziehen, nachdem das Hauptereignis eingetreten ist.
„Die Wiederentdeckung der Langsamkeit“ ist in vielen Lebensstilen seit einigen Jahren ein Trend oder eine Lebenseinstellung geworden. Ich denke da an „Slow Food“, das „bewusste bzw. genussvolle Essen“, „Slow Travel“, bei dem man individuell und ohne schnelle Fortbewegungsmittel unterwegs ist oder auch die Bewegung bzw. das Netzwerk, zu dem sich Städte mit dem Überbegriff „Cittàslow“ zusammengetan haben. Betrachten wir diese drei Begriffe einmal in Kürze etwas näher:
Cittàslow: In Deutschland gibt es aktuell 21 Städte, in Österreich drei und in der Schweiz eine Stadt, die Mitglieder dieser Gruppe sind. Dabei geht es um „Aufmerksamkeit, Ruhe, Bewusstsein, nachhaltigen Fortschritt und Verantwortung“, wie die steirische Cittàslow-Stadt Hartberg auf ihrer Webseite schreibt.
Slow Travel beschreibt die Art von Reisen, die ich seit vielen Jahren bevorzuge und schätze. Dabei geht es darum, mit der Landschaft, durch die man reist, in einen Dialog zu treten, sich mit ihr zu beschäftigen und auf sich wirken zu lassen – abseits vom Massentourismus.
Slow Food braucht man, denke ich, nicht mehr groß zu definieren, zählt er doch zu mittlerweile gebräuchlichsten Begriffen, die man in Zusammenhang mit der Slow-Bewegung kennt. Essen in hoher Qualität, das meist einen regionalen Ursprung hat, erfreut sich schon seit Längerem zunehmender Beliebtheit.
Für Slow Photography eine Definition zu finden, ist meines Erachtens nicht so einfach, weil viele Aspekte und Meinungen dazu Berücksichtigung finden sollten. Daher wird sie zuweilen auch als Retrotrend bezeichnet, wenn man es auf das Fotografieren mit überwiegend älteren Kameras reduziert.
Für manche wird es vielleicht wirklich ausschließlich die analoge Fotografie sein, weil sie den Prozess der Bilderstellung bis zur Entwicklung eines Negativs in die eigene Hand nehmen. Hat man nicht die Möglichkeit oder den Willen, den Entwicklungsprozess selbst durchzuführen, bleibt das geduldige Warten, bis man die Bilder belichtet auf Papier vom Labor des Vertrauens erhalten hat.
Ergänzend zur Filmentwicklung, die ein fester Bestandteil einer analogen Fotografie ist, möchte ich anmerken, dass das eigene digital erstellte Bild, wenn man es als Ausdruck besitzt und vielleicht an die Wand gehängt hat, dem Prozess der Bildentstehung bis zum fertigen Werk aber auch einen anderen Stellenwert gibt.
Gerade in Zeiten, in denen Fotos das Handy oder die Festplatte kaum mehr verlassen, gibt man Bildern, die man „begreifen“ kann, die man an einer Wand, in einem Album oder in einem Fotobuch betrachten kann, eine andere Bedeutung.
Zählt digitale Fotografie genauso zur Slow Photography?
Vor Kurzem las ich im Blog von QIMAGO den Beitrag „Du und ein Ozean an Bildern“, dass 80 Millionen Bilder pro Tag, also 925 pro Sekunde auf Instagram hochgeladen werden. Von „slow“ kann dabei also wohl keine Rede mehr sein. Welche gewaltige Kraft, welche großartige Aussage muss also ein Bild heutzutage haben, dass es noch unsere Aufmerksamkeit erreicht?
Wir leben in einer Welt enormer Reizüberflutung. Für kwerfeldein schrieb ich in einem Artikel über die „Einfachheit“, die für mich ein wesentlicher Bestandteil der Slow Photography ist: „Einfachheit als Weg zum Wesentlichen“. Im Hier und Jetzt zu sein, wie es die Achtsamkeit uns lehrt, bietet Möglichkeiten, entspannte Momente zu erleben und wenn man dann noch eine Kamera mit im Gepäck hat, auch die Chance, Motive zu finden, an denen wir vielleicht sonst achtlos vorbeigegangen wären.
„Die Kamera ist ein Instrument, das Menschen lehrt, Dinge achtsamer zu sehen“, hat der Schweizer Fotograf Michael Rieder in seiner kleinen Fibel zur Slow Photography wunderbar geschrieben und auch den Satz auf seiner Webseite finde ich sehr zutreffend: „Die Kamera als Werkzeug einzusetzen, um dem wahren Wesen der Dinge, vor allem dem Schönen, näher zu kommen.“
Hinsichtlich meiner Suche nach einer Definition für die Slow Photography würde ich einmal eine Beschränkung auf die rein analoge Form der Fotografie ausschließen, weil für mich die Herangehensweise ein zentraler Aspekt ist. Mit welchem Instrument ich das mache, ist meines Erachtens nicht relevant.
Vielleicht nicht immer gleich nach Antworten suchen
Lieber Fragen als Methode einsetzen, um über die Fotografie nachzudenken: Den Prozess der Slow Photography, in welcher Form auch immer er betrieben wird, mit keinem Ziel zu versehen und ihn nur als Weg, als fotografische Reise definieren. Überlegen, wie man in der eigenen fotografischen Entwicklung weiterkommt, aber zur Erkenntnis gelangen, dass es in unserer zielorientierten Welt einmal nicht nur darum geht, auch ein Ziel, so es dieses überhaupt gibt, zu erreichen. Einfach nur den Weg genießen.
Kontemplative Fotografie bzw. Fotografie als eine Form der Meditation zu betreiben, ist eine Möglichkeit, Slow Photography ganz bewusst zu (er)leben. Mit der Kamera bewusst durch die Gegend zu schlendern, sich mit all seinen Sinnen Gedanken zur Gestaltung von Bildern zu machen, ist eine gute Möglichkeit der Entschleunigung.
Ein Hilfsmittel für entschleunigendes und bewusstes Fotografieren sind für mich mittlerweile Festbrennweiten mit manuellem Fokus geworden. Überwiegend nehme ich derzeit bei meinen kleinen Fototouren nur zwei Festbrennweiten mit: entweder eine lichtstarke Kombination wie 35 mm und 75 mm oder 35 mm und 90 mm.
Die Wahl der festen Brennweite erfolgt nach persönlichen Vorlieben und Anwendungsnutzen. Als Landschaftsfotograf*in wird ein stärkeres Weitwinkel vielleicht immer im Gepäck sein, im Bereich der Straßenfotografie wird sich vielleicht eher ein 35 mm oder 50 mm dauerhaft in der Fototasche befinden.
Immer mehr erkenne ich, dass ich für meine Art der Fotografie den Autofokus auch nicht wirklich brauche. Ich bin zwar noch nicht der schnellste „Scharfsteller“, der Ausschuss mit nicht ganz scharfen Bildern ist etwas höher, aber für Straßenfotografie und Familienfotos klappt es mittlerweile schon recht gut.
Vor ein paar Jahren war für mich die Empfehlung von manchen Fotograf*innen, auf das Zoomobjektiv zu verzichten und nur mit einem Objektiv loszuziehen, unvorstellbar. Ich konnte mir nicht vorstellen, das Zoomobjektiv zu Hause zu lassen! Was würden mir da doch für Motive entgehen, die ich nicht fotografieren könnte.
Doch jetzt, nachdem ich schon viel Praxiserfahrung mit den Sportschuhen als Zoomersatz und den Festbrennweiten gemacht habe, spreche auch ich eine Empfehlung in diese Richtung aus. Bewusstes Fotografieren gelingt so um einiges leichter und auch die Fototasche ist angenehm kompakt und leicht. Die fotografischen Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben, sind durch die Konzentration auf einen Blickwinkel in hohem Maße gegeben.
Ein wesentlicher Baustein für die Slow Photography ist für mich auch, ohne gesetzte Ziele bzw. Erwartungshaltungen mit der Kamera loszugehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn ich mir feste Ziele für Motive vornehme, die ich fotografieren möchte, diese bereits im Kopf so konkret plane, dass die Ausbeute manchmal recht mager ist. Entweder hat das Licht nicht gepasst oder ich war so auf meine im Vorfeld getroffenen Absichten fixiert, das ich andere interessante Motive übersehen habe.
Der guten Ordnung halber halte ich in diesem Zusammenhang aber fest, dass dieser Zugang selbstverständlich nicht für Berufsfotograf*innen Gültigkeit haben kann. Bei beruflichen Aufträgen ohne Ziel loszuziehen, wäre eher ungünstig. Auch wird man sich in der Landschaftsfotografie natürlich die Motive im Vorfeld genau überlegen müssen, bevor die Reise zu den Hotspots gemacht wird. Überall, wo Kosten und Einnahmen im Vordergrund stehen, ist eine exakte Planung natürlich unumgänglich.
Ist der Kopf frei von vorgefassten Zielen bzw. Erwartungen an meine Fototour, bin ich oft mit Bildern heimgekommen, mit denen ich nicht gerechnet habe. Einfach, weil ich mich wirklich in einen „Flow“ begeben konnte und Dinge entdeckt habe, die mein Fotoauge sonst vernachlässigt hätte.
Dazu gehört auch für mich, eine Bildkomposition sorgfältig zu planen und das Bild im Sucher so weit wie möglich schon fertig zu gestalten. Damit kann ich die Nachbearbeitung auf ein Minimum reduzieren und dieses achtsame Gestalten von Anfang an ist für mich ein Prozess, der andere Gedanken, die als Störenfriede oft im Kopf herumtollen, vertreibt.
Slow Photography bietet für mich auch die Möglichkeit, das für mich Besondere oder das Einfache noch zu finden. Was ist nicht schon alles fotografiert worden? Gibt es überhaupt noch ein sehenswertes Motiv, das es noch nicht in die Tiefen der zahlreichen Social-Media-Kanäle geschafft hat?
Achtsames Fotografieren lässt unsere Welt detailreicher werden. Vorurteilsfrei fotografische Streifzüge zu machen, lässt manchmal Motivbekanntschaften zu, die ungeplant sind. Der Zufall führt uns zu etwas, mit dem wir im Vorfeld nicht gerechnet haben.
Das Thema Langzeitbelichtungen spielt im Zusammenhang mit Slow Photography auch immer wieder eine große Rolle. Das bewusste Gestalten mit ND-Filtern und den damit verbundenen langen Belichtungen ist ein sehr entschleunigender Prozess. Vorbild für mich ist hier der Brite Michael Kenna, der das seit vielen Jahren in Perfektion und mit großem Erfolg umsetzt.
Langzeitbelichtungen bei mancherorts rauer Witterung, die in vielen großartigen Bildern für die Betrachter*innen sichtbar wird, hat einen Entstehungsprozess als Grundlage, der dem Prädikat „slow“ mehr als gerecht wird. Ich würde die Kunst der Langzeitbelichtung als einen Aspekt in der Slow Photography sehen, aber auf keinen Fall nur darauf beschränken.
Slow Photography umfasst für mich viele Bereiche fotografischer Genres. Ich persönlich finde sie überwiegend bei Streifzügen durch Stadt- oder Naturlandschaften, durch Gegenden, die ich nicht kannte, aber auch bei Spaziergängen durch bekannte Gebiete, wenn ich mich, wie bereits beschrieben, nicht im Vorfeld auf etwas fixiert habe.
Ich denke, dass die Slow Photography in vielen Genres der Fotografie ausgeübt werden kann. Wenn ich mir beispielhaft die Schwarzweißbilder eines Andreas Jorns anschaue, ihm in Podcasts zuhöre, wie er seine Bilder macht, wie er in den Dialog mit seinem Modellen tritt, bevor das eigentliche Fotografieren losgeht, denke ich, dass auch der Bereich der Menschenfotografie genauso Möglichkeiten für entschleunigendes Fotografieren bietet.
Slow Photography hat für mich auch viel damit zu tun, präsent zu sein. „Be present and ready to react“ war eine Aussage von Joel Meyerowitz in einem seiner Bücher, womit wir bei der Straßenfotografie wären. Wie viele Straßenfotos lassen sich auf Instagram täglich anschauen! Heraus stechen aber die Bilder, bei denen sich die Fotograf*innen Gedanken über Komposition gemacht haben, wo Licht- und Schatten eine wesentliche Rolle spielen oder wo ein entscheidender Moment festgehalten wurden.
Das gelingt aber meist nicht, wenn man bereits gedanklich vorfokussiert ist (in der Technik bei manuellen Objektiven hilft es natürlich), sondern für das Festhalten des richtigen Augenblicks auf der Straße mit all seinen Sinnen präsent ist. Eine guten Platz mit einem interessanten Hintergrund finden und dann heißt es oft, Geduld zu haben, bis einem das richtige Motiv in den Sucher läuft.
Auf die zahlreichen negativen Aspekte, die uns die Pandemie im letzten Jahr bescherte und welchen aktuellen Herausforderungen wir uns wegen des Virus noch stellen müssen, möchte ich nicht eingehen, aber auf einen der rar gesäten positiven Aspekte in diesem Zusammenhang:
Wir hatten mehr Zeit für uns selbst. Die Nordeuropäer*innen brachten schon vor Längerem die Lebensstilkonzepte „Hygge“ oder „Lagom“ auch in unsere Breiten und kennen auch den Begriff „Niksen“, in dessen Zentrum das „Nichtstun“ steht. Nach einer Wanderung auf einer Wiese zu sitzen, einfach in die Natur zu schauen und nicht irgendwelchen Gedankenstörungen nachzuhängen, das hat schon etwas und tut gut – damit möchte ich wieder den Bogen zur Slow Photography spannen.
Wie oft sehnt man sich nach Ruhe, Entspannung, Entschleunigung als Kontrapunkt zum oftmals hektischen Alltag! Fotografie kann uns so wunderbare Momente bescheren, einerseits indem wir selbst kreativ werden, andererseits bei der Betrachtung unserer Bilder oder der Werke anderer Fotograf*innen, die unser Interesse geweckt haben und uns vielleicht sogar inspirieren.
Slow Photography ist für mich zusammengefasst bewusstes und langsames Fotografieren. Ein Ausgleich, ein Gegensatz zum Leistungswillen, von dem wir getrieben sind oder werden, wo es darum geht, immer schneller zu sein, immer effektiver zu werden.
Nicht das Instrument, mit dem wir die Fotografie ausüben, nicht die Technik, die uns in diesem Zeitalter natürlich in hohem Maße unterstützen kann, aber bei der Slow Photography klar in den Hintergrund rückt, sind entscheidend. Es braucht dafür nicht die modernste Kamera mit höchster Auflösung.
Gerade die ausgeprägte Schärfe, die aktuelle Kameras bieten, die völlige Perfektion einmal außer Acht zu lassen, bewusst Blende, Verschlusszeit und manuellen Fokus einzusetzen, ein Motiv entdeckt zu haben und nicht gleich abzudrücken, sondern sich darauf mit allen Sinnen einzulassen, bietet für mich Slow Photography.