12. Juni 2020 Lesezeit: ~7 Minuten

Vereinfachung für stärkere Landschaftsfotos

Wenn ich vom Anblick einer Landschaft überwältigt bin, möchte ich am liebsten alles einsaugen. In der Vergangenheit habe ich in solchen Momenten zielsicher tonnenweise Bildermüll produziert. Heute stelle ich mir beim Fotografieren immer häufiger die Frage; Was kann ich weglassen? Das tut oft erst einmal weh und scheint paradox – und doch führt es meist zu stärkeren Bildern.

Als Anfänger in der Landschaftsfotografie wollte ich möglichst viele interessante Objekte in mein Bild integrieren. Nach dem Motto: „Dieser hübsche Baum hier muss auch noch rein!“ Die meisten dieser Bilder haben für mich heute nur noch Erinnerungswert. Das ist auch in Ordnung so, denn diese Phase gehörte sicherlich zum Lernprozess dazu. Auch wenn dieser – alle Fotoreisen zusammengerechnet – teuer zu Buche schlägt.

Irgendwann hatte ich genug von meiner detailreichen, überscharfen und teils dokumentarisch wirkendenden Reisefotografie. Meine Bilder sollten ikonischer, zeitloser und unverwechselbarer werden. Wenn ich mir Bilder von anderen anschaute, die mich faszinieren – dazu gehören beispielsweise Alex Noriega und Mark Littlejohn – so stellte ich fest: Ihre Motive sind häufig deutlich reduzierter und einfacher. Und gerade deshalb auch stärker.

Landschaft vor einer Wolkenfront

Inversion am Mt. Tamalpais in Kalifornien: Der dunkle, fast scherenschnittartige Vordergrund reduziert Details.

Sich ein Bild ausmalen

Ich liebe die Aussichten, die man auf Bergen wie den englischen „Fells“ oder den schottischen „Bens“ hat. Doch gerade „Big Vistas“ wirken aus meiner Sicht schnell dokumentarisch und weniger künstlerisch. Sie enthalten häufig zu viele Elemente oder Details, die vom Hauptmotiv ablenken. Mir hilft es, eine Komposition durch die Brille der Landschaftsmalerei zu betrachten: Würde ein Landschaftsmaler dies exakt so malen – oder gibt es zu viele störende Elemente? Diese Frage hilft mir manchmal, meine Kompositionen zu vereinfachen.

Insel mit Bäumen bewachsen

Insel mit Bäumen bewachsen

Die Sasseninsel im Eibsee – reduziert auf das, was zählt: das Hauptobjekt, die Spiegelung, das Licht.

Rein ins Bild. Raus mit den Details

Das Bild der Sasseninsel auf dem Eibsee ist für mich eine schöne Bestätigung der alten Knipser-Regel „fill the frame“. Nachdem ich einige erste Bilder mit 30 mm Brennweite gemacht hatte, zoomte ich deutlich stärker rein, belichtete länger (mit ND-Filter, ca. 15 s) und platzierte die Horizontlinie fast mittig. So konnte ich das Motiv den Krallen des harschen Fotorealismus entreißen. Steine im Wasser, das Festland, Wasserbewegungen oder Details in den Bäumen hätten hier für meinen Geschmack nur die Bildwirkung geschwächt.

neblige Landschaft an einem Seeneblige Landschaft an einem See

Einst Teil eines verunglückten Panoramas (links), jetzt stark beschnitten und eigenständig (rechts).

Krasser Beschnitt

Das Bild des einsamen Baumes an einem englischen „Tarn“ war ursprünglich eine von zwölf Aufnahmen eines horizontalen Panoramas. Um es kurz zu machen: das zusammengesetzte Panoramabild taugte nichts. Zwei Jahre später jedoch stolperte ich in Lightroom über die rechte äußere Teil-Aufnahme und entdeckte den einsamen Baum an der Landzunge. Dies war das eigentlich spannende Motiv – und ich hatte es schlichtweg nicht gesehen!

Also machte ich mich erneut an die Arbeit: Mit beherztem Beschnitt stellte ich die kleine Birke samt Spiegelung in den Vordergrund. Auch die Baumkronen im Hintergrund sind bewusst abgeschnitten, um dem „Helden“ keine Aufmerksamkeit abzuziehen. Herausgekommen ist für mich eines meiner Lieblingsbilder aus dem Lake District.

Wellen am Strand

Wellen am Strand

Der „schwarze Strand“ von Reynisfjara: in schwarzweiß erst wirklich schwarz.

Wenn Schwarzsehen hilft

Auch Schwarzweiß-Gestaltung nutze ich gern als Mittel zur Vereinfachung, insofern Licht, Kontraste, Tonwerte und Formen im Originalbild interessant genug sind. Das Bild zeigt den schwarzen Strand von Reynisfjara auf Island. Im oberen Teil der RAW-Datei (links) sind Schneereste und ein Auto zu sehen. Raus damit in Photoshop! Der Blaustich ist der blauen Stunde geschuldet. Man könnte ihn auch via Temperaturregler in Adobe Lightroom entfernen. Für meinen Geschmack wird das Bild aber erst durch die Reduzierung auf die schwarzweißen Kontraste wirklich interessant.

WasserfallWasserfall

Landschaftsmodus? Oder Portraitmodus? Ich entschied mich für Portrait (rechts), weil hier die Blickführung schneller zum „Helden“, dem Berg, führt – nicht zu unwichtigen Details an den Seiten.

Hoch oder quer oder was?

Auch die Wahl des richtigen Formats kann ein Motiv stärken. Natürlich hängt die Frage nach Hoch- oder Querformat auch davon ab, welche Kompositionen vor Ort funktionieren. Mir wäre es anfangs dennoch nie in den Sinn gekommen, Landschaften im Portraitmodus (Hochformat) zu fotografieren. Wofür hatte ich denn sonst den „Landschaftsmodus“?

Heute nutze ich das Hochformat immer häufiger: Erzeugt eine horizontale Komposition keine klare Linienführung von den Seiten hin zum Hauptobjekt, enthält sie zu viele ablenkende Details oder sind die Objekte rechts und links im Ungleichgewicht, so kann der Portraitmodus das richtige Mittel sein. Dabei hat man schlichtweg keine andere Wahl, als den Blick nach oben wandern zu lassen.

Schnee

Schneechaos auf Island: Manchmal ist Negativ-Raum wichtig für die Bildwirkung. Er sollte daher nicht reflexartig rausgenommen werden.

Auch „nichts“ kann viel sein

Manchmal hat man Glück und ein unkompliziertes, fast monochromes Motiv springt einem freimütig ins Auge. Solche Motive, die in Richtung Fine Art tendieren, schreien oft nach Negativ-Raum. Sie brauchen leeren Raum, damit sie ihre volle Wirkung entfalten können. Hätte ich den Zaun im oberen Motiv um seinen Himmel gebracht, wäre die Bildwirkung geschwächt. Dabei lenken auch keine Details ab – im Gegenteil: Der weiße Raum unterstützt die Idee von der „weißen Hölle“, in die ich dort auf Island kurzzeitig gekommen war. Einige wenige Grasbüschel im Vordergrund bieten dem Blick Halt.

Aufräumen fürs Auge

Nachbearbeitung ist für mich die unverzichtbare Kosmetik kurz vor dem Auftritt. Dabei gilt: Je einfacher das Bild von Anfang an gelingt, umso weniger stark muss ich später eingreifen. Zu meinem Ansatz von Landschaftsfotografie – ich möchte Bilder mit künstlerischem Anspruch schaffen, keine dokumentarischen Bilder – gehört durchaus das Arbeiten mit Photoshop. „Dodge and Burn“ – das Aufhellen und Abdunkeln bestimmter Bildbereiche – ist für mich dabei unverzichtbar. „Compositing“ hingegen, zum Beispiel das Einsetzen eines anderen Himmels, kommt für mich nicht infrage.

Reduzieren bis zum bitteren Ende

In Lightroom schaue ich zunächst, ob ich den Bildausschnitt nachträglich anpassen kann, um das Bild nochmals zu vereinfachen. Ragen irgendwo Äste seitlich herein? Sind Steine angeschnitten? In Photoshop säubere ich die Ränder und entferne andere störende oder zu helle Elemente.

Zeigt mein Bild Farbstiche oder unpassende Farben, so versuche ich, auch diese herauszunehmen oder abzuschwächen. Am Schluss baue ich mir die Vignette so, dass die Aufmerksamkeit möglichst auf das Hauptmotiv meines Bildes gelenkt wird. Was ablenkt, landet im Dunkeln.

Ansonsten lautet meine Empfehlung: fotografieren, fotografieren, fotografieren! Und natürlich: die Bilder der Lieblingsfotograf*innen anschauen und analysieren. Viel Spaß und gute Bilder!

Ähnliche Artikel